Menschen und Medien

21.12.1979

Stiftung für Kommunikationsforschung

Zwei Grundströmungen gegenüber der Technik formieren sich gegenwärtig in der deutschen Gesellschaft: Die Anhänger moderner Technologien setzen darauf, daß wir nur mit deren Hilfe unseren Lebensstandard würden halten können, die Skeptiker befürchten hingegen, daß der Mensch mehr und mehr durch die Technik ersetzt oder manipuliert werde. Beide Gruppen nehmen allmählich den Charakter von Bekenntnis-Bewegungen an - es zählen Annahme und Glaube, weniger das Argument.

In dieser Situation kann es hilfreich sein, sich daran zu erinnern daß wir Menschen im physischen Bereich Kommunikation mit den Augen, mit den Ohren, mit dem Mund und mit den Händen herstellen; wir sehen, hören sprechen, hantieren. Die Art der Beziehungen zwischen Technik und Mensch mag eindeutiger werden, wenn man der Frage nachgeht, wo denn diese "Kommunikationswerkzeuge" des Menschen gefordert werden und wann sie harmonisch oder disharmonisch reagieren. Wir wollen das an den Beispielen der Medien Rundfunk, Fernsehen, Telefon und Computer untersuchen.

Bilderstürmer gegen neue Technologien

Gegenwärtig ist es so, daß von Rundfunk und Fernsehen allenfalls Auge und Ohr in Anspruch genommen werden, nicht aber Mund und Hände. Darüber vor allem sollten die Bilderstürmer gegen neue Technologien nachdenken, wenn sie einen angemessenen Gegenstand für ihren kulturpessimistischen Zorn suchen. Vielleicht müssen wir die Entscheidung, welche "Werkzeuge" unseres Kommunikationsorganismus wir einsetzen, zu unserer ureigenen Sache machen. Die "Gesellschaft" für alles verantwortlich zu machen, was Menschen widerfahren kann, ist weder sachlich berechtigt, noch kann Klagen eigenes. Handeln ersetzen.

Das gilt um so mehr, wenn man sich einmal bewußt macht, was das Fernsehen uns in seinen Unterhaltungssendungen an uralten Importschinken vorsetzt, die einst zudem von kommerziellen Privatproduzenten hergestellt wurden, heute aber zu einer Restauration moralischer, gesellschaftlicher und rechtlicher Vorstellungen einladen. Daß dies so ist, hängt mit der Bürokratisierung unserer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zusammen, die seit langem nicht mehr in der Lage sind, jeweils aktuelle Programme zu produzieren und anzubieten. Man stelle sich einmal eine Tageszeitung vor, die mangels einer aktuellen Ausgabe den Lesern eine Zeitungsnummer aus dem Jahre 1947 oder aus dem Jahre 1957 anbieten würde!

Leipziger Allerlei eine Götterspeise

Das Fernsehen hat sicher auch zu einer Nivellierung in der Bewertung von Informationen beigetragen. Politik, Spaß, Tod, Unglück, Belangloses mischen sich in den Nachrichten zusammenhanglos. Dadurch wird die Bereitschaft und die Fähigkeit des Menschen reduziert, glücklich, betroffen, erschüttert oder einfach informiert zu sein. Die übergangslose Folge von Nachrichten führt dazu, alles und jedes in einen Einheitsbrei von Gehörtem und Gesehenem zu vermanschen. Leipziger Allerlei ist dagegen eine Götterspeise!

Für die aktiven Gruppen in unserer Gesellschaft - die Berufstätigen - hat das Telefon eine besondere Wirkung. Die in der Produktion Tätigen nutzen es wenig, aber die in der "Schreibtisch-Gesellschaft" Ansässigen haben das Telefon geradezu zu einem Ersatz-Produktionsmittel gemacht. Das Telefon ist ein exzellentes Instrument, um von der Arbeit abzulenken und sich zugleich einzureden, man tue etwas und werde dennoch an wirklicher Arbeit gehindert. Das Telefon ist geradezu eine säkulansierte Nachempfindung der ehristlichen Erlebnisreihe Sünde - Reue - Vergebung. Es bricht zudem in den privaten Lebensraum ein, ohne zu fragen oder sich anzumelden. Die meisten von uns nehmen es hin, daß das Telefon zu jeder Tages- und Nachtzeit in unser Heim einbricht und auf diese Weise die Trennung zwischen beruflicher Existenz und privatem Leben einfach unterläuft. So ist das Telefon zum eigentlichen Symbol für unser Unvermögen geworden, technische Angebote nach unseren eigenen Wünschen in unser Leben einzuordnen. Wir verfahren mit diesem Gerät normalerweise genau umgekehrt: Es kann uns stören, wann immer es mag. Weit mehr -als Rundfunk oder Fernsehen ist es dem Telefon gelungen, die Grenzen zwischen Arbeit und Beschäftigung, zwischen privatem Leben und beruflichem Dasein zu unterspülen. Seltsam: Die Bilderstürmer gegen die Technik haben das Telefon bislang übersehen. Wohl deshalb, weil sie bereitwillig sein Opfer geworden sind?

Erfüllungsgehilfen zentraler Systeme?

Und nun zum Computer! Seine Verbreitung nimmt sich gegenüber der des Telefons geradezu bescheiden aus. Terminals können dazu helfen, daß der Finanzbeamte Müller mit dem Steuerzahler Meier endlich wieder "Klartext" und unmittelbar reden kann - deshalb, weil der Finanzbeamte den großen Computer befragen und seine Informationen direkt mit seinem Gesprächspartner an der anderen Leitung diskutieren kann, und umgekehrt.

Was soll das heißen? Sind die Computer in ihrer Summe nicht eine neue Form von Großtechnologie? Sie können sicherlich dazu werden. Dann nämlich, wenn die "kleinen Riesen" zu Erfüllungsgehilfen zentraler Systelhe gemacht würden, wenn der "große Bruder" das Hören, das Sehen und das Sagen bekäme.

Aber, ob das geschieht, ist keine Frage der Technik, sondern eine der Politik und der Entscheidung von uns allen über die Organisation und Struktur unseres Lebens. Das Erstaunliehe an unserer gegenwärtigen Situation ist, daß viele das kulturelle Unbehagen auf den Computer abladen, obwohl das staatsbürgerliche Mißvergnügen längst ein sicheres Ziel im Fernsehen oder im Telefon hätte finden können! Was da und bekannt ist, wird übersehen, was kommen könnte, wird dramatisiert.