Glasfaser-Weitverkehrsnetz bei den Münchner Stadtwerken

Metro Ethernet der besonderen Art

18.07.2003
MÜNCHEN (ave) - Ethernet hat die Grenzen der lokalen Netze längst gesprengt und bewährt sich inzwischen auch im Metrobereich zur Verbindung verschiedener Standorte. So auch bei den Stadtwerken München, die damit ihre betagte Fiber-Distributed-Data-Interface-(FDDI-)Infrastruktur abgelöst haben.

Auf fliessendes Wasser und Energie im Haushalt kann und will heute niemand mehr verzichten. Nicht nur private Haushalte, auch öffentliche Einrichtungen und Krankenhäuser sind auf die reibungslose und möglichst ausfallsichere Versorgung angewiesen. Daher lastet auf Betrieben wie den Stadtwerken München (SWM) eine besondere Verantwortung: Um Engpässen vorzubeugen und Fehler möglichst schnell erkennen und beheben zu können, sind sie auf eine zuverlässige IT-Infrastruktur angewiesen.

Für die Münchner spielen in diesem Zusammenhang mehrere Faktoren eine wichtige Rolle: Neben der zentralen Leitstelle ist nicht zuletzt das Kommunikationsnetz, das diese mit den unterschiedlichen Außenstellen und Bereichen verbindet, von entscheidender Bedeutung für den reibungslosen Betrieb sämtlicher für die Energieerzeugung und -verteilung notwendigen Versorgungsanlagen.

In der zentralen Leitstelle des Versorgungsbereichs der Stadtwerke laufen viele Informationen zusammen: Zustände von Schaltern und Ventilen, Veränderungen des Wasserdrucks oder Probleme bei der Versorgung bekommen die dort beschäftigten Experten umgehend auf den Bildschirmen ihrer Kontrollsysteme angezeigt. Nur so kann die Mannschaft schnell reagieren und Ausfällen entgegenwirken. Für die Maschinen, auf denen die Steuerungssoftware läuft, haben die SWM zwei Standards definiert: Neben einfacheren Rechnern mit Windows 2000 setzen die Münchner Sun-Workstations mit Solaris für anspruchsvollere Einsatzgebiete im Dispatching- und Server-Bereich ein.

Von den vier Versorgungssparten Wasser, Gas, Fernwärme und Strom werden die ersten drei bereits gemeinsam überwacht, lediglich die Kontrolle der Stromversorgung erfolgt über eine eigene Leitstelle. Auf lange Sicht ist jedoch geplant, alle Bereiche unter einen Hut zu bringen und in einer Verbundleitwarte gemeinsam zu steuern.

Sämtliche anfallenden Steuerungs- und Kontrolldaten der Wasserversorgung fließen über ein etwa 200 Kilometer langes, weit verzweigtes Glasfasernetz von den Standorten Thalham, Deisenhofen und Forstenrieder Park aus in die Münchner Zentrale. Die Außenstellen sind auch untereinander verbunden, denn die Infrastruktur bildet einen redundanten Ring. Sie wurde Mitte der 90er Jahre von den Stadtwerken selbst aufgebaut: Die optischen Kabel verlegten die Experten innerhalb der vorhandenen Wasserleitungen. Für die Übertragung der Daten nutzten die SWM seit etwa 1995 das zum damaligen Zeitpunkt gebräuchliche Backbone-Verfahren FDDI, wobei "Netbuilder"-Komponenten des Anbieters 3Com zum Einsatz kamen.

Seit Ende 2002 setzen die Stadtwerke jedoch ganz auf Ethernet: Einer der Auslöser für den Abschied von FDDI und die Ausrichtung auf den LAN-Klassiker war die Entscheidung von 3Com, sich aus bestimmten Netzbereichen zurückzuziehen. "Von einem auf den anderen Tag wurde uns der Support für Netbuilder gekündigt," erzählt Helmut Schöpf, Projektleiter Prozessleittechnik bei der SWM-Versorgungs GmbH. Als schließlich die Ersatzteile für die Komponenten auszugehen drohten, fasste die Fachabteilung den Entschluss, sich von FDDI zu verabschieden.

Die Entscheidung für Ethernet fiel aber auch aus Gründen der Administrationsfähigkeit. Der Einsatz einer homogenen Netztechnik im LAN und WAN vereinfacht eben auch den Betrieb und die Überwachung der Infrastruktur.

Da die Spezialisten bei einem früheren Austausch eines Corebuilder von 3Com durch einen "Summit"-Switch von Extreme Networks bereits gute Erfahrungen gesammelt hatten, fiel auch bei der anstehenden Umstellung des Glasfaserrings die Wahl auf den kalifornischen Anbieter. Cisco hatte man als Anbieter zwar ebenfalls in Betracht gezogen, der höheren Kosten für die notwendigen Komponenten wegen aber nicht den Zuschlag gegeben. Nachdem eine erste Testinstallation zwischen Thalham und Deisenhofen mit den Extreme-Geräten erfolgreich verlaufen war, gab es grünes Licht für die komplette Migration des Weitverkehrsnetzes auf Gigabit Ethernet.

Wichtig war für die Stadtwerke vor allem zu sehen, wie schnell sich das Netz im Fall einer Störung rekonfigurieren kann und wieder zur Verfügung steht. Die Spezialisten gingen dabei ganz pragmatisch vor: Im Zuge einer Testreihe schickten sie eine Folge von PingBefehlen über das Netz und zogen dann einen Kabelstecker ab. Das von Extreme entwickelte Ethernet Automatic Protection Switching(EAPS) war in der Lage, den Netzverkehr innerhalb von Sekundenbruchteilen umzuswitchen.

Doch nicht nur Verfügbarkeit, auch Bandbreite ist für die Münchner ein Thema: "Mit der neuen Technik haben wir auf Jahre hinaus ausgesorgt," freut sich Ludwig Bentele, Fachbereichsleiter Prozessleittechnik bei den SWM. Er sieht die Stadtwerke dafür gerüstet, über das Netz auch neue Anwendungen wie Videoübertragungen oder Voice over IP zu fahren. Bereits jetzt sind vereinzelte Überwachungskameras angeschlossen, die ihre Bilder über den Glasfaserring in den Prozessleitstand übertragen. So beobachten die Experten von der zentralen Leitstelle aus beispielsweise Frischwasseraquarien mit Saiblingen in den Außenstellen, um die Wasserqualität dort zu kontrollieren.

Für die Übertragung der Videodaten haben die Stadtwerke virtuelle LANs (VLANs) definiert. Auch der Austausch von Bürodaten zwischen einzelnen Niederlassungen ist auf diese Weise geschützt. Über hardwarebasierende Bandbreitenreservierung wird sichergestellt, dass derart wichtige Daten im Netz immer bevorzugt behandelt werden. Engpässe sind aufgrund der hohen Kapazität von 1 Gbit/s jedoch "momentan noch kein Thema," berichtet Günter Maier, Netzexperte bei den SWM. Sollte bei einer der Netzkomponenten jedoch mal ein Fehler auftreten, könnte es durchaus sein, dass das Netz davon "dichtgemacht" wird. Selbst in diesem Fehlerfall garantiert die Priorisierung der Daten eine reibungslose Kommunikation der Versorgungssparten.

Steckbrief

Ziel: Einführung einer zukunftssicheren Netzinfrastruktur zwischen den einzelnen Standorten.

Unternehmen: Energieversorger.

Herausforderung: Aufbau eines hochverfügbaren Gigabit-Ethernet-Rings.

Zeitrahmen: Mitte 2001 bis Ende 2002.

Stand heute: im Produktivbetrieb.

Ergebnis: Eine schnelle, zuverlässige und zukunftssichere Infrastruktur.

Basis: Glasfaserinfrastruktur, Switches von Extreme Networks.

EAPS

Bei Ethernet Automatic Protection Switching (EAPS) wird auf dem Glasfaserring eine Domäne definiert, in der ein Switch die Rolle des "Master" übernimmt. Die übrigen Netzkomponenten agieren als "Transit"-Stationen. Ein Port des Masters wird zum "Primary Port" (P) im Ring, ein zweiter der "Secondary Port" (S). Im Normalbetrieb ist die Verbindung zwischen P und S durch den Master für alle Pakete auf dem Netz mit Ausnahme bestimmter EAPS-Kontrollpakete (Health-Check Packets) unterbrochen. Das verhindert, dass sich eine Ethernet-Schleife (Loop) bildet. Bei einer Unterbrechung im Ring stellt der Master die Verbindung zwischen P und S jedoch wieder her. Der Master erkennt einen Fehler auf zwei Arten: Er erhält entweder keine Antwort auf Kontrollpakete, oder ein Transit-Switch setzt eine "Trap"-Meldung ab. Die ringförmige Netzstruktur lässt sich in beiden Richtungen nutzen. Im Fehlerfall sollen die Umschaltzeiten bei 100 Millisekunden liegen.