Messen ist besser als Schätzen

30.08.2006
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Durch Betriebs-Controlling können Fertigungsbetriebe ihre Kostensituation realistisch bewerten.

Viele Fertigungsbetriebe jonglieren mit vielen Zahlen, um ihre Geschäftssituation möglichst klar einschätzen zu können. Dem Einfallsreichtum hinsichtlich der Darstellungsformen sind da keine Grenzen gesetzt. Nicht nur in Unternehmen mit Konzernstrukturen, sondern auch in mittelständischen Fertigungsbetrieben finden sich zahlreiche Controlling-Instrumente wieder, die auf Excel und Access basieren. Mit jedem Mitarbeiter, der eine gewisse Affinität für Zahlenspiele und Statistiken hat, entstehen neue Darstellungsformen und komplexe Kreuztabellen. Um aus einem vorhandenen Zahlenmaterial scheinbar neue Information zu kreieren, vernichten Unternehmen hohe Werte in Form von Arbeitsstunden. Bei der Geschäftsleitung stoßen diese vermeintlich neuen Ergebnisse dann auch noch auf die erhoffte Aufmerksamkeit.

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In vielen Unternehmen fehlt es an klaren Aufgaben für das Unternehmens-Controlling. Im Stillen erhoffen sich viele Unternehmensführungen von ihren diversen Auswertungen wichtige Steuerungsinstrumente. Die Klassiker in den Auswertungen sind Umsatz- und Absatzlisten, Forecast, Lagerlisten, diverse Kostenstellenauswertungen, Deckungsbeitragsrechnung (DB1 bis DB4), betriebswirtschaftliche Auswertung (BWA) und zahlreiche Eigenkreationen in Form von Renner-, Pennerlisten, Ladenhütern und diversen Kosten- und Ertragsrechnungen. Da in vielen Fällen die Herkunft der Zahlen durch die hohen Aggregationssstufen ohnehin ungewiss ist, machen sich einige der selbst ernannten Finanzberater nicht die Mühe der Quellenbetrachtung, und somit bleiben die eigentlichen Steuerungsinstrumente im Verborgenen.

Wer sich der Hoffnung hingibt, dass mit der Einführung eines ERP-Systems auch gleich ein für das Unternehmen passendes Controlling-Instrument entsteht, wird bald enttäuscht sein. Mit Hilfe einer ERP-Lösung, in der eine Finanzbuchhaltung enthalten ist, und einem Betriebsdatenerfassungssystem (BDE) lassen sich zumindest einige Unternehmens- und Betriebskennzahlen darstellen, jedoch der Weg dorthin ist beschwerlich. Mitunter deshalb, weil man sich mit vielen Grundlagen und dem jeweiligen Unternehmen intensiv auseinandersetzen muss.

Standardauswertungen

In fast allen ERP-Systemen sind diverse Grundlagen für ein Controlling integriert, doch die eigentlichen Steuerungsinstrumente entsprechen keiner Funktion, denn Controlling ist mehr eine Philosophie. In der Regel sind in der Software lediglich Kalkulationsschemata hinterlegt und Felder für Kostenstellen vorgesehen. Auf der Seite der Debitoren und Kreditoren sind außerdem Datenfelder für Personen- und Sachkonten vorhanden, die jedoch eher für die steuerrechtlichen Abläufe von Belang sind. Einige Standardauswertungen (Umsatzlisten je Kunde, Absatzliste je Artikelgruppe, Deckungsbeitrag mittels Planzahlen sowie Auftragsübersicht) suggerieren zwar, nützlich zu sein, sind aber bei genauer Betrachtung oft nicht zu gebrauchen, da sie nicht zu den Anforderungen des jeweiligen Unternehmens passen. Um nun teuren Anpassungen aus dem Wege zu gehen, greifen Anwender Daten ab und füllen damit Excel- und Access-Dateien. Das Fatale dabei: Quellen werden nicht mehr hinterfragt. Anwender machen es sich zur Pflicht, manuell erfasste und oft redundante Daten im Unternehmen zu verteilen. Schließlich benötigt man ja Auswertungen.

Aus der reinen Lehre von Kosten- und Leistungsrechnung lassen sich bereits viele Grundlagen entnehmen. Doch welche Kalkulationsformen nun zur Artikelkalkulation herangezogen werden sollen und welche Kostenschlüssel nach welchen Kriterien zu verteilen sind, steht nicht in den Lehrbüchern.

Kennzahlen sind Spätindikatoren

Balanced Scorecards verfolgen da schon eher den Gedanken "Weniger ist mehr" und geben der Unternehmensleitung die wesentlichen Kennzahlen. Letztere sind Berechnungen und beruhen auf messbaren Größen. Kennzahlen aus dem Unternehmens-Controlling und damit die Balanced Scorecards sind jedoch "Spätindikatoren", die ihre Auswirkungen erst mit zeitlicher Verzögerung abbilden. Eine Balanced Scorecard arbeitet beispielsweise mit Finanzindikatoren wie Umsatz, Gewinn, Rendite und Zahlungsreichweite. Sie gibt hingegen keine Auskunft darüber, ob eine Firma ihre Prozesse beherrscht, womit Geld verdient und wo es vernichtet wird. Diese noch unbekannten Faktoren beeinflussen aber maßgeblich die finanzielle Situation. Kennzahlen speisen sich in einem produzierenden Betrieb am besten durch Informationen direkt aus der Produktion.

Mögliche Messgrößen und Kennzahlen sind Termintreue, Maschineneffizienz, Lagerbestand, Kapazitätsauslastung, Kalkulationslosgrößen und Kapazitätsreserven. Sie können als Regelgrößen an eine Arbeitsvorbereitung weitergeleitet werden. Diese Unternehmenskennzahlen werden in einem ERP-System beziehungsweise Produktionsplanungs- und -steuerungssystem (PPS) zu wichtigen Steuer- und Regelungsinstrumenten. Dennoch ist hier Vorsicht geboten, da ERP/PPS-Software reine Planungsaufgaben übernimmt und nicht etwa die Wirklichkeit der Produktion widerspiegelt. Die Programme sind lediglich in der Lage, bei richtiger Handhabung eine effiziente Kapazitätsauslastung zu planen und die Lagerbestände zu kontrollieren.

Doch gerade in der Produktion gibt es viele Einflussfaktoren und mehr Ausnahmen als Regeln. Unterbrechungen der Fertigungslose führen zu zusätzlichen Rüstkosten bei einem Wideranlauf. Diese müssen natürlich dann auch als Arbeitsgänge gebucht werden, um später die Kosten realistisch bewerten zu können. Doch oft tragen Anwender dann Werte wie die zusätzlichen Rüstzeiten gern in ihre Excel-Tabellen ein, führen sie aber nicht im ERP-System nach.

Abweichungen beachten

Ein weiteres Problem sind Restmengen, da ERP-Systeme sie oft falsch deuten. Doch gerade diese Abweichungen bei einer auftragsbezogenen Fertigung lassen Rückschlüsse auf die Produktivität des Betriebes zu. Teilweise sind hieraus auch Ansätze der Rüstoptimierung zu erkennen. Aus diesem Grund empfiehlt sich für Fertigungsbetriebe ein Betriebs-Controlling. Dieses sollte zwischen der Produktion und dem Unternehmens-Controlling angesiedelt sein und sich mit dem direkten Vergleich von Stammdaten und Betriebsdaten befassen. Der Grund: Aus den Differenzen von Soll (Plan im ERP-System) und Ist (Informationen aus der Fertigungssteuerung und Betriebsdatenerfassung) lassen sich die Wertschöpfungspotenziale eines Betriebes aufzeigen. Eine Prozesskostenrechnung ist daher dringend zu empfehlen und auch eher auf der Seite der Produktion anzusiedeln.

Häufig sind die eigentlichen Kostentreiber im Unternehmen nicht bekannt. Das liegt aber nicht an den Mitarbeitern, sondern an unvorteilhaften Prozessen.

Pragmatismus

Mittels des Betriebs-Controllings sollten auch pragmatische Kennzahlen für die betriebliche Identität erarbeitet werden. Beispielsweise kennen nur wenige Betriebsleiter den Kostendeckungsbeitrag des Betriebes je Monat oder Quartal. Zu leicht heißt es dann, man könne das Ergebnis ohnehin nicht beeinflussen. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass der direkte Vergleich von Solldaten (Kundenaufträge = Fertigungsaufträge aus der ERP-System) und Istdaten (Bearbeitung durch die Produktion und somit Buchungen aus dem Betriebsdatenerfassungssystem) eine Effizienz je Auftrag und Maschine oder als Periodenabgrenzung aufzeigen kann. Falls die Stammdaten aus der Arbeitsvorbereitung nicht realistisch sind, so werden diese Missstände auch durch das Betriebs-Controlling aufgedeckt, und es entsteht ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess. (fn)