Das Angebot deckt Idealvorstellungen nicht ab:

Markttransparenz durch Kriterien erzwingen

08.07.1983

Die Entscheidung, keine Individuallösung zu entwickeln, sondern sich auf dem schnell wachsenden Markt von Standard-Software-Paketen nach einer passenden Lösung umzuschauen, wird heute mehr denn je durch mannigfache Faktoren bestimmt. Vorhandener Anwendungsrückstau, der Zwang, zügig realisieren zu messen, und Knappheit an qualifiziertem Personal haben ebenso Einfluß wie die Kosten, die bei speziellen Entwicklungen für kleine und mittlere Betriebe nicht mehr tragbar sind. Dazu kommt die eigene Schwierigkeit, bei komplexen Anwendungen den vollständigen Lösungsansatz zu finden. Arnd Pählig, Bereichsleiter Industrie der Geschäftsstelle Rhein-Main des EDV-Studio Ploenzke aus Wiesbaden gibt Tips zur richtigen Auswahl von Standard-Software-Paketen.

Mit dem Begriff Standard-Software werden eine Anzahl unterschiedlicher Produktgruppen verbunden. Standard-Software ist vorgefertigter "standardisierter" Code, für den der Anspruch erhoben wird, in verschiedenen Umgebungen einsetzbar zu sein. Somit ist das Betriebssystem, das Sortierprogramm, ebenso Standard-Software wie das Finanzbuchhaltungssystem oder das integrierte Materialwirtschaftspaket. Das Thema "Auswahl von Standard-Software" handelt die letztgenannten Kategorien der "vorgefertigten Anwendungsproblemlösung" ab.

Bei einer Untersuchung der am Markt befindlichen Produkte ergibt sich häufig eine erschreckende Diskrepanz zwischen dem, was unter dem Titel "Standard-Software" angeboten wird und den Erwartungen, die logischerweise der Anwender mit diesem Begriff verbindet. Leider ist der Begriff "Standard-Software" noch durch keine Norm definiert oder durch ein "Gütesiegel" geschätzt, so daß jeder, der der Meinung ist ein mehrfach verwendbares Produkt geschaffen zu haben, unter dieser Flagge segeln kann.

Der Anwender, der eine Problemlösung mittels Fremdsoftware sucht, läßt sich von folgenden Vorstellungen leiten:

- Ausgereifte Software durch multiplen Einsatz beim Kunden

- Praxisnahe Lösung, gewachsen aus der Erfahrung der Hersteller

- Flexible Programmorganisation, die den Einsatz in der eigenen Hardware- und Software-Umgebung ermöglicht

- Wachstumsfähigkeit für zukünftige Mengen- und Qualitätsansprüche

- Integrationsfähigkeit zu anderen Produkten des gleichen Anbieters und in der eigenen Organisation

- Faires Preis-Leistungs-Verhältnis

- Seriöse Beratung, auch nach Einführung des Systems

- Teilnahme an Produktionserweiterungen, ohne alles komplett neu zu installieren und/oder bezahlen zu müssen

- Excellente Dokumentation und fortschrittliche Programmiermethode nach den neuesten Entwicklungen.

Der Frust kommt von allein

Diese Idealvorstellungen werden vom Angebot nicht oder nur teilweise abgedeckt. Zugesagte Funktionen decken die geforderten Leistungen nur oberflächlich ab, Integrationsfähigkeit besteht oft nicht einmal zu benachbarten Produkten desselben Anbieters und die Punkte Flexibilität, Beratung und Dokumentation lassen auch viele Wünsche offen.

Zeitdruck und Erfolgszwang durch zu eng gesetzte Realisierungstermine, Unkenntnis der eigenen Soll-Anforderungen an die Problemlösung und mangelnde Markttransparenz kennzeichnen die Situation des Anwenders. Unvollständige Produktinformationen durch den Anbieter kommt als charakteristisches Merkmal hinzu.

Genau das ist die Situation in der sich der Anwender befindet, wenn er versucht, sich aus der Vielzahl der angebotenen Produkte seine "optimale" Lösung herauszufiltern. Hier gilt es nun, nach "knallharten" Kriterien eine Auswahl zu treffen:

-DV-Rahmenplanung.

Jede Software-Entscheidung ist keine alleinstehende Tatsache, sondern immer in Zusammenhang zu bringen mit der geplanten Gesamtentwicklung der Informationsverarbeitung für das entsprechende Unternehmen. In der DV-Rahmenplanung werden in Zusammenarbeit mit den Beratern mittel- und langfristige Zielsetzungen der Geschäftsleitung, der Fachabteilungen und der DV-Abteilung erarbeitet, priorisiert und harmonisiert. Das Ergebnis ist ein Drei- bis Fünf-Jahresplan, geordnet nach Prioritäten und Abhängigkeiten, sowie eine vorläufige Kapazitätsplanung von Anwendungsentwicklung, Soft- und Hardware. Aus der Kenntnis dieser Planung lassen sich einsame Entschlüsse bezüglich gefürchteter Schnellschüsse und deren Realisierung entweder vermeiden oder zumindest deren Auswirkungen aufzeichnen. Zusätzlich wird der Erwartungshorizont für geplante Endtermine von Projekten wesentlich realistischer.

- Markttransparenz:

Zur Erhöhung der Markttransparenz werden Standardanwendungen wie PPS-Systeme, Text- und Datenverarbeitung, Finanzbuchhaltung in ,Form von vergleichenden Studien aufbereitet.

1. Erarbeitung des Fachkonzeptes Schwerpunkte dieser Phase sind:

- Beschreibung des zu, erreichenden Ziels

- Definition des Untersuchungsbereichs

- Darstellung des IST-Zustandes

- Beschreibung der zu bedienenden Schnittstellen

- Erarbeitung des gewünschten, optimierten Ablaufs

2. Erstellung des Kriterienkatalogs

Aus der Kenntnis der geplanten Abläufe aus dem Fachkonzept werden in einer "Stoffsammlung" in Zusammenarbeit mit den Fachabteilungen die Anforderungen an die Software in Form von Kriterien gesammelt.

Nach übergeordneten Gesichtspunkten - Funktionen - Aufgabe - Teilaufgabe - wird die Stoffsammlung hierarchisch strukturiert.

3. Erstellung des Anforderungsprofils

Jedes einzelne Kriterium wird von der Fachabteilung innerhalb der Gruppe gewichtet. Zusätzlich können "KO-Kriterien" benannt werden, deren Erfüllung unverzichtbarer Bestandteil für die zu lösenden Aufgabenstellung ist. Somit ergibt sich ein gemeinsam verabschiedetes Anforderungsprofil, das die Schwerpunkte der Anwendung aus der Sicht der Fach- und DV-Abteilung genau wiedergibt.

Pakete verschiedener Hersteller bieten unter der gleichen Aufgabenstellung unterschiedliche Lösungsansätze mit unterschiedlichen Schwerpunkten an. Es gilt nun, das System zu finden, das die eigenen Schwerpunkte am besten abdeckt.

4. Untersuchung der Erfüllungsgrade in Frage kommender Anwendungspakete

Der gewichtete Kriterienkatalog wird den in Frage kommenden Anbietern zur Verfügung gestellt. Die beantworteten Kriterien werden nun aufgrund der beschriebenen Lösungsätze bewertet. Die Skala reicht beispielsweise von 0 = nicht gelöst bis 10 = denkbar beste Lösung. Mit den Gewichten versehen ergibt sich ein Nutzwert und somit eine Rangfolge der Systeme. In die engere Auswahl sollten höchstens die drei besten Systeme kommen.

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Nach Erarbeitung des Einführungsplans mit genauer Beschreibung der Bedienung der Schnittstellen zu jedem Zeitpunkt ist das meiste getan.

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5. Detailuntersuchung

Zur Überprüfung der Ergebnisse werden den Anbietern Mengengerüste, ein repräsentativer Mix von Stamm- und Bewegungsdaten sowie eine Anzahl in einer Vorführung darzustellender Geschäftsvorfälle zur Verfügung gestellt. Es bietet sich an, auch hier nochmals die Nutzwertanalyse einzusetzen. Die Geschäftsvorfälle werden gewichtet und während der Vorführung wird der Erfüllungsgral benotet. Parallel werden Auskünfte von Referenzkunden über Fehlerfreiheit, Erweiterungs- und Anpassungsfreundlichkeit und den Service des Anbieters eingeholt. Aus den Satzbeschreibungen der Anwendungdokumentation wird für verarbeitungsrelevante Felder geprüft, ob die geforderten Informationsinhalte im eigenen Unternehmen vorhanden oder zumindest ergänzbar sind.

6. Beschreibung der notwendigen Änderungen

Wenn eine ablauforganisatorische Anpassung des Kunden an die einzusetzende Software nicht möglich ist, bleiben Zusatzprogramme, Programmerweiterungen oder Programmänderungen unumgänglich. Da mit Versionswechseln bei verschiedenen Herstellern zu rechnen ist, sollte die Veränderung des Quellencodes die letzte Möglichkeit sein.

Die vorzunehmenden Änderungen werden in Zusammenarbeit zwischen dem Kunden, Berater und Anbieter definiert, auf Realisierbarkeit überprüft und der Aufwand geschätzt. Somit ist auch die Kostenseite abgeklärt, da die Kosten für Hardware, Software und die Implementierung in Phase 5 und 6 erarbeitet wurden.

7. Entscheidung

Die Ergebnisse der Phasen 4, 5 und 6 werden aufbereitet und den Entscheidungsträgern vorgelegt.

Durch die Einhaltung dieser Vorgehensweise ist sichergestellt, daß die Auswahl anhand objektiver Kriterien getroffen wird. Alle Beteiligten sind während der Untersuchung mit einbezogen worden, der Informationsstand ist gleich, die Erwartungshorizonte haben sich der Realität angenähert. Der Funktionsumfang ist bekannt, Änderungen sind definiert und beschrieben, Überraschungen nach Abschluß sind weitgehend ausgeschlossen.

Was nach der Entscheidung noch zu tun ist, bevor aus der Einführung eines Standardpaketes ein "ganz normales" Projekt wird, ist die Erarbeitung eines Stufenplans. Viele angebotenen Pakete sind so umfangreich, daß sie nur stufenweise eingeführt werden können. Zu jedem Zeitpunkt der stufenweisen Realisierung muß jedoch gewährleistet sein, daß das Gesamtsystem orperabel bleibt. Diese Problematik wird häufig unterschätzt oder außer acht gelassen. Dies führt während der Realisierung zu ungeplantem Aufwand, Verzögerungen oder unnötiger Pflege doppelter Datenbestände. Nach Erarbeitung des Einführungsplans mit genauer Beschreibung der Bedienung der Schnittstellen zu jedem Zeitpunkt ist das meiste getan.

Blattgold

Es ist (noch) nicht alles Gold, was glänzt - dieses hoffnungsvoll abgewandelte Sprichwort paßt nicht schlecht, wenn man den Mut aufbringt, Standardsoftware einzusetzen. So schön die Produktbeteuerungen der Anbieter auch klingen, und so gut sich Standardsoftware in klassischen Bereichen wie Buchhaltung oder Gehaltsabrechnung auch einsetzen läßt, ganz frei von Haken, Ösen und Macken ist die Chose nicht. Da ist einmal die Umgebung zu berücksichtigen, unter der die eingekaufte Software eingesetzt werden soll. Ist nämlich ein standardisiertes Programm für den Einsatz auf verschiedenen, einander nicht ähnlichen Betriebssystemen (wie DOS und OS oder BS1000 und BS2000) vorgesehen, so ist davon auszugehen, daß die Programme nicht mehr optimal ablaufen, da Spezialitäten der Betriebssysteme, die sich auf den leistungsmäßigen Durchsatz beziehen, nicht genügend Berücksichtigung finden.

Auf den erstens auch detaillierten Blick mag zwar die standardisierte Lösung passabel aussehen, aber spätestens beim Einsatz zeigt sich, wo die Software klemmt. Selbst bloßes Andern kann durchaus zu Reibereien mit dem Softwarehersteller über Serviceleistungen führen, ändern lassen hingegen ist nicht nur kostenaufwendig, aus Kapazitätsmangel wird sie vom Hersteller manchmal auch gar nicht durchgeführt werden. Da nutzen - ohne bösen Willen zu unterstellen - auch Beteuerungen des Entwicklungsteams nicht mehr viel. Schutz vor solcher Unbill kann eigentlich nur der Käufer selbst aufbauen.

Viel Zeit bei der Auswahl, eine echte Probeinstallation im Parallellauf und auch der Biß in den sauren Apfel bei Nichtgefallen gehören nach Meinung unabhängiger Berater dazu. Die Kosten machten sich allemal bezahlt. Bei branchenorientierter Software bietet sich noch ein anderer Weg. Über die Fachhändler können Gleichgesinnte gesucht werden, die die standardisierte Lösung schon eingesetzt haben. Hier, so die Experten, sei allerdings mehr Mut der Fachabteilungsmitarbeiter vonnöten, die eine ihnen passende Lösung auch mal gegen den DV-Chef durchsetzen müssen.

Denn ideal wäre eine Lösung aus einem Guß - Hardware und Software für eine einzige Anwendung entwickelt - fast so wie man eine Uhr ausschließlich zur Zeitgebung konzipiert. Die Ansätze auf diesem Sektor scheinen in der Bundesrepublik gering.

Dennoch, der Markt für Standardsoftware lebt.

Nach bisher unveröffentlichten Zahlen des Nomina-Verlags aus München tut sich in der Statistik einiges. Zwar seien die Zahlen etwas zurückgegangen, da man den Isis-Katalog um Uralt- und reine Mikroprodukte bereinigt habe, doch sind im neuen Katalog viele neue Standardlösungen und junge Softwarefabriken aufgelistet. Die Zahl der angebotenen Branchenprogramme liegt jetzt bei 698, die der kommerziellen Software bei 1185. An Anbietern verzeichnet der Katalog 605 Unternehmen, in Deutschland 454. Branchenprogramme bieten 268 Häuser an, kommerzielle Software 371.

Und diese Software ist generell jung: Der überwiegende Teil stammt aus den Achtziger Jahren. Da besteht die Hoffnung, daß doch moderne Methoden und Erkenntnisse in die Entwicklung eingeflossen sind - zum Nutzen des Anwender und um das manchmal schiefe Bild der Branche zu polieren. hh