Massiv-parallele Rechnerszene in Aufruhr Kendall Square scheitert an eigenen und Marktproblemen

07.10.1994

MUENCHEN (CW) - Das Sterben im Markt der Anbieter massiv-paralleler Rechner geht weiter: Vor vier Wochen erwischte es die Thinking Machines Corp. (TMC) aus Cambridge, Massachusetts. Jetzt streckte die Kendall Square Research Corp. (KSR) die Waffen.

Die Region Boston scheint fuer DV-Unternehmen ein heisses Pflaster zu sein: Neben TMC gehoert auch KSRs Stammsitz Waltham zur "Greater Vicinity", also zur weiteren Umgebung der Geburtsstaette der amerikanischen Revolution. Und die Probleme des einstmals zweitgroessten US-DV-Unternehmens, der Digital Equipment Corp. (DEC), sind sattsam bekannt.

Fuer KSRs Niedergang muessen Erklaerungen nicht nur beim (Miss-) Management, sondern auch in den aktuellen Gesetzen eines extrem sensiblen Marktes gesucht werden, der darueber hinaus erst noch im Entwicklungsstadium begriffen ist.

Offensichtlich schadete es dem Image von KSR doch erheblich, dass Firmengruender Henry Burghardt im Dezember vergangenen Jahres versuchte, mit geschoenten Zahlen die Bilanz des Unternehmens etwas aufzuforsten. Zwar wurde Burghardt unmittelbar nach Bekanntwerden der Vernebelungsaktion der Stuhl vor die Tuer gesetzt.

Viel Gedraenge auf einem Nischenmarkt

Potentielle Anwender, ohnehin noch zurueckhaltend bei der Bewertung der komplexen MPP-Technologie, schreckte der Vorgang aber wohl eher ab. Wie KSR in einer Erklaerung mitteilte - ohne allerdings einen Bezug zu dem Finanzgebaren seines Ex-Chefs herzustellen -, blieben die Ordereingaenge fuer die KSR-1- und KSR-2-Systeme in den letzten Quartalen weit hinter den Erwartungen zurueck.

Wie TMC duerfte auch Kendall darueber hinaus zum Verhaengnis geworden sein, dass man sich ausschliesslich auf Klientel aus dem technisch- wissenschaftlichen Bereich verliess. "Die Schlacht, wer den Shake- out bei den MPP-Anbietern ueberlebt, wird aber auf dem Markt kommerzieller Anwendungen entschieden", glaubt Deutschlands Supercomputer-Guru Hans-Werner Meuer von der Universitaet Mannheim.

An Konkurrenz in diesem Nischenmarkt fehlt es zudem nicht: Etwa 25 Anbieter werben um die Gunst von Kaeufern fuer ihre in der Regel sehr teuren Superrechner. 1993 konnten nach einer Untersuchung der Palo Alto Management Group ueber den Markt massiv-paralleler Rechner nur acht Hersteller mit ihren Hoechstleistungsrechnern einen Umsatz von mehr als 25 Millionen Dollar erwirtschaften: AT&T GIS, IBM, Intel, Maspar, Meiko, Ncube, Tandem und TMC.

Da den MPP-Adepten wegen der globalen Entspannungstendenzen zudem zunehmend Auftraege aus dem militaerischen beziehungsweise Regierungslager verlorengehen, verfuegen viele Unternehmen - wie TMC und jetzt auch KSR - nur ueber eine duenne Finanzdecke.

Darueber hinaus sieht Wolfgang Gentzsch, Professor fuer angewandte Mathematik und Informatik an der FH Regensburg, auch KSR- spezifische Probleme: "KSR nutzte in seinen massiv-parallelen Rechnern einen relativ langsamen Prozessor, der darueber hinaus auch noch proprietaer war."

Zudem sprang Hewlett-Packard (HP) als Produzent der Kendall-CPUs ab. KSR fiel es in der Folge schwer, einen neuen Chiplieferanten zu finden. Mit einem taiwanischen Anbieter verhandelte man zwar, konkrete Ergebnisse blieben hingegen aus. Wohl deshalb kam moeglicherweise das Geruecht auf, KSR wolle unter Umstaenden auf die Power-PC-Plattform wechseln.

Wie Gentzsch, Mitbegruender der auf Parallelisierungswerkzeuge wie Compiler spezialisierten Genias Software GmbH in Neu-

traubling, weiter meinte, haetten an Universitaeten durchgefuehrte Benchmarks zudem "ernuechternde Ergebnisse" fuer die KSR-Maschinen gebracht. Verantwortlich hierfuer sei auch die hochgelobte Allcache-Architektur samt deren zugehoeriger Software, die "die Probleme der Datenverteilung eigentlich nur verwischt" habe.

Das Allcache-Konzept zeichnet sich im Gegensatz zu der bei Supercomputern ueblichen Speicheradressierung des Message-passings durch das sogenannte Virtual-Shared-Memory-(VSM-)Verfahren aus. Hierbei werden die Daten zwar lokal in den Speichern der einzelnen Prozessoren vorgehalten. Dem Benutzer gaukelt die Allcache- Architektur aber einen globalen Adressraum vor, was die Anwendungsfreundlichkeit steigert. Andererseits war diese Loesung eben doch nicht so schnell, wie von KSR versprochen.

Prinzipiell, so Gentzsch weiter, habe der VSM-Ansatz jedoch Zukunft. Anbieter wie Cray - in dem "T3D"-Modell - und Convex in den "Exemplar"-Rechnern boeten dieses Speicherverfahren zusaetzlich zum traditionellen Message-passing-Procedere als Option bereits an.