Konzernweite Einführung am Beispiel des Werks in Kassel

Mercedes-Benz wagt mit Back Office den Schritt in die Microsoft-Welt

18.10.1996

Eigentlich unterscheidet sich Mercedes-Benz in der traditionellen Datenverarbeitung nicht sehr von anderen Großunternehmen. Die unternehmenskritischen Daten werden im Konzern zentral auf einem MVS-Host gehalten. Hier laufen die Client-Server-Anwendungen wie beispielsweise "MES". Das Pilotprojekt MES ist ein Einkaufssystem, das in Zusammenarbeit von IBM und dem Debis-Systemhaus entstand. Es besteht im wesentlichen aus DB2-Datenbanken, die auf dem Großrechner und den IBM-LAN-Servern laufen, sowie einer Front-end-Anwendung, die unter Smalltalk entwickelt wurde. Dieses System ist allerdings auf den Einkauf beschränkt. Es ist gleichzeitig das erste Projekt, bei dem das Werk in Kassel Erfahrung mit einer Client-Server-Anwendung auf PC-Basis machte.

Um die PC-Vernetzung auszubauen, testete die Abteilung eine Zeitlang Novell Netware, das nun aber wieder abgebaut und durch ein Windows-NT-Netz ersetzt wird. Der Grund für diesen Technologiewechsel war, daß das Unternehmen konzernweit nur noch ein Betriebssystem nutzen wollte und sich für Windows NT entschied. Alle künftigen Client-Server-Anwendungen, die vom Host auf PCs verlagert werden, kommen aus der Mercedes-Benz-Zentrale oder werden zumindest von dort gesteuert. Um an diesem Verfahren partizipieren zu können, ließ auch das Werk Kassel die Finger vom Novell-Netz.

Hinzu kamen aber auch Unzulänglichkeiten der Netware-Umgebung, die sich in dem groß angelegten Feldtest herauskristallisierten. Die DV-Abteilung installierte bis zu 50 Anwendungen auf einem Server, konnte jedoch niemals einen Zustand erreichen, in dem der Server über einen Zeitraum von vier Wochen stabil lief. "Wir hatten mehrere Abstürze, deren Ursache uns immer noch nicht bekannt ist", beklagt sich der DV-Leiter des Werks Kassel, Ulrich Friedrich. Zudem traten Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Novell und den Hardwareherstellern auf. "In dieser Situation kam uns dann der Umstieg zu Windows NT gelegen", beschreibt der Manager das Aus für das Novell-Betriebssystem.

Im Werk Kassel existieren nun elf stabil laufende Windows-NT-Server, wobei fünf für die Netzwerkverwaltung zuständig sind: der Primär-Domain-Controller, der Backup-Domain-Controller, zwei SNA-Server und ein Datenbank-Server. Der Backup-Domain-Controller fungiert gleichzeitig als Mail-Server und ist im Augenblick noch mit dem herkömmlichen MS-Mail ausgestattet, wie es Microsoft mit Windows für Workgroups ausliefert. Die für die Datenverarbeitung Verantwortlichen in Kassel wollen aber künftig MS-Exchange einführen, das bereits im Betatest läuft und später als Standard für alle E-Mail- und Faxanwendungen verwendet werden soll. Von den zirka 600 PCs (überwiegend mit 486er Prozessor und 8 MB RAM ausgestattet) im Werk Kassel sind bereits etwa 150 mit Windows NT vernetzt. Alle Geräte sollen nun auf 16 MB Arbeitsspeicher aufgerüstet werden, wie sie die Standard-Pentium-PCs bei Neuanschaffungen bereits aufweisen.

Während der gesamten Aufbauphase der Back-Office-Lösung nahm die DV-Abteilung keine Unterstützung von Microsoft oder Systemhäusern in Anspruch. Gemeinsam mit Volker Zimmermann, zuständig für den PC-Benutzerservice, besuchte Friedrich lediglich eine dreitägige Einführungsschulung der DV-Akademie zu Beginn des Projektes im November 1995. Die auftretenden Probleme haben die beiden DV-Profis fast immer eigenständig gelöst. Die Produktpalette von Microsoft war bereits bekannt und Erfahrungen mit Windows und Windows für Workgroups vorhanden. "Mit diesem Wissen war auch der Schritt zu Windows NT, zumindest was die Bedienbarkeit betrifft, kein sehr großer", erklärt Friedrich. Erfahrungen mit PC-Netzwerken schöpften die Experten aus der IBM-LAN-Server-Umgebung und dem neun Monate betriebenen Netware-Testnetz.

Doch nicht nur die Konzernstrategie spricht für den Einsatz von Windows NT, es haben sich weitere Vorteile beim Einsatz von Back Office herausgestellt. Zum einen waren auf allen Clients bereits Microsoft-Produkte wie MS-DOS, Windows und MS-Office installiert. Die Integration dieser Programme in das NT-Netz stellte sich als wesentlich einfacher heraus als vergleichbare Vorhaben mit Netware oder LAN Server.

Zudem war bereits MS-Mail integriert. Hätten sich die Kasseler für Netware entschieden, wären Extra-Kosten für ein Mail-System angefallen. Darüber hinaus ist Exchange bei den Updates bereits im Paket enthalten. Da alle Komponenten aus einem Hause stammen, hoffen die Verantwortlichen nun, daß die Produkte zusammenarbeiten und sich Updates besser durchführen lassen. "Bei Fremdprodukten stellt sich immer das Problem der Versionsverfolgung. Bei jedem Update ist es erforderlich, zu testen, ob die neue Konfiguration zur alten Umgebung paßt", weiß Friedrich. Weiterhin ließe sich mit nur einem Ansprechpartner vermeiden, daß sich die Anbieter gegenseitig die Schuld zuschieben, sekundiert Zimmermann vom PC-Benutzerservice. Der Wunsch, mit möglichst wenig Personal entsprechend weniger Plattformen und Anwendungen unterstützen zu müssen, half bei der Entscheidung für eine reine Microsoft-Umgebung. Entsprechend wird auch bei den PCs auf eine möglichst standardisierte Ausstattung geachtet.

Im Einsatz ist derzeit Windows NT Server der Version 3.51. Zu 95 Prozent benutzen die rund 150 bereits vernetzten Client-PCs Windows 3.11, der Rest ist als Windows-NT-Workstation konfiguriert. Die noch nicht im Netz eingebundenen Rechner sind alle mit Windows 3.1 ausgestattet. Als neues Betriebssystem-Release für die Clients kommt nur ein Update zu Windows NT Workstation in Frage. Windows 95 ist nicht vorgesehen.

Windows 95 ist aus dem Rennen

Sicherheit, Stabilität und Multitasking-Verhalten lauten die Kriterien, die dazu führten, Windows NT Workstation gegenüber Windows 95 vorzuziehen. Im Test, in dem mehrere Applikationen gleichzeitig liefen, zeigte sich, daß die Multitasking-Funktion von Windows NT Workstation im Vergleich mit Windows 95 schneller und stabiler ist. Aber auch die Sicherheitsfunktionen sprechen für Windows NT. Während bei Windows 95 die Paßwörter zwar verschlüsselt, aber dennoch in einfach lesbaren Dateien abgespeichert werden, sind Paßwörter bei NT Workstation Bestandteil des Betriebssystem-Kernels und damit von außen nicht erreichbar. Die Umstellung von Windows 3.11 auf Windows NT besitzt den weiteren Vorteil, daß Systemeinstellungen nur noch vom Administrator zentral vorgenommen werden können und der "Spieltrieb" der Benutzer an den Konfigurationseinstellungen von Windows damit deutlich eingeschränkt wird. Zimmermann spricht aus Erfahrung: "Uns geht beispielsweise viel Zeit verloren, wenn Unkundige diverse Ini-Dateien verstellen."

Neben dem Server-Betriebssystem ist der SNA Server als weitere Back-Office-Komponente im Werk Kassel im Einsatz. Zwei dieser SNA-Boliden versorgen 140 Client-PCs, die 3270-Terminals emulieren. Auf dem MVS-Host sind alle Produktionsdaten gespeichert. Außerdem liegen dort die Buchhaltungs- und Personaldaten, Bestellungen, Bedarfsaufgaben, Werksaufträge, Projekte sowie die gesamte Produktionssteuerung. An den Front-end-PCs bereiten die einzelnen Fachbereiche die Host-Daten individuell auf. So führen die Mitarbeiter an ihren Geräten etwa Kalkulationen zur Maschinenplanung durch, um den Bedarf der Fertigungslinien zu ermitteln. Diese kleineren Lösungen werden vor Ort selbst erstellt und laufen autark auf dem PC.

Abgesehen von dem Einkaufssystem MES ist die Anzahl echter Client-Server-Lösungen sehr begrenzt. Die Automobilbauer arbeiten jedoch daran, "BALD" zu entwickeln und konzernweit einzuführen. Hinter der Bezeichnung versteckt sich ein System zur beleglosen Archivierung von Rechnungsdaten auf Laserdisk. Das Projekt umfaßt auch die Rechnungsprüfung, -entgegennahme und -gutstellung und soll noch in diesem Jahr eingeführt werden. Ein weiteres Vorhaben in Sachen Dokumenten-Management ist "ZG-DOC", eine Zeichnungsgenerierung auf Pixelbasis. Die soll Zeichnungen für die planenden Bereiche und die Produktion verfügbar machen.

Für den Eigenbedarf entwi- ckeln die Mercedes-Manager Friedrich und Zimmermann eine Client-Server-Anwendung auf SQL-Server-Basis mit Durchgriff auf Host-Daten. Dann wollen sie die Verwaltung der Endgeräte in den Griff bekommen und Informationen über deren Ausstattung ablegen. Damit ließe sich einsehen, welche Netzlaufwerke freigeschaltet sind, welche Netzwerkadresse sie besitzen, in welchem Gebäude sie stehen oder welchen Kostenstellen sie zugeordnet sind. Das Netzwerk-Management führen die Fachleute separat durch. Dazu verwenden sie die Plattform "Openview" von Hewlett-Packard (HP), wobei die Verwaltung auf dem Simple Network Management Protocol (SNMP) basiert und die Netzwerkinformationen in einer eigenen Datenbank abgespeichert werden.

Daneben wird mit dem SQL Server der sich ständig ändernde Endgerätebestand dokumentiert und nachgeführt. Ein weiterer Aspekt bei der SQL-Server-Anwendung ist das Workflow-Management.

Zur Entwicklung der Front-end-Anwendungen wie Störungsannahme oder Auftragsbearbeitung verwendet Mercedes-Benz Visual Basic. Der User-Helpdesk soll später rollierend in der Abteilung von jeweils einem Verantwortlichen betrieben werden, wobei dieser Informationen über den Bestand und die Historie der Geräte haben muß. "Für Auswertungen sind weitere Front-end-Tools wie MS-Access denkbar, die dann über eine SQL-Abfrage den Datenbestand abrufen können", so Friedrich.

Erste Erfahrungen in Sachen E-Mail

Auch bei der Endgeräteverwaltung kommt der MVS-Host ins Spiel: Benötigt ein Mitarbeiter einen PC, füllt er einen Werksauftrag aus. Läuft dieser über die DV-Kostenstelle, werden sie automatisch beim Host abgefragt, in einer Textdatei abgespeichert und manuell in die SQL-Server-Datenbank übertragen. Da der Host ältere IDMS-Datenbanken verwendet, für die es keine ODBC-Schnittstelle gibt, kann die SQL-Server-Datenbank keine automatisierten SQL-Abfragen am Host durchführen. Datenbestände, die ständig verfügbar sein sollten, werden daher in das DB2-Format überführt. Dafür müssen auf dem Host Schnittstellen zwischen IDMS und DB2 definiert werden. Mit Hilfe dieses Übergangs lassen sich die Daten austauschen und per DB2-ODBC-SQL-Schnittstelle direkt vom PC abfragen.

Auch in Sachen elektronische Post liegen bereits erste Erfahrungen vor. Die DV-Abteilung installierte dazu die Betaversion von Microsoft Exchange für einige Benutzer, die nun über dieses System Nachrichten austauschen. "Insbesondere diese Funktionen wurden von den Benutzern gut angenommen", bilanziert Zimmermann. Im Zuge des Testprojektes nahmen die Verantwortlichen auch die Vertreterregelung unter die Lupe: Geht ein Mitarbeiter in den Urlaub, läßt sich in Exchange ein Vertreter eintragen, der dann automatisch die E-Mails des abwesenden Kollegen bekommt.

Weitere Anforderungen an Exchange war die Faxfunktionalität, die via Netzwerk jedem angeschlossenen Mitarbeiter zugänglich sein soll. Auch werden Merkmale wie Gruppennachrichten, Codierung beziehungsweise Chiffrierung von Nachrichten sowie die Integration in die vorherrschenden Benutzerumgebungen benötigt. Zum hauseigenen Memosystem auf dem Host gibt es bereits eine Schnittstelle. Das transparente System läßt den Benutzer nicht erkennen, ob er eine Nachricht zum Host oder zum nächsten PC sendet.

Auch der Anschluß an das Internet, zum Beispiel für die konzernweite Informationsinfrastruktur, ist im Werk Kassel ein Gesprächsthema. Hierfür müssen allerdings zunächst einige Sicherheitsstrukturen im Netzwerk, wie die Installation eines Routers als Firewall, konzipiert werden. Auch in dieser Umgebung soll Exchange als Front-end für Internet-Mails dienen. Obwohl Lotus Notes für Workgroup- und Client-Server-Anwendungen verbreiteter ist, räumt Mercedes-Benz konsequent den anderen Bausteinen von Exchange den Vorrang ein. Die Manager erhoffen sich dadurch eine einfache Integration in die bestehende Umgebung.

Die letzte Komponente von Back Office, der System Management Server (SMS), konnte in Kassel noch nicht installiert werden. Erfahrungen anderer Werke liegen jedoch vor. "Gerade das Inventory, also die Aufnahme der Endgeräte, läuft sehr gut", berichtet Friedrich vom Treffen mit seinen Kollegen. Vorstellbar wäre, später eine Schnittstelle zu Openview von Hewlett-Packard (HP) und damit der Netzwerkverwaltung zu finden. Mit Openview ist es derzeit nur sehr schwer möglich, auch noch die PCs mitzuverwalten, da hierfür erst auf jedem Client ein SNMP-Agent installiert werden müßte. Außerdem beinhalten die Standard-MIBs, die von SNMP unterstützt werden, nur ungenügende Informationen bezüglich der PC-Ausstattung. Interessanter ist es deshalb, alle PCs mit SMS zu verwalten und zu dokumentieren. Gegebenenfalls können die gewonnenen Daten vorverarbeitet und Openview mitgeteilt werden. Der SMS ließe sich als SNMP-Agent konfigurieren und könnte als Proxy für die angeschlossenen PCs dienen.

Geplant ist, die Daten des SMS mit der SQL-Server-Anwendung auszutauschen, da der SMS zwar physikalische Daten wie Prozessor, RAM und sonstige Ausstattung erfaßt, in der SQL-Server-Anwendung jedoch weitere Informationen wie Seriennummer, Kostenstelle, Daten für Bestellungen und Aufträge vorliegen. Ebenso übernimmt die SQL-Server-Datenbank SMS-Funktionen für die PCs, die noch nicht in das NT-Netz integriert sind.

Auch für die Zukunft geht den Mercedes-Benz-Leuten die Arbeit nicht aus: Neben der Integration der restlichen 450 PCs in das Windows-NT-Netz, der Umstellung von MS-Mail auf Exchange und der Installation des SMS steht noch das Downsizing der CAD-Workstations an. Das IBM-Zeichenprogramm Catia läuft derzeit auf RS/6000-Workstations unter AIX. Per Formatumwandlung können Zeichnungen heute bereits auf PC-Basis in Autocad weiterverarbeitet werden. In Zukunft soll auf Autocad für Windows NT umgesattelt werden. Vom Downsizing sind nur Workstations ausgenommen, auf denen rechenaufwendige 3D-Grafiken erstellt werden. Als Grund für das Downsizing nennt Friedrich den sich durch diese Maßnahme verringernden Betreuungsaufwand für die PCs. Das betreffe den zentralen Benutzerservice, aber auch die Wartung.

Angeklickt

Konsequent setzt Mercedes-Benz künftig auf Microsofts Back-Office-Konzept. Konzernweit führt der Automobilhersteller Windows NT als Vernetzungssystem und Server-Betriebssystem ein. Eine Netware-Testinstallation im Kasseler Werk brachen die Verantwortlichen zugunsten einer einheitlichen Infrastruktur, aber auch wegen Schwierigkeiten mit dem System ab, um dann das Microsoft-Produkt zu installieren.

Aus dem Portfolio der Softwerker kommen künftig Lösungen wie MS-Mail, SNA Server, Microsoft Exchange und der System Management Server zum Einsatz. Von der einheitlichen Umstellung auf Produkte mit MS-Logo erhoffen sich die IT-Fachleute, den Integrationsaufwand in Client-Server-Umgebungen zu reduzieren.

Microsoft Back Office

Die Server-Familie von Microsoft besteht derzeit aus sechs Komponenten:

- Windows NT als 32-Bit-Server-Betriebssystem für das Netzwerk,

- SNA Server als Gateway für die Kommunikation mit einem IBM-MVS-Host,

- SQL Server als SQL-Datenbank-Server,

- Exchange Server für die netzweiten Faxawendungen und elektronische Post (vormals Mail-Server),

- System Management Server für das System-Management und, seit kurzem,

- Internet Information Server für die Bereitstellung und Verwaltung von Informationen (zum Beispiel World-Wide-Web-Seiten) im weltweiten Internet oder dem firmeninternen Intranet.

*Andreas Gillhuber ist freier Journalist in München.