STEV grenzt Qualitätsmerkmale ein:

Mehr als zehn Kriterien für User unzumutbar

16.12.1983

Immer häufiger rückt die Forderung nach Softwarequalität in den Mittelpunkt der Entwicklungs- und Beschaffungsvorhaben. Die Liste der Qualitätsmerkmale wird deshalb immer länger: Zuverlässigkeit, Benutzerfreundlichkeit, Wartbarkeit oder Portabilität sind jedoch nur leere Begriffe, solange niemand nachmißt, ob und inwieweit diese Qualitätskriterien erfüllt sind. Der Verein Softwaretest (STEV), Ulm, hat auf seiner letzten Tagung im November 1983 in Ulm eine vollständige Definition aller Qualitätsmerkmale zur Diskussion gestellt.

Mehr als 50 einzelne Qualitätsmerkmale hat ein STEV-Arbeitskreis unter Leitung von Dr. Franz Schweiggert in zweijähriger Forschungstätigkeit zusammengetragen. Die in zahlreichen Veröffentlichungen genannten Begriffe und ihre Bedeutung sind, so das Ergebnis der Untersuchungen, zum Teil widersprüchlich und überschneiden sich in manchen Beriechen. Die Arbeiten des STEV hatten das Ziel, die Qualitätsmerkmale, soweit möglich, vollständig zu definieren und deren Überprüfbarkeit sicherzustellen.

Dabei ging Franz Schweiggert nach dem Motto vor: "Zerlege eine komplexe Aufgabenstellung so lange in einfachere Teilaufgaben, bis diese mit verfügbaren und bekannten Methoden und Hilfsmitteln lösbar sind."

Produktmerkmale definieren

Die Schwierigkeit, die dabei auftrat, zeigte sich in der Struktur, das heißt, in der Zugehörigkeit der Grundeigenschaften und Merkmale eines Softwareproduktes zu den Überbegriffen, wie etwa Benutzerfreundlichkeit oder Wartbarkeit.

Schließlich ist es keinem Anwender zumutbar, mehr als acht bis zehn Haupteigenschaften einzeln zu beurteilen und ein Produkt danach auszuwählen. Die gefundenen Grundeigenschaften müssen also aggregiert werden, um den Überblick zu bewahren. Dieses Problem tritt bei jedem Qualitätsmerkmal auf, denn eine Eigenschaft wie Zuverlässigkeit läßt sich nicht durch eine einzige Frage analysieren. Allein die Zuverlässigkeit, um bei diesem Beispiel zu bleiben, wirft Fragen nach der Verfügbarkeit, Wiederherstellbarkeit, Sicherheit oder Korrektheit auf.

Jedes dieser einzelnen Qualitätskriterien muß nun seinerseits wieder analysiert werden, um geeignete Prüfmethoden zu finden, die herausfinden, ob ein Produkt diese Eigenschaft hat oder nicht. Das Endergebnis der Arbeiten des STEV ist ein Verfahren zur Prüfung von Software hinsichtlich aller "Merkmale und Eigenschaften eines Produkts, die geeignet sind, gegebene Anforderungen an das Produkt zu erfüllen". So verlangt es die Definition des Begriffs "Qualität" nach DIN.

Bei den Überlegungen zur Definition der Qualitätsmerkmale ging der STEV davon aus, daß es verschiedene Anforderungen an Softwareprodukte gibt: Den Anwender interessiert zunächst die Brauchbarkeit der Software. Darunter fallen Merkmale wie Funktionstüchtigkeit, Leistung (Effizienz), Zuverlässigkeit, Robustheit und Benutzungsfreundlichkeit.

Softwareentwickler sind - unabhängig davon, ob die entwickelte Software an Dritte verkauft werden soll oder nicht - vor allem an der Wartbarkeit ihres Produktes interessiert. Schließlich verursacht die Programmwartung ein Vielfaches der Entwicklungskosten.

Auch hinsichtlich dieses sehr wichtigen Qualitätskriteriums hat der STEV viele Merkmale herauskristallkisiert und in verständlicher Form definiert. Hierbei galt es vor allem, die Wartbarkeit gegen das dritte Qualitätsmerkmal, die "Anpaßbarkeit der Software" abzugrenzen.

Portable Software konzipieren

Kurz gesagt, geht es bei der Anpaßbarkeit um die Eigenschaften der Software, sie in andere Umgebungen zu portieren. Das bedeutet sowohl, ein Programm auf ein anderes Betriebssystem oder auf einen anderen Rechnertyp zu übertragen als auch, ein Programm oder Teile des Programms für andere (als die ursprünglich festgelegten) Anwendungen zu konzipieren. Ein Beispiel dazu ist etwa die Umstellung eines für die Kfz-Branche entwickelten Materialwirtschaftsprogramms auf die Anforderungen eines Unternehmens der Getränke-Industrie.

Die Diskussion der vorgelegten Kriterienliste mit den Tagungsteilnehmern, darunter Vertreter von Industrieunternehmen, Softwarehäusern, Service-Rechenzentren und Hochschulen, ergab eine große Zustimmung über die Vollständigkeit der aufgeführten Eigenschaften. Keine vollständige Übereinstimmung jedoch erzielte die Diskussionsrunde über die Zugehörigkeit einzelner Elementareigenschaften zu übergeordneten Qualitätsmerkmalen.

Kein Schema für Qualitätskriterien

Eine Lösung dieses Zuordnungskonflikts deutet sich jedoch an: Für die Qualitätsprüfung von Softwareprodukten werden alle Eigenschaften und Merkmale der einzelnen Funktionen eines Produkts analysiert und getestet. Auf dieser Ebene der Elementarmerkmale werden alle gleich behandelt, unabhängig von deren späterer Zuordnung zu übergeordneten Merkmalen bei der Aggregation der Prüfergebnisse.

Die Praxis hat gezeigt, daß diese Elementareigenschaften den geprüften Funktionen eines Protokolls individuell zugeordnet werden müssen. Es gibt - nach heutigem Stand der STEV-Untersuchungen - kein starres Schema der Qualitätsmerkmale für alle Produkte.

Dazu ein Beispiel: Die Rechengenauigkeit einer Verarbeitungsfunktion eines Kalkulationsprogramms, ist für die Funktionstüchtigkeit, also das übergeordnete Qualitätsmerkmal, wichtig und wird in diesem Falle auch entsprechend zugeordnet. Für ein Programm, das Meßergebnisse aus chemischen Analysen statistisch auswertet, ist die Genauigkeit eher dem übergeordneten Merkmal der Zuverlässigkeit zuzuordnen. Bei einem Programm, das aus einer Datenbank nach bestimmten Kriterien Datensätze selektiert, ist die Genauigkeit irrelevant: Entweder es liefert "genau" die gesuchten Ergebnisse, oder es liefert sie nicht. Eine Toleranz, wie etwa bei Rundungsfehlern in Multiplikationen, gibt es bei diesem Programm nicht.

In einer Reihe von "Pilot-Qualifikationstests", unter anderem durchgeführt an den Datenbanksystemen "Oracle" (auf einer VAX 780) und "dBASE II" (auf einem IBM-PC) haben sich die Definitionen der Qualitätsmerkmale und ihre Aufschlüsselung in Elementarmerkmale als praxisgerecht erwiesen.

Die Erfahrungen bei diesen Tests sollen in erster Linie den Anwendern Anhaltspunkte für die Programmauswahl und Beurteilung bieten. Nach den ersten Veröffentlichungen der Testberichte gab es eine recht lebhafte Reaktion von Anwendern, die weitere Testergebnisse über System- und Anwendungsprogramme vom STEV anforderten. Da derartige Qualitätstests aber sehr aufwendig sind und die Tests nach diesen Qualitätskriterien erst seit Mitte '83 durchgeführt werden, konnten bisher nicht alle Wünsche der Anwender erfüllt werden.