Business-Anwendungen im Internet / IBM und Microsoft treten gegeneinander an

Message-Queuing gewinnt durch E-Commerce massiv an Bedeutung

20.03.1998

"Mission-critical", "Time to market" - die Schlagworte des Top-Managements galten bis vor kurzem keinesfalls für den Transfer sensibler Informationen über ein Netz - egal ob es sich dabei um firmeninterne Intranets oder das Internet handelt. Selbst der Gedanke an eine geschäftsrelevante Nutzung der Netze kam wohl niemand in den Sinn, da die Datenübertragung bei weitem nicht den Sicherheitsanforderungen gerecht wurde.

Die Scheu der Firmen ist durchaus berechtigt: Rund vier Prozent aller Internet-Übertragungen verschwinden derzeit noch auf Nimmerwiedersehen im Cyberspace: "Eine inakzeptable Quote für Unternehmen, die auf E-Commerce als Geschäftsbasis setzen", bringt Colin Osborne, Business Manager bei IBM, die Berührungsängste vieler Kunden auf den Punkt. Besonders Banken und Finanzinstitutionen können sich solche schwarzen Löcher bei ihren Datentransaktionen nicht leisten.

Doch am Netz der Netze führt im Geschäftsleben - da sind sich Analysten, DV-Anbieter und Anwender einig - kein Weg vorbei. Vor allem im Hinblick auf das rapide wachsende Interesse an Lösungen zum sogenannten E-Commerce, dem Handel und Geldtransfer via Internet und Intranet. Das US-Marktforschungsinstitut Spikes Cavell beispielsweise bezeichnet den Einsatz von E-Commerce-Lösungen und eine hohe Kommunikationsqualität sowohl innerhalb des Unternehmens als auch mit externen Partnern als entscheidend für den geschäftlichen Erfolg.

Eine Umfrage unter 300 Managern und IT-Verantwortlichen belegt außerdem: 86 Prozent von ihnen sind überzeugt, daß die unternehmensweite Integration einzelner IT-Systeme signifikante Wettbewerbsvorteile mit sich bringt. Mehr als 90 Prozent der Manager und 88 Prozent der IT-Verantwortlichen glauben, daß die Bedeutung der nahtlosen Kommunikation mit Kunden, Lieferanten und anderen Geschäftspartnern zunehmen wird. Auch die Position des Internets wird, da sind sich knapp 70 Prozent der Business- und sogar 74 Prozent der IT-Manager sicher, immer weiter ausgebaut.

Middleware sorgt für Verständigung

Doch trotz der ausgeprägten Internet-, Intranet- und Extranet-Euphorie haperte es bei der Implementierung sogenannter Mission-critical-Lösungen bis vor kurzem schlicht am Herzstück: der passenden Middleware. Diese Software fungiert als Transmissionsriemen zwischen dem Netz und den unterschiedlichsten Anwendungen.

Die Messaging-Middleware ermöglicht es, daß einzelne Applikationen sicher und zuverlässig miteinander kommunizieren. "MQ Series" etwa wird zunehmend häufiger dafür eingesetzt, um diese Anforderungen zu erfüllen. Die vielfach ausgezeichnete Messaging-Software ist mit einem Umsatzmarktanteil von 45 Prozent, so die Berechnungen von Wintergreen Research, weltweit der Marktführer. Im November letzten Jahres kam die aktuelle Version 5 auf den Markt. Auch Mitbewerber Microsoft versucht, ein Stück vom großen Kuchen Messaging-Software abzubekommen und schickt "Falcon" ins Rennen.

Ziel sowohl von Big Blue als auch der Gates-Company war es, eine breit einsetzbare Connectivity-Middleware zu entwickeln, die die Kommunikation unterschiedlichster Anwendungen gewährleistet. IBM bietet beispielsweise Schnittstellen (Links) zu Lotus Notes, SAP R/3 und zum World Wide Web.

Um Transaktionen sensibler Daten zu ermöglichen, müssen die drei wesentlichen Attribute der Messaging-Middleware lauten: sicher, zuverlässig und unmodifizierbar seitens Dritter. Als zur Zeit erfolgreichere Technologie für diesen Zweck hat sich nach dem Remote Procedure Call (RPC) die Message-Queueing-Middleware durchgesetzt. Bei RPCs handelt es sich um ein Verfahren, bei dem die "remote" Applikation der auffordernden Anwendungen einen sogenannten Call schickt.

Nachteil dieses Prinzips: Eine Implementierung auf unterschiedliche Plattformen ist umständlich und äußerst zeitaufwendig.

Darüber hinaus droht der Systemkollaps, wenn die Verbindung zwischen zwei Rechnern abrupt unterbrochen wird.

Anders als bei den RPCs handelt es sich beim Message-Queueing um ein Konzept, das die Kommunikation einzelner Applikationen unabhängig vom Netz oder vom Betriebssystem übernimmt. Auch müssen die einzelnen Programme nicht explizit für die Kommunikation entwickelt worden sein. Dieses Verfahren gilt für die zwei derzeit populärsten konkurrierenden Technologien MQ Series von IBM und Falcon von Microsoft.

MQ Series wird als verteiltes Messaging-System angeboten, das den unternehmensweiten und übergreifenden Datenaustausch vereinfacht - die Art der verwendeten Betriebssysteme, Plattformen, Anwendungen oder Zeitzonen spielt keine Rolle. Das Produkt fungiert als Schnittstelle zwischen einzelnen Applikationen und sorgt so für einen reibungslosen Datenfluß zwischen allen Systemen. Entwickler müssen damit die Komplexität der unterschiedlichen Netzprotokolle nicht mehr berücksichtigen. Allein die Entwicklung dieser Komponenten macht heute rund 50 Prozent des Programmieraufwands in typischen Client-Server-Umgebungen aus. Weitere Features sind die Unterstützung von Sprachen wie C, C++, Java, Cobol, Visual C++, Visual Basic sowie die Interoperabilität mit früheren Versionen der Message-Queueing-Software.

Ein wichtiger Vorteil der IBM-Lösung gegenüber Microsofts Pendant liegt jedoch nach Einschätzung von Branchenkennern in der Unterstützung der gängigen Netztopologien und Betriebssysteme.

Während Falcon lediglich für das Microsoft-eigene Betriebssystem Windows NT konzipiert wurde, läuft MQ Series auf sämtlichen Unix-Derivaten, Windows-Systemen, OS/2, DEC-VMS, OS/400 und OS/390. Plattformunabhängigkeit ist denn auch das zentrale Argument von IBM, wenn es darum geht, Microsoft im Messaging-Markt zu schlagen. "Unsere Software läuft ohne Modifikation auf mehr als 20 Plattformen. Falcon ist ausschließlich für Windows NT konzipiert und wird wohl auch in Zukunft nur auf NT laufen", beschreibt Werner Schütz, Veranwortlicher für das Produkt bei IBM Deutschland, die Achillesferse von Microsoft in puncto Messaging-Software. Auch hat, so Schütz weiter, das hauseigene Produkt auf dem Netzwerk-Level Vorteile gegenüber der Microsoft-Technolo- gie. Seine Bilanz: Die IBM-Lösung läuft auf SNA, DEC Net, Netbios sowie TCP/IP. Das Pendant der Gates-Company unterstützt lediglich letzteres Protokoll.

Microsoft zieht mit Falcon nach

Branchenkenner sehen eine gewisse Koexistenz beider Technologien voraus: In Zukunft werden sowohl die Lösung von Big Blue als auch Falcon auf dem Messaging-Markt bestehen.

Voraussetzung ist allerdings, daß sich Microsofts Software im Enterprise-Geschäft durchsetzen kann. Davon ist Moshe Dunie, Vice-President der Microsoft Division Desktop and Business Systems, selbstverständlich überzeugt: "Falcons enge Integration mit Windows NT Server bringt Skalierbarkeit, Sicherheit und Zuverlässigkeit für das Message-Queueing von Applikationen. " Dennoch scheint sich die Gates-Company darüber im klaren zu sein, daß eine "freiwillige Selbstkontrolle" einer Messaging-Software auf ein einziges Betriebssystem nicht das Gelbe vom Ei sein kann: Über ein Gateway des Tool-Herstellers Level 8 Systems Inc. soll Falcon auch auf andere Plattformen zugreifen können.

Messaging

Wie Messaging funktioniert, läßt sich am Beispiel von " MQ Series" erläutern. Applikationen kommunizieren, indem Messages - Entitäten, die sowohl Daten als auch Informationen über ihre Adressierung enthalten - in sogenannte Warteschlangen geschickt werden. Die Anwendungen kommunizieren also niemals direkt miteinander, sondern asynchron.

Sobald sich eine dieser Nachrichten in einer Schlange (Queue) befindet, "zeichnet" die abschickende Applikation nicht mehr für die Zustellung der Message verantwortlich. Damit ist es der sendenden Applikation möglich, andere Prozesse wahrzunehmen. Trotzdem ist sichergestellt, daß die Nachricht den Adressaten erreicht. Der Queue Manager startet einen Prozeß des "Assured Delivery". Dieser gilt als nicht abgeschlossen und bleibt geöffnet, solange der Empfang nicht quittiert ist. Das gewährleistet auch, daß sich die Nachricht wiederherstellen läßt - selbst bei einem Netz-oder Applikationsausfall.

Zeitersparnis: 30 Prozent

Zahlreiche Autohändler und Reparaturwerkstätten fungieren bei der Pannenhilfe als Servicepartner des ADAC. Ihre Windows-NT-Workstations kommunizieren via "MQ Series" mit den Anwendungen auf dem Host-Rechner in der ADAC-Zentrale.

Im Schadensfall werden so alle erforderlichen Informationen schnell und zuverlässig ausgetauscht. Auch spezielle Applikationen, etwa ein geografisches Informationssystem, lassen sich integrieren: Der Servicepartner bekommt von der Zentrale die exakte Ortsbeschreibung des Panneneinsatzes online auf seinen Bildschirm überspielt.

Ein deutlicher Vorteil für die tägliche Arbeit des Automobilclubs: "Wir schätzen die Zeitersparnis für den ADAC und seine Partner auf rund 30 Prozent", so Hans Neukunft, als Systemprogrammierer beim ADAC verantwortlich für Transaktions-Management und Messaging.

Angeklickt

Internet, E-Commerce, Network-Computing - die digitalen Technologien des Informationszeitalters nehmen rapide Einfluß auf das Alltagsgeschäft unterschiedlichster Industriebereiche. Doch an einen ernstzunehmenden Mission-critical-Einsatz war bis dato nicht zu denken. Die fehlende Zuverlässigkeit und Sicherheit bei Transaktionen sensibler Informationen trugen lange Zeit zu Berührungsängsten seitens des IT-Managements bei und führten zu einer Degradierung von Internet und Intranets zu kostengünstigen und effektiven Informationsbeschaffern. Mit Message-Queueing lassen sich nun auch sensible Daten übertragen.

Konstantin Knopp ist freier Journalist in München.