Systemsoftwarebereich wird an On-Line Software International verkauft:

Martin Marietta setzt auf lntegrationsidee

31.10.1986

MÜNCHEN - Ein strategischer Umschwung zeichnet sich bei der amerikanischen Martin Marietta Data Systems (MMDS) ab. Setzte der US-Großkonzern noch vergangenes Jahr vor allem im Systembereich klar auf die Übernahme anderer Softwareanbieter, so ist unter der Agide des neuen Präsidenten, Patrik Zilvitis, nunmehr eine Konzentrationspolitik angesagt.

Mit den ersten Auswirkungen dieses Kurswechsels wurde die amerikanische Softwarewelt dieser Tage konfrontiert: Die erst im Januar 1985 übernommene Oxford Software Inc., ein auf IBM-Systemsoftware spezialisiertes Unternehmen, ging an On-Line Software International Inc., Fort Lee, über. Sehr interessiert zeigt sich der im IBM-Mainframe-Geschäft aktive Anbieter auch an der Mathematica Products Group. Den Systemsoftwarebereich des 1983 aufgekauften Unternehmens wird MMDS aller Voraussicht nach ebenfalls abgestoßen. Betroffen von dieser Entscheidung sind unter anderem die Produkte "Ramis Ufo", "Ufo",

"Consensus" und "Unison". Als Verkaufspreis nennt der amerikanische Großkonzern :35 Millionen Dollar.

Den unternehmenspolitischen Kurswechsel begründet Präsident Zilvitis folgendermaßen: "Wir haben inzwischen herausgefunden, daß im Softwaregeschäft hohe Innovation und extreme Flexibilität unbedingte Voraussetzungen für den Erfolg sind. Mittlerweile wissen wir auch, daß unsere wirkliche Stärke in der Integration liegt. Dieses Aktionsfeld gehorcht aber völlig anderen Gesetzen als das Systemsoftwaregeschäft." Deshalb fahre das Unternehmen langfristig eindeutig besser damit, nicht auf zu viele Pferde zu setzen, sondern seine echten Trumpfkarten auszuspielen. Entsprechend der neuen Strategie sollen die Bereiche Anwendungssoftware und Remote-Computing-Services bei Martin Mariettas verbleiben, da sie als wichtige Komponente des Integrationsansatzes gelten.

Im Zuge dieses strategischen Konzepts wird sich MMDS auch von den Mitarbeitern trennen, die bisher für die Produkte von Mathematica und Oxford zuständig waren: Da Support und Maintenance für diese Aktivitäten ebenfalls in den Aufgabenbereich von On-Line übergehen, kaufte der Anbieter aus Fort Lee die Softwareprofis gleich mit ein. "Bei der Übernahme, so Zilvitis, "ging es On-Line wohl auch darum, Know-how einzukaufen und Softwerker an Land zu ziehen, die ,auch in Zukunft qualitativ hochwertige neue Produkte entwickeln können."

Indirekt bestätigt wird diese Vermutung durch die Aussage von On-Line-Präsident Howard Sorgen: "Für uns war die Gelegenheit, unser eigenes Team durch erfahrene Mitarbeiter ergänzen zu können, ausgesprochen attraktiv. Dieser Aufkauf ist ein weiterer Schritt in unserer Strategie, uns auf Marktbereiche zu konzentrieren, in denen wir bereits einen Namen haben."

Sehr zufrieden mit der bevorstehenden Übergabe an On-Line zeigt sich auch die deutsche Führungsspitze der Mathematica Products Group. Nach Worten von Geschäftsführer Johannes Thurner habe man den Verantwortlichen bei Martin Marietta bereits vor einiger Zeit zu einem solchen Schritt geraten: "Die Geschäftsgepflogenheiten bei einem Industriegiganten von dieser Größe lassen mitunter die schnellen Entscheidungen nicht zu, die in unserem Business notwendig sind. Aus diesem Grund empfahlen wir MMDS schon vor einigen Monaten die Ausgliederung des Systemsoftwarebereiches. Ziel sollte es sein, schnellere Entscheidungswege zu gewährleisten."

In die Verhandlungen mit On-Line sei Mathematica jedoch nicht direkt involviert gewesen. "Wenn wir behaupten würden, so Thurner, "der Initiator des Ganzen gewesen zu sein, käme das einer Überschätzung unserer eigenen Rolle gleich."

Die Gespräche über den Verkauf sind Thurner zufolge noch nicht abgeschlossen. Es lasse sich jedoch absehen, das, der Systemsoftwarebereich von Mathematica künftig nicht mehr als Ableger des amerikanischen Industrie-Multis operieren werde, sondern als eigenständiges Unternehmen im Verbund mit On-Line Software zum Zug komme. Begrüßenswert sei der Zusammenschluß auch deshalb, weil Mathematica im selben Marktsegment Schwerpunkte setze, in dem On-Line zumindest im US-Markt schon seit langem eine etablierte Stellung einnehme. Kunden- und Produktbetreuung würden von der neuen Situation nicht tangiert.