CITE-Konferenz

Megatrend Digitalisierung – Wie die IT zum Treiber wird

01.10.2014
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Informationstechnik verändert Märkte: Aus Produktanbietern werden Dienstleister; Unternehmen schließen sich zu Wertschöpfungsketten zusammen; die Grenzen zwischen Anbieter und Kunde werden durchlässig. Welche Rolle spielt die IT dabei?

Die Wettbewerbsdynamik erhöht sich ständig, die Parameter für das Geschäft verändern sich rapide. So beschrieb Andreas Gillhuber, Leiter Infrastruktur beim Energiedienstleister RWE, den Status quo nicht nur für seine, sondern für fast alle Branchen weltweit. Gillhuber war einer der beiden "Themenpaten" auf dem CITE-Workshop zum Thema Digitalisierung. Wie er berichtete, hat RWE zehn Projekte identifiziert, denen angesichts dieser Situation Top-Priorität gebührt.

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Eins der Top-ten-Projekte ist der Rollout des "Smart Metering". Im Zuge der Energiewende sollen auch die Privathaushalte mit elektronischen Zählern ausgerüstet werden, welche die mechanischen Energiemessgeräte ersetzen. Das führt zu einer Reihe komplexer Fragestellungen - von der nötigen Infrastruktur bis zu Themenbereichen wie Datenhaltung und Daten-Management ("Wem gehören welche Daten?"), Verschlüsselung etc.

Wie findet man konzernintern die wichtigsten Themen, die über die "Commodity IT" hinausgehen und zur Differenzierung des Unternehmens am Markt beitragen ("Differenting IT") - Indem man sich zunächst die strategischen Ziele des Business vor Augen führt, so Gillhubers Antwort: "RWE hat aus Geschäftssicht die zehn Top-Projekte definiert. Und jeder Bereich - einschließlich der IT - hat sich dann überlegt, wie er diese Projekte optimal unterstützen kann. Die Herausforderung war, diese neuen Themen neben dem "Alltagsgeschäft" anzugehen."

Eine Strategie haben viele …

So weit sind offenbar längst nicht alle Unternehmen - zumindest wenn man dem Marktforschungs- und Beratungsunternehmen Forrester Research glaubt, für den Stefan Ried, Vice President und Principal Analys, arbeitet. Forrester hat in einer Studie zum Thema Digitalisierung Folgendes herausgefunden: 93 Prozent der befragten Unternehmen sehen ihr Geschäft bedroht durch den Trend zur Digitalisierung, oder konkreter: durch neue Konkurrenten und Mitbewerber, die das Thema besser beherrschen. 74 Prozent haben denn auch eine digitale Strategie definiert. Aber nur 33 Prozent sind sicher, dass dies auch die richtige Strategie sei. Und lediglich 15 Prozent haben nach eigener Einschätzung die richtigen Leute mit der richtigen Qualifikation, um diese Strategie umzusetzen.

Ried lieferte auch eine Definition dafür, was "digitalisiertes Business" eigentlich bedeutet: Zum einen gehe es darum, mit Hilfe von IT die Wertschöpfung bis zum Kunden zu verbessern, was in vielen Fällen ein verändertes Geschäftsmodell impliziere. Aber gleichzeitig sei es notwendig, mit denselben Mitteln die operationalen Abläufe zu optimieren. Das eine funktioniere nicht ohne das andere. Deshalb sei beispielsweise Industrie 4.0 noch längst nicht zu Ende gedacht: Derzeit gehe es dort nur um Bottom-Line-Optimierung, aber am Ende der Überlegungen müsse der Kunde stehen.

Als ein Unternehmen, wo das Umdenken schon gut gelungen sei, nannte Ried den Prozessautomatisierungs-Spezialisten Endres + Hauser. Er begnüge sich nicht mehr damit, Sensoren für das Ermitteln von Füllständen in Öltanks zu verkaufen, sondern an einen gewissen Mindestfüllstand gekoppelte Nachfüllservices verkaufe - quasi einen nie leer werdenden Öltank. Dank der kumulierten Einkaufskraft könne er zudem günstige Preise erzielen.

Wenn IT und Marketing nicht miteinander können

Um den Schritt vom klassischen zum digitalen Geschäft zu meistern, müssen IT und Fachbereiche eng zusammenarbeiten, sagte Gillhuber: "Die Silo-Denke ist überholt, schon beim Outsourcing ist die übergreifende Zusammenarbeit das wichtigste Erfolgskriterium. Und das gilt bei der Digitalisierung genauso. Hier sollten sich Marketing, Vertrieb, Einkauf, IT und andere Bereiche eng abstimmen.

In der Realität ist es allerdings häufig so, dass die Bereiche miteinander konkurrieren. Das bestätigt auch eine aktuelle Studie des Marktforschungsunternehmens PAC unter 150 deutschen Unternehmen. Der zufolge sehen sich 91 Prozent der IT-Verantwortlichen als Treiber der Digitalisierung, weshalb sie auch die Verantwortung für die digitale Strategie übernehmen wollen. Nur ein Fünftel von ihnen ist bereit, andere Fachabteilungen darin einzubeziehen. 61 Prozent sagen sogar explizit, die Marketing-Leiter hätten bei Definition und Umsetzung dieser Strategie nichts zu suchen. Die dergestalt Ausgeschlossenen sehen das selbstverständlich völlig anders: Für 90 Prozent von ihnen steht außer Frage, dass sie die digitale Strategie mitgestalten.

Wie lassen sich die Parteien zur Kooperation bewegen? - Nur auf dem harten Weg, konstatierte Ried: Innovation sei die Summe aus Möglichkeit und Schmerz. Wenn ein Mitbewerber oder ein neuer Markt-Player einem Unternehmen wirklich wehtue, bewege sich auch in den Köpfen etwas.

Brauchen wir Chief Digital Officers?

Ob ein Chief Digital Officer, wie der Forrester-Konkurrent Gartner ihn - zumindest übergangsweise - postuliert, dabei helfen kann? - Ried ist da skeptisch: "Den CDO brauche ich nur, wenn entweder mein CIO oder der Chief Marketing Officer nicht gut genug ist." Gillhuber stimmte zu: "Es ist unsinnig, Personalprobleme zu lösen, indem man eine neue Rolle schafft." Die Unterstützung der Unternehmensführung hingegen sei unumgänglich. Oder wie es ein Workshop-Teilnehmer formulierte: "Man braucht einen Board-Sponsor."

Auf jeden Fall sei es sinnvoll, die oft zitierte "IT der zwei Geschwindigkeiten" umzusetzen, ergänzte Ried. Dabei tendierten viele Unternehmen dazu, die "Systems of Record" auszulagern; das sind die IT-Kernbereiche, die sich nur langsam verändern. Aber vielleicht sollte man stattdessen die "Systems of Engagement" ausgründen - zumindest dann, wenn die eigene IT tatsächlich zu langsam sei, um diese kundennahen und "schnelldrehenden" Applikationen zu managen.

Woran die IT gemessen wird

Soll die IT aber auch hier im Fahrersitz bleiben, ist eine Frage entscheidend: Woran wird ihre Qualität eigentlich gemessen? Wenn es nur darum gehe, ob der Anwender einen Blackberry oder ein iPhone bekomme oder ob der Drucker innerhalb von Minuten repariert werde, habe die IT kaum eine Chance, sich um die Veränderung des Geschäfts zu kümmern, so Gillhuber.

Und Ried ergänzte: "Wir brauchen eine Kultur des Scheiterns." Im Silicon Valley, das immer noch als ein Synonym für Innovation gilt, würden neben gelungenen Projekten auch solche gefeiert, die gegen die Wand gefahren wurden. Diese "Fuck-up-Parties" hätten eine wichtige Funktion: Dort könnten andere kreative Köpfe lernen, welche Fehler sie beim nächsten Versuch vermeiden müssten.