Meetings am Fernseher

09.02.2011
Mit "Passport" hat die Logitech-Tochter Lifesize ein bezahlbares Videokonferenzsystem im Programm, das mit HD-Bildqualität punkten kann.

Videokonferenzen in HD-Qualität, und das im Home Office an einer Consumer-DSL-Leitung? Schon diese beiden Versprechen des Herstellers Lifesize beziehungsweise des schweizerischen Peripheriespezialisten Logitech, der Lifesize im November 2009 übernommen hatte, machten uns auf Passport neugierig, zumal die Konkurrenz von Cisco oder Hewlett-Packard für ihre kleinen Systeme eine Bandbreite von rund 2 Mbit/s voraussetzt.

Kompakte Abmessungen

Mit dem Testgerät wurden neben der Video- kamera, dem Codec als Schaltzentrale und einer Fernbedienung auch alle erforderlichen Kabel zum Aufbau des Konferenzsys- tems geliefert. Um ein HDMI-kompatibles Anzeigegerät muss sich der Passport-Besitzer selbst kümmern. Was wir bei der ansonsten kompletten Ausstattung vermissten, war ein Reisenecessaire, denn angesichts der kompakten Abmessungen von Passport - der Codec hat etwa die Größe einer Fritzbox 7170, und die Kamera ist nicht viel größer als heute übliche Webcams - kommt schnell der Wunsch auf, das Sys- tem auch auf Dienstreisen mitzunehmen. Schließlich haben die meisten Hotels mittlerweile HDMI-fähige Fernseher und Internet-Anschluss auf den Zimmern

Für Passport als Reisebegleiter spricht auch der kinderleichte Aufbau des Systems: vier Kabel eingesteckt, und das Gerät ist einsatzbereit. Neben dem Stromanschluss muss noch eine Ethernet-Verbindung hergestellt sowie ein HDMI-fähiger Bildschirm (im Test ein Panasonic-HDTV-Plasmafernseher) angeschlossen werden. Die Kamera, die auch über ein eingebautes Mikrofon verfügt, wird dann über das beiliegende Spezialkabel mit dem Codec verbunden. Überarbeiten sollte Lifesize allerdings die Befestigungsmöglichkeiten der Kamera. Während der normale Standfuß keinen Anlass zur Kritik bietet, stellt sich bei dem beiliegenden Halter zum Festkleben am oberen Bildschirmrand die Sinnfrage. Wie soll diese Klebehalterung bei einem Videokonferenzsystem, dessen Portabilität beworben wird, mehrmals verwendet werden? Hier sollte die Lifesize-Mannschaft überlegen, ob sie der Kamera nicht eine Klemmhalterung spendiert, wie sie selbst 20-Euro-Modelle vom Elektrodiscounter besitzen.

Störende Lüftergeräusche

Nach der Verkabelung kann der User loslegen. Allerdings meldete sich unser Testgerät nach dem Einschalten lautstark. Während des Bootens fuhr der verbaute Mini-Lüfter kurzzeitig auf volle Drehzahl und verbreitete einen entsprechenden Krach. So laut wurde das Gerät dann während des Tests nicht mehr, dennoch war immer ein störendes Geräusch im Hintergrund zu vernehmen. Da es sich hier um ein Desktop-Produkt handelt, wäre eine leisere Variante oder eine geänderte Lüftersteuerung wünschenswert. Damit befindet sich Lifesize leider in der Gesellschaft von Herstellern, die zwar viel Grips in die Bedienbarkeit ihrer Produkte investieren, dann aber Cent-Beträge bei den Lüftern sparen und so ein positiven Gesamteindruck schmälern.

Dafür wurden wir in Sachen Konfiguration positiv überrascht. Der Clou dabei: Der Anwender hat die Wahl zwischen zwei Verfahren. Entweder er stellt das System per Fernbedienung am Fernseher ein und kann so auf PC oder Notebook verzichten, oder er nutzt den integrierten Web-Server des Codecs und nimmt die Konfiguration per Browser vor. Die Einstellungen erklären sich dabei weitgehend von selbst. Wer sein Gateway, die interne IP-Adresse und den DNS-Server kennt, kann das Gerät konfigurieren. Als einzige Besonderheit ist zu beachten, dass an der Firewall die zwei UDP- und TCP-Ports zwischen 60000 und 64999 sowie der TCP-Port 1720 an den Passport-Codec weiterzuleiten sind.

Gelungene Oberfläche

Über die Konfiguration per Web-Browser sind nicht viele Worte zu verlieren. Die Oberfläche hat ein modernes Design und ist übersichtlich gestaltet. Anders formuliert, das User Interface ist schlicht funktional und erfüllt seinen Zweck, zumal Features wie Übertragungsstatistiken den Funktionsumfang abrunden.

Angenehm überrascht waren wir, als wir die Konfiguration ohne Browser über die Fernbedienung von Passport wiederholten. Was wir uns anfangs als umständliche Tortur ausgemalt hatten, lief reibungslos. Der Benutzer wird auf dem Fernsehbildschirm durch ein mehrseitiges Konfigurationsmenü geführt. Die einzelnen Punkte sind dabei immer gut zu lesen. Auch die Eingabe von Buchstaben und alphanumerischen Zeichen stellen kein Problem dar, da sich der Ziffernblock - wie vom Handy gewohnt - je nach Eingabesituation umschalten lässt. Zudem muss der Benutzer eigentlich nur die oben angegebenen Parameter konfigurieren, um mit der ersten Konferenz beginnen zu können. Die anderen Einstellungen, wie etwa die Auswahl des Audio-Codecs, dient dem Fein-Tuning oder dazu, das Zusammenspiel der Systeme unterschiedlicher Hersteller zu gewährleisten. Für den normalen Gebrauch kann man darauf in der Regel verzichten.

Der Verbindungsaufbau

Zum Aufbau einer Konferenz mit einem anderen System benötigt der User nur die IP-Adresse oder den Domain-Namen der Gegenstelle. Ähnlich wie eine Telefonnummer gibt er diese per Fernbedienung ein und kann dann per Tastendruck die Verbindung aufbauen lassen. Etwas verwirrend war bei der ersten Benutzung, dass das System den Verbindungsaufbau mit klassischen Telefonsignaltönen begleitet. Hat man sich dar- an gewöhnt, ist diese Funktion ganz praktisch, da man so eine akustische Kontrolle hat und nicht auf den Bildschirm schauen muss.

Nach dem Aufbau der Verbindung staunten wir nicht schlecht. Eine solche Bildqualität bei einer Videokonferenz über eine klassische Consumer-DSL-Leitung (1 Mbit/s Upstream) hatten wir noch nicht erlebt. Zwar hatte das von uns ebenfalls getestete "Vidyo"-System auch mit einer guten Bildqualität gepunktet, doch seinerzeit verwendeten wir einen Computermonitor zur Ausgabe, während jetzt ein 47-Zoll-Fernseher zum Einsatz kam.

Sicher, den großen TelePresence-Systemen kann auch Lifesize Passport nicht das Wasser reichen - doch hier reden wir von einem Preisunterschied von mehreren zehntausend, wenn nicht gar hunderttausend Euro. Um es kurz zu machen: An der Bildqualität gab es eigentlich nichts zu kritisieren. Selbst Visitenkarten im Büro auf der Gegenseite waren zu lesen, und die Konturen eines Kugelschreibers in der Hand des Gesprächpartners waren klar zu erkennen. Lediglich bei schnellen oder abrupten Bewegungen kam es ab und an zu kleinen Pixelfehlern oder Unschärfen, wenn in diesem Moment gerade die Übertragungsqualität der DSL-Leitung schwankte.

Kein Vergleich mit Skype und Co.

Unter dem Strich machten Videokonferenzen auch durch das große Display, auf dem Mimik und Emotionen des Gesprächpartners gut erkennbar waren, viel Freude. Kein Vergleich zu den sonst im DSL-Umfeld üblichen Videolösungen wie Skype und Co, die sich mit ihren - überspitzt formuliert - briefmarkengroßen Bildern für den Gruß vom Enkel zur Oma, aber nicht für den ernsthaften Business-Einsatz eignen.

Während unserer Praxisversuche empfingen wir die Gegenseite mit 1280 mal 720 Pixeln als HD-ready- beziehungsweise 720p-Qualität und versandten selbst ein Videobild in der Auflösung von 1208 mal 704 Pixeln, also knapp unterhalb der HD-Qualität, was allerdings in Anbetracht der niedrigen Upstream-Bandbreite deutscher DSL-Anschlüsse immer noch ein guter Wert ist. So lag die Bandbreite (Video und Audio) im Upstream um die 1060 Kbit/s, während in der Gegenrichtung bis zu 1140 Kbit/s über die Leitung gingen, bei jeweils 30 Vollbildern pro Sekunde.

Raummikrofon optional

Selbst Videokonferenzen nach Kalifornien waren so kein Problem, zumal ein niedriger Jitter-Wert von acht bis zehn Millisekunden eine störungsfreie Übertragung erlaubte. Lifesize bietet für das System als optionales Zubehör noch ein als MicPod bezeichnetes Raummikrofon an. Wird das System aber wie in unserem Test nur als Desktop-Lösung von einer Person benutzt, kann darauf verzichtet werden. Das in der Kamera integrierte Mikrofon genügt für diesen Anwendungsfall voll und ganz.

Während unseres Tests fiel uns noch ein anderes Einsatzgebiet für das Konferenzsystem ein: Ist auf der Gegenseite anstelle des von uns verwendeten Kameramodells "Lifesize Focus" eine "Lifesize Camera" installiert, eignet sich das Gerät auch zur Videoüberwachung. Letztere lässt sich nämlich ferngesteuert sowohl horizontal als auch vertikal schwenken. Auf diese Weise konnten wir etwa aus dem verregneten München die Umgebung um das Lifesize-Office-Gebäude im sonnigen Kalifornien kontrollieren.

Anbindung von Außenstellen

Was auf den ersten Blick nach einer Spielerei klingt, könnte etwa für Firmen mit vielen kleinen Außenstellen von Interesse sein, da sich auf diese Weise die verteilten Büros etwa während der Nacht zentral aus der Ferne überwachen lassen. Möglich wird dies, weil Passport eingehende Videoanrufe automatisch annehmen kann. Wer allerdings vergisst, dieses Feature zu de-aktivieren, findet sich womöglich ungeplant und unvorbereitet in einer Konferenz wieder.

Apropos Konferenz: In der Standardausführung eignet sich Passport nur für Punkt-zu-Punkt-Konferenzen. Sollen mehrere Teilnehmer an verschiedenen Standorten zusammengeschaltet werden, ist der Erwerb einer zusätzlichen Lifesize Multipoint Bridge erforderlich. Darüber hinaus sind noch Gateways, Video Center, Transit-Tools etc. erhältlich, so dass sich mit Hilfe dieses Baukastens nach und nach eine komplette Konferenzlandschaft mit der dazugehörigen Infrastruktur aufbauen lässt. Per Download kann sich der Anwender das Collaboration-Tool Lifesize Virtual Link beschaffen. Mit seiner Hilfe ist während einer Video-Session das Data-Sharing möglich. Dabei agiert Virtual Link als Screen-Capture, das den Inhalt eines Laptop- oder Desktop-Monitors mit bis zu fünf Frames pro Sekunde aufzeichnet und überträgt, so dass zumindest gemeinsam über ein Dokument diskutiert werden kann. Ein gemeinsames Bearbeiten beziehungsweise Ändern eines Dokuments ist auf diese Weise nicht möglich.

Fazit

Mit Lifesize Passport steht ein weiteres bezahlbares Videosystem zur Verfügung, mit dem virtuelle Meetings dank guter Bildqualität Spaß machen. Zudem überzeugt Pass-port durch seinen leichten Aufbau und die einfache Bedienung. Lediglich Kleinigkeiten wie etwa der fehlende Klemmfuß für die Kamera trüben den sonst guten Eindruck. Ferner sollte sich die Lifesize-Mutter Logitech überlegen, ob sie nicht die Collaboration-Fähigkeiten ausbauen will - denn hier ist die Konkurrenz besser.

von Jürgen Hill

jhill@computerwoche.de

Pro und Kontra

Einfacher Aufbau;

gute Bildqualität (HD Ready);

DSL mit 1024 Kbit/s upstream reicht;

Konfiguration per Browser oder Fernbedienung;

einfache Bedienung;

portables Gerät.

Nervender Lüfter;

nur Klebefuß zur Kamerabefestigung;

Bildschirm benötigt HDMI-Anschluss;

rudimentäre Collaboration-Funktion (lediglich Dokumenten-Sharing).

Technische Daten

Produkt: Lifesize Passport.Kategorie: Videokonferenzsystem.Komponenten: Codec, Kamera, Fernbedienung.Auflösung: 1280 mal 720 Pixel (HD Ready).Bandbreite: um 1Mbit/s in Up- und Downstream.Audionormen: G.711, G.722, G.722.1C (Polycom Siren14), G.728, G.729, MPEG-4 AAC LC.Videonormen: H.261, H.263, H.264 und H.239.Preis: etwa 2400 Euro plus Mehrwertsteuer.Hersteller: www.lifesize.com (Logitech-Tochter).