Durch Host-Integration und PVCS

Merant will seine Kunden für das E-Business ausrüsten

06.10.2000
ULM (as) - Die Integration von Daten und Geschäftslogik auf dem Host sowie das Software-Configuration-Management (SCM) bleiben für den Mainframe- und Cobol-Spezialisten Merant auch in Zukunft die wichtigsten Stützen des Geschäfts. Dieses soll dank der Produkt- und Servicestrategie "Egility Framework" künftig eine klarere Linie erhalten.

Die Eckdaten sprechen eine klare Sprache: Mindestens 70 Prozent aller unternehmenskritischen Anwendungen sind heute in Cobol geschrieben. 16000 große Unternehmen nutzen die Programmiersprache, weltweit sind zwischen 160 und 280 Milliarden Codezeilen im Einsatz, schätzungsweise zwei Millionen Programmierer sind mit der Sprache vertraut. Hinzu kommt, dass spätestens mit den Jahr-2000-Arbeiten neuerlich Investitionen in Millionenhöhe in die Systeme getätigt wurden, die eine Migration oder Neuentwicklung auch aus finanzieller Sicht nur schwer verständlich machen würden.

Es ist daher zu erwarten, dass die Host-basierten Cobol-Anwendungen ebenso wie die darunter liegenden Mainframe- und Midrange-Betriebssysteme und Rechnerplattformen noch lange ein zentraler Bestandteil der sich allerdings derzeit unter dem Einfluss von Internet und E-Business massiv ändernden Softwareinfrastrukturen in Unternehmen sein werden. Die kleine Schar an Cobol-Spezialisten, zu denen vor allem Merant, IBM, Fujitsu und Acucorp gehören, sieht sich vor diesem Szenario immer mehr zu einer zweigleisigen Produkt- und Servicestrategie gezwungen: Pflege und Unterstützung der bestehenden Anwendungen und die Schaffung von Integrationsmöglichkeiten mit modernen mehrschichtigen, eventuell Web-basierten Systemlandschaften.

Was nun Merant betrifft, so musste der Hersteller spätestens mit den letzten beiden enttäuschenden Quartalsergebnissen einsehen, dass das Lizenzgeschäft mit Produkten für die Cobol-Entwicklung mit dem Ende der Jahr-2000-Projekte künftig keine tragende Säule des eigenen Geschäftserfolgs mehr sein wird. Vielmehr will Merant sein Engagement stärker in Richtung E-Business lenken, was auf der diesjährigen Anwenderkonferenz in Ulm mit dem Motto "Perspektivwechsel" zum Ausdruck gebracht werden sollte. Konkret ging es vor allem darum, den rund 250 Teilnehmern die Ende letzten Jahres neugeordnete Produkt- und Servicestrategie "Egility Framework" näher zu erläutern (siehe CW 32/00, Seite 39).

Die insgesamt neun definierten Lösungsgruppen in Egility lassen sich dabei grob in zwei für Merant wesentliche, sprich lukrative Einsatzgebiete seiner bisherigen Tools untergliedern: Zum einen die Integration und Modernisierung von Hosts auf Daten- und Prozessebene, wobei technisch insbesondere die Extensible Markup Language (XML) als Grundlage für die semantische Auszeichnung von Mainframe-Daten sowie die Weiterverwendung von Cobol-Code mittels "Wrapping" in komponentenbasierten, vorzugsweise Java-gestützten Anwendungsszenarien an Bedeutung gewinnen soll. So bietet etwa Version 3.1 der Entwicklungsumgebung "Net Express" die Möglichkeit, Cobol-Applikationen ganz oder teilweise in EJB- oder COM-Komponenten zu verpacken und sie damit plattformunabhängig zu machen. Die Applikationen lassen sich so über jeden Web-Browser nutzen.

Zum anderen hofft Merant, das Einsatzgebiet des weit verbreiteten SCM-Produkts "PVCS" weiter auszudehnen. Ist dieses bisher vor allem ein wichtiges Tool für die Steuerung und Verwaltung von lokalen Entwicklungsprojekten, so kann mit der Variante "PVCS Dimensions" nun auch erstmals ein übergreifender Workflow implementiert werden, der komplexe Entwicklungsprozesse und mehrere Projekte zugleich steuern helfen soll. Diese SCM-Funktion, die beispielsweise auch Merant Konkurrenten Rational und Continuus bieten, wird nach Ansicht von Marktbeobachtern für die Systemverwaltung an Bedeutung gewinnen. Grund ist, dass Entwicklerteams zusehends verteilt arbeiten und vor allem, dass das E-Business immer kürzere Entwicklungs-, Wartungs- und Release-Zyklen mit sich bringt, die ohne ein umfassendes "Enterprise SCM" praktisch nicht mehr kontrollierbar und fristgerecht zu bewältigen sind. Zugleich entwickelt sich das "klassische" SCM, das bisher vor allem die Verwaltung von Code übernahm, in Richtung kollaboratives Content-Management. Dies ist wiederum ein künftig sehr lukratives Einsatzgebiet, in das sich Anbieter von Dokumenten-Management-Produkten wie Documentum, Lotus oder Opentext, Hersteller der Web-Publishing-Branche wie Vignette sowie auch E-Commerce-Akteure wie Broadvision oder Open Market hineinbewegen.

Angesichts dieser Ballung wird sich Merant mit PVCS wohl vorerst auf die eigentliche Softwareerstellung konzentrieren. Dabei möchte der Hersteller sein SCM-Produkt mehr als bisher als zentrales Repository bei der Web- und komponentenbasierten Entwicklung empfehlen. In diesem Zusammenhang hatte das Unternehmen kürzlich die ASP-Dienstleistung "Asap" vorgestellt, die es Programmierern ermöglicht, über Intels Online Services PVCS und andere Tools über das Internet zu mieten. Gegenüber der COMPUTERWOCHE stellte Andrew Weiss, Chief Technology Officer bei Merant, zudem in Aussicht, dass PVCS in der Zukunft Funktionen für Web-Designer und Web-Master bekommt, die traditionelles Web-Content-Management (WCM) für die Softwareentwicklung nutzbar machen soll. "Wir glauben, dass Tools, die sich auf WCM beschränken, dem Kunden nur kurzfristig helfen, da immer auch bestehende Anwendungen integriert werden müssen. Das traditionelle Change-Management wird deshalb mit WCM verschmelzen."

Allerdings ist das Unternehmen bei aller Aufgeschlossenheit gegenüber technischen Neuerungen und sich ändernden Anwendungslandschaften im hohen Maße abhängig von der Unterstützung durch seine Kunden. Diese kommen insbesondere aus der Banken- und Finanzbranche, den Rechnenzentren und öffentlichen Verwaltung und sind in erster Linie froh, dass ihre strategischen Cobol-Anwendungen stabil laufen, die Wartung durch eingespielte Mitarbeiter erfolgt und die getätigten Investitionen nicht umsonst waren. Eine Anbindung dieser Host-Anwendungen sieht dann, wie es auf der Konferenz immer wieder zu hören war, in erster Linie eine Modernisierung des GUI sowie selbstgestrickte Punkt-zu-Punkt-Verbindungen vor, während Technologien wie EJB oder XML noch weitgehend Zukunftsmusik sind.

Klassische Integration und nicht EAIWeiss räumte zudem ein, dass selbst geschriebene Schnittstellen etwa in Cobol immer noch die häufigste Integrationsform für den Mainframe sind. Grund hierfür sei seiner Ansicht nach, dass ein umfassendes Wissen über die anzubindende Anwendung nötig ist. Er beobachte allerdings, dass immer mehr Firmen dazu übergehen, die Anbindung solcher Anwendungen an andere Backoffice-Systeme oder an das Web durch Produkte, wie Merant sie bietet, zu automatisieren. "In der Mehrheit der derzeit laufenden Arbeiten geht es nicht um Entwicklung auf dem Mainframe, sondern um die Anbindung der Anwendung an eine heterogene Systemlandschaft über Services wie Cics oder MQ Series - vorausgesetzt, das Unternehmen kennt seine Geschäftsprozesse", resümiert Weiss.

Die häufigste Art der Integration bleibe zudem die Replizierung von Daten, wobei es auch heute noch erstaunlich aufwändige Fälle gebe: "Ich kenne ein großes US-Finanzinstitut, das etwa 70 produktive Datenhaltungen hat und den Austausch per zehntausende FTP-Jobs pro Woche macht", sagt Weiss. Merant biete in seinen Produkten den Zugriff auf Datenhaltungen über ODBC oder JDBC, VSAM sowie auf R/3. Die Verwaltung kann nun auch über ein zentrales Metadaten-Repository ermöglicht werden. Eine Weiterentwicklung der Produkte in Richtung umfassender Lösungen für Enterprise Application Integration (EAI) schließt Weiss allerdings aus. "Unsere Aufgabe ist vor allem die Integration von Individualsoftware, die Anbindung von Standardsoftware überlassen wir unseren Partnern."

Abb: Mit dem Egility-Framework soll sich die komplette E-Business-Infrastruktur erstellen lassen. Quelle: Merant