Social-Media-Trend Snapchat

Medienbranche sucht Generation Y

06.06.2016
In den Archiven deutscher Verlagshäuser schlummern Millionen von Artikeln. Auf Snapchat verschwinden Inhalte spätestens nach einem Tag. Passt das zusammen? Und wie können Redaktionen den Hype um die Social-Media-App für sich nutzen?

Kaum haben sich die meisten Medienhäuser mit Facebook und Twitter arrangiert, steht auch schon der nächste Hype-Stern am Social-Media-Himmel: Snapchat. Die App mit den schnell vergänglichen Inhalten ist der Renner bei der Generation Y - also denjenigen, die gedruckte Zeitungen oder feste Sendetermine manchmal nur noch von ihren Eltern kennen. Kein Wunder also, dass einige deutsche Redaktionen erste Gehversuche mit Snapchat wagen. In den USA versuchen bereits etliche Verlagshäuser und Medienunternehmen von der Snapchat-eigenen Andersartigkeit zu profitieren.

Keine Generation Y ohne Snapchat?

"2016 ist für mich ganz klar das Snapchat-Jahr", sagte kürzlich der Hamburger Medienwissenschaftler Stephan Weichert. "Ich treffe keinen Jugendlichen mehr unter 25, der nicht bei Snapchat ist." Erwachsene lässt die App häufig verwirrt zurück. Im Schnelldurchlauf: Kern ist die Nachrichtenfunktion, über die Bilder, Text und Videos ihren Weg zu Freunden, Bekannten und Familienmitgliedern finden - dekoriert mit Emojis und Text. Der Clou: Nach spätestens zehn Sekunden löschen sich die Nachrichten von selbst. Sogenannte "Stories" - Ansammlungen von einzelnen "Snaps" - bilden die Ausnahme: Sie sind bis zu 24 Stunden öffentlich einsehbar.

Besonders interessant für Verlage und Medienhäuser: die "Discover"-Funktion. Hier präsentieren ausgewählte Medienmarken wie CNN, MTV, Vox.com oder Vice aufwendiger gemachte Snaps, teils mit längeren Artikeln - und Werbung. Bislang sind es fast nur englischsprachige Kanäle aus den USA, dabei sind aber etwa auch die englische "Sun" und "Sky News". 60 Millionen Nutzer schauten sich jeden Monat die "Discover"-Sektion an, heißt es vom Unternehmen - die besten Kanäle kämen auf sechs bis sieben Minuten pro Snapchatter pro Tag. Das macht Werbung attraktiv.

Deutsche Medien entdecken Snapchat

Gibt es auch Pläne für ein deutsches "Discover"? "Kein Kommentar", teilt eine Snapchat-Sprecherin mit. Ohne Teil von "Discover" und Partner von Snapchat zu sein, gibt es auch keine Beteiligung an Werbeeinnahmen - die Werbung auf Snapchat sei "hinreißend" anzusehen, schwärmt das Unternehmen selbst. "Snapchat ist das Hype-Thema 2016", sagt auch Holger Kansky, Multimedia-Referent beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). "Denn die Frage ist: Wie erreicht man die Millennials noch?"

Doch noch sind nicht viele Redaktionen auf Snapchat zu finden: Die "Bild" tritt recht systematisch auf, bietet Blicke hinter die Kulissen und Nachrichten-Schnipsel. Gerade Jugend-Redaktionen sind derzeit bereits auf Snapchat aktiv, etwa "bento" ("Spiegel"), "BYou" ("Bild") und "ze.tt" ("Zeit"). Auch WDR-Reporter snappen, das ZDF experimentiert und lässt Protagonisten einer Dokumentation einen Kanal übernehmen. Das Computermagazin "Chip" zeigt Teaser auf seine Inhalte, auch "Brigitte", "Gala" und das "Zeit Magazin" sind dabei. Zudem sind auch einige Journalisten mit persönlichen Profilen vertreten.

Das alles wirkt noch weitaus weniger ausgefeilt, spontaner und persönlicher als bei Twitter und Facebook - aber das ist die Natur der App. Die vergänglichen Inhalte müssen keinen Likes, Favorites oder Retweets hinterherhecheln - viele Nutzer finden das regelrecht entspannend. Doch Medien arbeiten traditionell anders und setzen auf Verweise, Zweitverwertung, Chronistenpflicht. Für lange Reportagen und ausführliche Texte eignet sich Snapchat ohnehin nicht, eher für Videoschnipsel, Überblicke und andere, schnell konsumierbare Informationen.

Snapchat als Social-Media-Teasing-Plattform?

"Es geht dabei nicht in erster Linie ums Geldverdienen, sondern auch um Markenwahrnehmung und Reichweitenaufbau", sagt Kansky. Und neue Erkenntnisse, auch abseits der Plattform: Wie tickt die Jugend - und wie kann man sie ansprechen? "Snapchat bindet die Aufmerksamkeit einer Zielgruppe, die für klassische Medien deutlich schwerer zu erreichen ist", sagt Stephan Scherzer, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ). Die Frage: "Wie binde ich Menschen an meine Marke?" Mögliche Antwort: Gute Inhalte könnten neugierig auf die anderen Angebote eines Verlags machen. "Snapchat kann als Teaser funktionieren", sagt Scherzer.

Doch bisher spielen News kaum eine Rolle auf Snapchat. Null Prozent der Internetnutzer gaben bei einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Interessenverbands nextmedia Hamburg an, dass Snapchat das soziale Netzwerk sei, auf dem sie vor allem auf Nachrichteninhalte stoßen - Facebook kam auf fast 50 Prozent. Umfragen in den USA legen immerhin nahe, dass doch einige Snapchatter auch Nachrichten sehen - vor allem die jüngeren. (dpa/fm)