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Das erfolgreichste Spiel

Mega-Seller Sims - Freizeit, Morde, Töpferkurse

22.04.2008
Von Handelsblatt 
"Die Sims" sind das erfolgreichste Computerspiel aller Zeiten. Doch während die Anhängerschaft die Lebenssimulationen ihrer Traumcharaktere beschwört, geißeln Kritiker das materialistische Wertesystem des Spiels. Szenen aus einem Paralleluniversum.

Es war ein gemeiner, ein grausamer Mord. Während der Mieter ahnungslos im Swimmingpool plätscherte, entfernte der Hausherr hinterrücks die Leiter, die aus dem Wasser führte. Der Beckenrand war hoch, die Wände glatt. Scheinbar eine Ewigkeit suchte das Opfer nach einem Ausweg. Dann, viele Stunden später, das Ende - Tod durch Ertrinken. Und der Vermieter zeichnete alles auf. Szenen aus dem wahren Digital-Leben des erfolgreichsten PC-Spiels aller Zeiten. "Die Sims". Eine Lebenssimulation, eine komplette digitale Nachbarschaft auf der Festplatte. Sie gibt dem Spieler Macht über das Leben einer Familie und ihr Schicksal. Er gibt ihnen Wünsche und Ängste, baut Häuser und ebnet ihnen Karrieren. Oder er bringt sie um.

Die Sims haben Computergeschichte geschrieben - und ihre Schöpfer reich gemacht. Gerade ging das 100millionste Spiel über die Ladentheke - jedes kostet zwischen 20 und 50 Dollar. Alleine im abgelaufenen Finanzjahr hat Spieleverleger Electronic Arts rund 500 Millionen Dollar mit Sims-Produkten umgesetzt, bestätigt Nancy Smith, Herrin über die Sims beim kalifornischen Spielegiganten im Gespräch mit dem "Handelsblatt". Das ist fast ein Achtel des Konzernumsatzes und "ein absoluter Rekord" im Jahre acht der Sims. Nur eine Spieleserie ist in verkauften Stückzahlen noch erfolgreicher: Wunder-Klemptner "Mario" vom Konkurrenten Nintendo.

"Die Sims" sind schon da, wo Online-Welten wie "Second Life" gerne hin möchten. Sie sind die Reinkarnation des Tamagotchi in Menschengestalt mit einer treuen, millionenstarken Anhängerschaft. Die Welt der Sims hat Künstler zu Ölbildern inspiriert. Es gibt tausende von Videos über ihr Leben auf Youtube. Sie tanzen in aufwändig inszenierten Musikvideos oder spielen Filmklassiker nach. Die schwedische Bekleidungskette H&M hat eigens eine Sims-Kollektion entwickelt - wer seine Bildschirmbewohner schick einkleiden will, ist für 19,99 Dollar dabei.

Doch die Sims-Gemeinde beschäftigt sich nicht nur mit Modefragen. Die Entdeckung des "Swimmingpool-Mordes" löste 2001 heftigste Diskussionen aus. Ist es moralisch verwerflich, einen Sim, den man geboren und großgezogen hat, umzubringen? Mein-Sim-gehört-mir-Anhänger trafen auf Spielepazifisten. Philosophiedebatten unter Computerspielern - wer hätte das gedacht.

Die Diskussionen drehen sich nicht nur um Leben und Sterben. Kritiker geißeln das Spiel als gefährlich materialistisch. Je reicher ein Sim ist, desto größer sein Haus. Je größer sein Haus, desto mehr Freunde hat er. Hier werden die falschen Werte vermittelt, tadeln viele. Doch tausende genießen jeden Plasmafernseher, jeden Perserteppich, mit dem sie ihre Sims-Häuser verschönern können. Empört verbitten sie sich jede Einmischung. Doch so oder so - die Spieler vergleichen mit kritischen Blicken ihre Spielewelten und diskutieren dabei zugleich auch oft über ihr reales Dasein.

Die wohl überraschendste Entwicklung hat das Sims-Tagebuch genommen. Ursprünglich dazu gedacht, einfach ein paar Screenshots zu ermöglichen, die man online mit anderen Spielern teilen konnte, entwickelte es sich ungeplant zu einer Art Mini-Hollywood, einer Traumfabrik des kleinen Mannes. Hunderttausendfach drehen Spieler quasi Dokumentarfilme und tauschen sie untereinander aus.

Selbst für Experten sind diese zahllosen Parallelwelten verwirrend. "Wir wissen, dass viele unserer Spieler - zur Hälfte sind es Frauen - selber über zu wenig Freizeit neben dem Job klagen", sagt Nancy Smith von Electronic Arts. Trotzdem verbringen sie endlose Stunden mit künstlichen Aktivitäten für künstliche Charaktere. So ist das aktuelle Sims-Zusatzspiel "Freetime" das erfolgreichste in der Serie überhaupt - eine hohe Auszeichnung.

Und höchst seltsam. "Freetime" bietet den Spielern die Möglichkeit, für ihre Computercharaktere Töpferkurse zu belegen oder Ballettstunden zu nehmen. In stundenlanger Detailarbeit basteln sie hier, üben Tanzschritte dort. Hinter allem scheint oft nur ein Gedanke zu stehen: Mein Sims soll es besser haben als ich.