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Merrill Lynch will für Aktionärsbetrug teuer bezahlen

10.05.2002

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Bei der Auseinandersetzung um irreführende Analystenempfehlungen hat Merrill Lynch dem New Yorker Generalstaatsanwalt Eliot Spitzer nun einen außergerichtlichen Vergleich angeboten. Einem Bericht des "Wallstreet Journal" zufolge hofft die US-Investment-Bank, mit der Zahlung von mindestens 50 Millionen Dollar einen langwierigen und imageschädigenden, öffentlichen Prozess über die internen Empfehlungspraktiken von Aktien zu vermeiden. Außerdem schlägt Merrill Lynch vor, eine Ombudsstelle sowie ein Komittee zur Überwachung der Research-Abteilung einzurichten. Diese soll verhindern, dass Analysten - wie geschehen - mit übertrieben guten Empfehlungen Anleger für den Broker-Bereich werben. Die beiden Bereiche werden künftig stärker getrennt.

Informationen aus vertrauten Kreisen zufolge wäre Merrill sogar zur Zahlung der von Spitzner geforderten 100 Millionen Dollar bereit, falls sich neben New York auch die anderen Bundesstaaten auf das Angebot einlassen. Sollte Spitzer sein Plazet geben, könne eine endgültige Vereinbarung in wenigen Tagen erreicht werden, hieß es. Trotz der angestrebten außergerichtlichen Einigung erwarten Merrill Lynch Klagen von geschädigten Investoren: Der Generalstaatsanwalt hatte bereits vor einigen Tagen das Angebot des Unternehmens abgelehnt, einen Enschädigungsfond einzurichten.

Einen Vorgeschmack auf die Folgen eines Prozesses hatte Merrill Lynch Anfang April erhalten: Nach zehn Monaten Untersuchung legte der Chefankläger einen 38-Seiten starken Bericht mit Beweisen vor, wie große Investment-Banken insbesondere während des Internet-Booms die Anleger schamlos betrogen haben: Mit Zitaten aus internen E-Mails von Analysten wie Merrills ehemaligen Chef-Researcher und Internet-Guru Henry Blodget belegte der Generalstaatsanwalt, dass Aktien der Öffentlichkeit zum Kauf empfohlen wurden, die im Hause als "piece of shit" ("Stück Scheiße") oder "piece of crap" ("Stück Dreck") beurteilt wurden (Computerwoche online berichtete). Zwischen Frühjahr 1999 und Herbst vergangenen Jahres hatte Merrill Lynchs Internet-Group keine einzige Studie veröffentlicht, in der eine Aktie mit "Reduzieren" oder "Verkaufen" bewertet wurde, nicht einmal dann, wenn der

Kurs gegen Null ging. Die "Chinesischen Mauer" zwischen Analysten und Investment-Banker existierte nicht, statt dessen waren die Mitarbeiter zeitweise sogar als Berater für empfohlene Firmen tätig.

Neben Merrill Lynch waren unter anderem auch Credit Suisse First Boston (CSFB), Bear Stearns, Goldman Sachs, Lazard Frères, Lehman Brothers, Morgan Stanley, Salomon Smith Barney und UBS Paine Webber ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten. Um den Ruf der Branche wieder aufzubessern, plant Merrill Lynch, Aktienempfehlungen transparenter zu machen und andere Wallstreet-Firmen zur Nachahmung anzuregen. Der Handlungsbedarf ist vorhanden: In den Folgewochen nach der peinlichen Enthüllung fiel der Kurs der Merrill-Aktie um fast 20 Prozent. (mb)