Joint-venture mit SID ist das erste nach der Liberalisierung

Marktöffnung in Brasilien: IBM und Partner bauen PS/2-Rechner

16.08.1991

*Lorenz Winter berichtet als freier Autor für die COMPUTERWOCHE aus Rio de Janeiro und Sao Paulo, Brasilien.

Am gleichen Tag, als das brasilianische Kabinett dem Kongreß des Landes Anfang 1991 das zweite Richtlinienprogramm zur Entwicklung der DV-Industrie ("Planin II") vorlegte, gaben IBM Brasil und die SID Informatica die Gründung eines Joint-ventures zum Bau von PS/2-Mikros bekannt.

Für das gastgebende Land und den ausländischen Venture-Partner, der trotz harter Rückschläge in den Vormonaten immer noch maßgebliches Unternehmen der Branche ist bedeutete das Projekt eine Kehrtwendung ihrer bisherigen Strategie.

- Big Blue, das Partnerschaften früher grundsätzlich ablehnte und sich mit dieser Weigerung während der 70er Jahre in Brasilien viel Ärger einhandelte, erkor nun gerade das südamerikanische Land zum Schauplatz der ersten PS/2-Gemeinschaftsfertigung.

- Brasilien, dessen Informatikgesetz von 1984 Auslandsfirmen strikt untersagte, gleichzeitig Kapital und Technologie in Projekte mit einheimischen Unternehmen einzubringen, läßt nunmehr ausgerechnet den Marktführer in einem zuvor komplett abgeschotteten Segment zum Zuge kommen. "Die Zeiten haben sich geändert", strahlte Rudolf Höhn, deutsch-brasilianischer Chef von IBM Brasil, vor den zur Pressekonferenz gebetenen Journalisten.

Trendwende schon vor drei Jahren erkennbar

Daß der Wind allmählich aus anderer Richtung blies, war bereits vor etwa drei Jahren zu spüren, als Topmanager von SID, das zur stark diversifizierten Firmengruppe des brasilianischen Unternehmers Mathias Machline gehört, erstmals dem Chef der mittlerweile aufgelösten "Sonderbehörde für das Informatikwesen" (SEI) ihre Absicht zur Übernahme der. PS/2-Produktlinie vortrugen. Zu ihrer Verblüffung erwiderte der Beamte darauf nur lakonisch: "Na und?"

Höhn und SID-Präsident Antonio Carlos do Rego Gil, selber ein ehemaliger IBMer, deuteten die Antwort optimistisch als Signal für eine bevorstehende Trendwende in der brasilianischen DV-Politik. Anfang 1990 schlossen sie daher zunächst ein Lizenzabkommen, in dessen Rahmen SID von IBM die Mikrokanal-Technologie bezog. Die Brasilianer entwickelten auf dieser Basis einen PS/2-kompatiblen Prototyp - das dabei gewonnene Know-how geht jetzt auf das neue Venture über. Der Transfer erfolgt zudem kostenlos, da SID keine Tantiemen an seinen US-Partner zahlt - anders als sonstige Hersteller, die PS/2-Technologie erwarben und dafür zwei Prozent vom Umsatz als Lizenzgebühr entrichten müssen.

Bis Ende dieses Jahres sollen die ersten PS/2-Rechner in Brasilien auf den Markt kommen - angefangen wahrscheinlich mit den leistungsstärkeren Modellen für die Firmenkundschaft von IBM und SID. Anwender, die auf die preisgünstigeren unteren Modellgruppen warten (ab 2000 Dollar), müssen sich dagegen noch etwas gedulden.

Der brasilianische Mikrocomputer-Markt nahm letzthin jährlich rund 100 000 Einheiten, ausschließlich aus nationaler Fertigung, auf. Wie er sich nach der definitiven Öffnung der Importschleusen entwickeln wird, ist noch schwer abzuschätzen. Höhn und do Rego Gil kalkulieren für ihr Venture in den ersten fünf Jahren mit Verkäufen von 200 000 bis 300 000 Stück.

Für Konzernchef Machline demonstriert die Genehmigung zur Gründung des DV-Ventures zwischen IBM und SID den Willen der Regierung unter Staatspräsident Fernando Collor, "unser Land zumindest in dieser Branche endlich an den technischen und wirtschaftlichen Standard der Industrieländer heranzuführen".

Und auch der Präsident der nationalen Vereinigung von User-Verbänden (Sucesu), Fabio de Souza Neto, hält Abkommen wie dieses für durchaus wünschenswert, um prinzipiell wettbewerbsfähige Firmen der DV-Industrie besser als bisher mit Kapital und Know-how auszustatten.

Dennoch konnte natürlich gerade im Fall IBM seitens der Fachöffentlichkeit die Frage nicht ausbleiben, was das Venture für Big Blue noch wert sei, wenn Mitte der 90er Jahre die Einfuhr von Informatikgerät nach Brasilien tatsächlich voll liberalisiert sein wird.

Höhn wimmelt solche Zweifel aber stets mit dem Hinweis ab: "Es gehört nicht zu unserer Strategie, Partnerschaften schon mit dem Blick auf eine etwaige künftige Scheidung einzugehen."

Im Gegenteil: Nach der Vereinbarung mit der Gruppe Itautec vom Vorjahr zur Lizenzfertigung des Systems AS/400 seien künftig "durchaus noch weitere ähnliche Abkommen gerade auch mit brasilianischen Firmen vorstellbar".