Komplexitäts-Management

Mehr Cloud erfordert auch mehr IT-Governance

20.08.2014
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Folker Scholz schreibt zu den Themen Governance, Risk, Compliance, Nachhaltigkeit/CSR und Veränderungsmanagement. Als selbständiger Berater und Coach hilft er Unternehmen das dynamische IT-Umfeld und den Innovationsdruck neuer Geschäftsmodelle zu beherrschen. Er engagiert sich in der Fachgruppe Cloud der ISACA, in der Risk Management Association (RMA) und im Deutschen Netzwerk Wirtschaftsethik (DNWE).
Edgar Röder ist Senior Consultant bei der DHC Dr. Herterich & Consultants GmbH und Mitglied der Fachgruppe Cloud Computing im ISACA Germany Chapter.
Jürgen Sonsalla ist ICT Security Officer bei der Flughafen Köln Bonn GmbH und Mitglied der Fachgruppe Cloud Computing im ISACA Germany Chapter.
Flexible Cloud-Angebote verlocken zur Bildung von fachabteilungseigener Schatten-IT. Gleichzeitig steigen Komplexität und Risiken der internationalen IT-Bereitstellung. Chance und Herausforderung für die IT besteht darin, das Komplexitäts-Management für die Fachabteilungen zu übernehmen. Dies hat zwangläufig tiefgreifende Auswirkungen auf die Produktionstiefe der IT, die IT-Governance und die Kompetenzen der IT-Mitarbeiter.

Neue Technologien hatten schon immer das Potenzial, Verhaltensänderungen zu provozieren. Gerade die IT-Abteilungen von Unternehmen können ein Lied davon singen. Nicht allein, dass sich die Benutzer an den Fortschritt anpassen mussten. Auch die IT selbst war immer wieder gezwungen, sich den von ihr erzeugten Veränderungen zu unterwerfen.

Die ersten Computer waren exotische Maschinen, die von einer Gruppe hoch spezialisierter Techniker programmiert, gewartet und bedient wurden. Wollte man etwas von einem Computer, so hatte man sich an die IT zu wenden. Das Ergebnis war in der Regel ein Stapel grün-weiß-gestreiftes Endlospapier mit Löchern an den Rändern. Für die Interpretation der Ergebnisse war es meist hilfreich, einen guten Kontakt zur IT zu pflegen.

Mehr Cloud Computing erfordert auch mehr IT-Governance.
Mehr Cloud Computing erfordert auch mehr IT-Governance.
Foto: Vladislav Kochelaevs - Fotolia.com

Irgendwann durfte dann "das Business" auch in direkten Kontakt mit dem Computer treten: Terminals erlaubten es, Eingaben selbst vorzunehmen und die Ergebnisse unmittelbar angezeigt zu bekommen. Der Computer wurde für den gemeinen Benutzer im wahrsten Sinne des Wortes "begreifbar". Verständnis und Erwartungen stiegen. Verwaltung und etwaige Veränderungen der Systemumgebung blieben aber dem Kreis der IT-Experten vorbehalten.

Der ursprüngliche Kontrollverlust

Die Verbreitung von PCs leitete dann die erste echte Revolution ein. Die Benutzer hatten plötzlich die Hoheit über ihre blechernen Rechendiener. Diskettenlaufwerke erlaubten es, eigene Programme zu installieren. Die IT-Abteilung hatte die Kontrolle über den Zugang zu den Rechnern verloren. Und sie musste erstmals nicht mehr nur ihr eigenes Fehlverhalten ausbügeln, sondern auch noch das ihrer Benutzer.

In der Konsequenz benötigte die IT-Organisation "Vor-Ort-Präsenz", und sie stand vor der Herausforderung, die Benutzer zu verantwortungsbewussten Partnern zu entwickeln. Keine einfache Umstellung!

An Schulen und Universitäten gehörte Informatik ab den 80er Jahren zum Pflichtprogramm einer wirtschaftsnahen Ausbildung. Auf diese Weise brachte eine wachsende Zahl an Berufsanfängern in den Fachabteilugen solides informationstechnisches Rüstzeug mit. Und dann wurden die PCs auch noch so billig, dass private Haushalte sie sich leisten konnten. Spätestens dann musste die IT den nächsten herben Verlust einstecken: Das Kompetenzmonopol ging verloren. Engagierte Benutzer lernten, auch ohne Hilfe der IT-Abteilung mit den PCs umzugehen. Auf eigene Faust entdeckten sie die Vielfalt der Möglichkeiten, die den immer stärker standardisierten Geräten innewohnten.

Simplizität in der Benutzung wurde vor allem durch Apple, Windows und das World Wide Web zum Prinzip erhoben. Damit erwachten neue Ansprüche an die berufsseitig zur Verfügung gestellten Verfahren. Viele Fachabteilungen emanzipierten sich gegenüber den IT-Abteilungen. Sie verstanden genug von der Materie, um klare Erwartungen an die Verfahren und die Unterstützung zu stellen. Sie mutierten vom Bittsteller zum Kunden und Auftraggeber. Wurden ihre Erwartungen nicht erfüllt, kauften sie woanders ein. Und oft war es nur ein kleiner Schritt, bis sie eigene Schatten-IT-Abteilungen hochzogen oder Services direkt einkauften.

Pizza-Service oder eigene Küche?

Mittlerweile ist IT allgegenwärtig: Smartphones verfügen über Rechentechnik, die man sich vor Jahren für Hochleistungs-Workstations gewünscht hätte. Selbst Kaffeemaschinen, Uhren, TV und Autos verweigern ohne Prozessoren ihren Dienst und sind zunehmend über das "Internet der Dinge" miteinander vernetzt - häufig ohne jegliches Zutun der firmeneigenen IT-Abteilung.

Bei Bedarf soll aber selbstverständlich alles auch in der Firmenumgebung zur Verfügung stehen. Und wehe, es funktioniert nicht. Dann ist die IT-Abteilung unfähig, veraltet, unkooperativ oder halt einfach nur schuld.

Und nun auch noch die Cloud. Alles wird fertig über das Internet an den Kunden geliefert. Braucht man etwas, geht man auf einen virtuellen Marktplatz und lädt sich einfach eine App herunter. Und was im Privaten funktioniert, sollte doch wohl erst recht im Business-Bereich möglich sein! Personalabrechnung, Rechnungswesen, Office oder E-Mail - alles lässt sich über die Cloud so einfach buchen wie Pizza mit Pilzen, Salami und Oliven. Oder etwa nicht?

Ganz natürlich drängt sich dann auch die Frage auf, wofür man dann noch die Küche und den Koch - respektive die IT - braucht. Die Antwort: Den Pizzaservice und das Fastfood-Restaurant interessiert weder Ihre Gesundheit, noch erhalten Sie dort ein individuelles Menü noch entsprechen Öffnungszeiten Ihren speziellen Bedürfnissen.

Wenn Sie ein Geschäftsmodell haben, in dem die IT dazu beiträgt, Ihr Alleinstellungsmerkmal zu unterstützen, dann brauchen Sie auch eine IT, die Ihnen dieses Spezialmenü kocht. Und ist die Küche erst mal wegrationalisiert, rennen Sie für jeden Kaffee und jedes belegte Brot zum Coffee-Shop oder zum Bäcker - zu Preisen, die Sie selten erfreuen.

Kurzum: Pizza-Service und eigene Küche haben beide eine Daseinsberechtigung, ebenso wie Cloud-Services und die interne IT. Die Rolle der IT wird sich allerdings ändern, nicht zuletzt, weil der Druck von außen wächst.

Dynamik, Dynamik, Dynamik…

In den meisten Branchen, vor allem aber in der IT, beherrscht eine wachsende Dynamik die Märkte. Globalisierung und steigende Transparenz durch das Internet geben Innovationen die Chance, sich extrem schnell durchzusetzen. Schafft es jemand, Kostenvorteile zu erzielen und diese marktfähig anzubieten, gerät der Mitbewerb schnell unter Druck. Das Geschäft wird vielfach kurzfristiger und risikoreicher.

Gleichzeitig wächst der Wunsch, Investitionen zu vermeiden und Leistungen möglichst bedarfsgerecht einzukaufen. Mietmodelle, "Pay-per-Use" und Flexibilität bestimmen zunehmend Einkauf und Angebot. Die Produktlebenszyklen werden immer kürzer. Häufige Anbieter- und Standort-Wechsel folgen den flexiblen Möglichkeiten. Entsprechend bilden sich immer komplexere und fragilere Lieferketten.

Standardisierung kann diesem Trend nur begrenzt entgegen wirken. Im Gegenteil: Es ist eine immer höhere Spezialisierung zu beobachten. Die benötigte IT komplett zu beherrschen wird für eine IT-Abteilung zusehens schwieriger. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass die IT-Abteilung nach Wegen sucht, nicht immer alle Fähigkeiten entwickeln und aktuell halten zu müssen. Schließlich soll sie ja auch noch günstig sein.

Dienstleister können sich leichter spezialisieren und gleichzeitig Skaleneffekte erzielen, wodurch sie viele Services effektiver und damit auch günstiger anbieten. Deren Nutzung entlastet die IT. Doch sollte dieser Schritt wohl bedacht sein. Externe Dienstleister einzusetzen oder einen bereits genutzten Service zu wechseln produziert immer Transformationsaufwände - insbesondere mit zunehmender Spezialisierung und Kundenindividualität des Service. Die Aufwände fallen entweder direkt an, oder sie werden von den Dienstleistern auf eine längere Laufzeit umgelegt. Die Flexibilität kann also teuer werden und die Kostenvorteile des Betriebs schnell auffressen.

Zudem stehen die Anbieter vieler Services mittlerweile selbst Wettbewerbs- und Kostendruck. Nun ist Kostendruck auf Seiten der Dienstleister einem sorgfältigen Umgang mit den Kundenbelangen nicht unbedingt förderlich. Vielmehr macht er sogar fehleranfällig. Wenn der Partner aus anderen Ländern oder sogar Kontinenten stammt, sind auch kulturelle Unterschiede ein Thema, denn sie bilden einen Nährboden für abweichende Einschätzungen und Missverständnisse.