Neue Software spaltet die Anwendergemeinde

Mehrplattformen-Konzept R/3 bringt SAP auf Distanz zur IBM

28.02.1992

WALLDORF (hv) - Die SAP AG läßt sich mit ihrer R/3-Software auf keine Zugeständnisse gegenüber ihrer Mainframe-Kundschaft ein. So wird das neue Produktpaket entgegen früheren Absichten ausschließlich grafikorientiert sein - alphanumerische Terminals bleiben außen vor. Wie wenig R/3 noch mit dem Vorgänger R/2 gemein hat, machte Vorstandsmitglied Hasso Plattner deutlich.

"Wir haben letzte Woche beschlossen, Character-based-Terminals werden von R/3 nicht unterstützt", erklärte der Unternehmenssprecher vor der Presse. Mit der neuen Software setze SAP auf die verschiedenen Grafikoberflächen, die auf Workstations und PCs zur Verfügung stünden.

Der Vorstandssprecher betonte, er freue sich darüber, mit seinem Unternehmen noch rechtzeitig auf den Open-Systems-Zug aufgesprungen zu sein. Die neue Softwaregeneration sei vorerst für dein Einsatz auf RISC-basierten Rechnerarchitekturen vorgesehen. Die Anwendungen unterstützten Client-Server-Konzepte und basierten auf relationalen Datenbanksystemen, wobei Oracle zunächst den Vorzug vor konkurrierenden SQL-Datenbanken erhalten habe.

Viel diplomatisches Geschick mußte Plattner in seinem Vortrag dann allerdings aufbieten, als es darum ging, die in über 80 Prozent der 100 größten deutschen Unternehmen installierte R/2-Software - heute noch die Cash-cow der SAP - nicht allzu sehr in den Schatten des moderneren R/3-Konzeptes zu stellen. So kündigte der Vorstandssprecher einerseits das Ende des alphanumerischen 3270-Terminals im R/3-Konzept an.

Er redete Client-Server-Umgebungen und einer verteilten Datenverarbeitung das Wort, beeilte sich aber andererseits zu versichern, heutige R/2-Anwender, die mit einer IBM-/370 arbeiteten, seien noch bis weit in die 90er Jahre hinein State of the

Art.

SAP werde über die nächsten zehn Jahre eine zweigleisige Strategie fahren, indem beide Software-Umgebungen parallel weiterentwickelt und vermarktet würden. Marktbeobachter zweifeln indes, ob die Walldorfer diesen finanziellen Kraftakt - bis 1994 wird die R/3-Entwicklung etwa 300 Millionen Mark verschlingen - problemlos verkraften können.

Ein "Krieg der verschiedenen Systemwelten" liege keineswegs im Interesse der SAP, betonte der Vorstandssprecher. Munter rührte er die Werbetrommel für die Brot-und-Butter-Software R/2. Mit dem im letzten Jahr herausgegebenen Release 5.0 könne sie als die bislang umfangreichste Software der Walldorfer überhaupt gelten. Das Paket beinhalte eine komplette Betriebswirtschaft - und zwar auf internationaler Ebene. "R/2 ist auf /370-Plattformen heute die Lösung", bekräftigte Plattner.

Daß aber IBMs /370-Mainframe im Zeitalter der offenen Systeme keineswegs mehr der Rechner ist, ließ der SAP-Sprecher ebenfalls durchblicken. Er kritisierte das SAA-Konzept von IBM, in dem die /370-Architektur bekanntlich eine tragende Rolle spielt. Heute sei fraglich geworden, ob IBMs SAA-Konzept der richtige Weg sei, eine firmenweite Integration der Systeme herzustellen.

"SAA hat nicht die Erfolge gebracht, die erwartet worden sind", so Plattner. Diese Erfolge seien jedoch mit offenen Systemen heute durchaus erreichbar. So habe sein Unternehmen bei der Entwicklung von R/3 gemerkt, daß im Gegensatz zu SAA "die Kompatibilität in den offenen Systemumgebungen bereits per definitionem da ist."

Entsprechend berücksichtigt das dreistufige Client-Server-Konzept von R/3, in dem Datenbank-, Applikations- und Präsentations-Server über LAN-Verbindungen zusammenarbeiten, die gängigen Open-Systems-Standards. Damit wird das Programmpaket über verschiedene technische Plattformen hinweg einsetzbar sein. Produktionsnahe Software und Anwendungen für die Bürokommunikation lassen sich ebenfalls über entsprechende Schnittstellen anschließen.

Die AS/400 hat keine Priorität

Mit einem solchen Konzept hat auch die zweite SAA-Rechnerarchitektur, die proprietäre AS/400-Serie, gegenwärtig nichts gemein. Daher läßt SAP im Midrange-Bereich lieber erst einmal eine Versorgungslücke klaffen und verweist auf das Angebot ihrer mittelständisch orientierten Tochtergesellschaft Steeb-CAS. Die R/3-Politik in diesem Marktsegment formuliert Plattner so: "Wir lassen die herkömmlichen Midrange-Rechner auf der Zeitachse lieber kurzfristig aus."

Ob die Software auf AS/400-Maschinen überhaupt jemals eingesetzt werden kann, wird von SAP zwar beteuert, von der Fachwelt jedoch angezweifelt. Auch Anwender aus der proprietären IBM-Welt können beim gegenwärtigen Entwicklungstempo im Großrechnerbereich de facto nicht vor Mitte der 90er Jahre mit der Installation und Integration erster R/3-Module rechnen. "Die neue RISC-basierte Rechnerwelt", daraus macht der SAP-Sprecher keinen Hehl, "wird kurzfristig nicht mit der Mainframe-Welt zusammenkommen." R/2-Anwender, die bereits heute an R/3 interessiert seien, müßten eine parallele Einführung in Kauf nehmen. "Es macht technisch keinen Sinn, daß Unternehmen wie Chemical Dow, Daimler-Benz oder Du Pont schon heute R/2 gegen R/3 eintauschen", bekräftigte der Vorstandssprecher.

Erst wenn die entsprechenden Systemvoraussetzungen gegeben seien, könnten auch Migrationsstrategien angegangen werden. Der Großrechner lasse sich ab diesem Zeitpunkt als Datenbank-Server in einer R/3-Umgebung weiter nutzen.

Der Zeitpunkt 199i ist für Analysten wie Helmut Gümbel von der Münchner Niederlassung der Gartner Group durchaus plausibel, nicht zuletzt deshalb, weil dann die /370-Architektur von IBM wohl "ihrem Abschied nehmen" werde. Mitte des Jahrzehnts sei die Technik soweit, daß in einem "Hochgeschwindigkeits-Multi-CPU-Verbund" ein /370-Server eingegliedert werden könne - eine sanfte Migration werfe dann keine allzu großen Probleme mehr auf.

Mainframe-Anwender - der Analyst spricht von "Dampfmaschinen-Betreibern" - planen laut Gümbel ohnehin für Mitte der 90er Jahre den Umstieg in eine modernere, aber /370-kompatible Hardwarelandschaft. Anwendungsbestandteile, zum Beispiel die Präsentationskomponente, würden ausgelagert und auf verschiedene Systeme verteilt. "Da ist eine R/3-Architektur als Erweiterung zu R/2 - als Komplementärarchitektur also - bestens geeignet."

Die Datenmodelle werden jetzt offengelegt

Nicht nur die technische Leistungsstärke, auch die häufig kritisierte Kundenbetreuung dürfte mit der R/3-Einführung bei SAP einen neuen Stellenwert bekommen. Anders als bei der R/2-Vermarktung planen die Walldorfer nämlich, größeren Wert auf das Thema "Customizing" zu legen. Hatte das Softwarehaus bei der Vermarktung von R/2 stets darauf verzichtet, das Datenmodell der Standardsoftware herauszugeben, so wird sich diese Politik mit Auslieferung der ersten R/3-Module grundsätzlich ändern. "Wir stellen die Systeme und die Modelle zur Verfügung", gelobt der SAP-Sprecher, und meint damit Daten-, Prozeß- und Funktionsmodelle.

Für den Anwender bedeutet dies, daß er sein unternehmensweites Datenmodell - sofern vorhanden - mit dem R/3-eigenen Modell in Einklang bringen kann. "Mit der Freigabe des Datenmodells hat sich SAP an die vorderste Front der Applikationshersteller weltweit geboxt", betont Gartner-Analyst Gümbel. Auf diese Weise könnten Anwender Standardsoftware einsetzen und trotzdem ein unternehmensweites DV-Konzept realisieren.

Dies sei mit bisherigen Standardsoftware-Produkten, wo das Datenmodell nicht freigegeben war und der Anwender es mühsam aus dem Code herauszukristallisieren hatte, nicht möglich gewesen.