Marktbeobachter: Offensive kommt möglicherweise zu spät

Marktbeobachter: Offensive kommt möglicherweise zu spät Gates bugsiert Microsoft in schweres E-Commerce-Fahrwasser

12.03.1999
MÜNCHEN (CW) - Microsoft hat in San Franzisko seine E- Commerce-Pläne vorgestellt. Mit neuen Softwareprodukten und Dienstleistungen will das Unternehmen innerhalb eines Jahres eine Million Firmen zu Web-Händlern machen. Viele Analysten glauben jedoch, daß die angekündigte Offensive zu spät kommt.

Microsoft konnte sich bislang keinen Namen als E-Commerce- Lösungsanbieter machen. In diesem stark wachsenden Marktsegment waren Firmen wie IBM, Cisco, Netscape, Hewlett-Packard, Oracle oder EDS mit Strategien und Marketing-Kampagnen schneller zur Stelle. Bill Gates möchte das Feld jedoch keineswegs kampflos der Konkurrenz überlassen und kündigte eine weitreichende Kombination von Microsoft-Diensten und -Produkten zu einer Full-Service-E- Commerce-Landschaft an.

Kern der Offensive ist "Biz-Talk". Dabei handelt es sich um ein auf der Extensible Markup Language (XML) basierendes Technologie- Framework, das Firmen mit unterschiedlichsten Computersystemen in die Lage versetzen soll, die beim E-Commerce anfallenden Daten auszutauschen. Biz-Talk soll das Bindeglied zwischen allen Produkten und Dienstleistungen bilden, die Microsoft im einzelnen präsentierte. Es wird künftig von allen Microsoft-Anwendungen unterstützt und anderen Firmen kostenlos zur Verfügung gestellt.

Neue Softwarepakete und MSN als Zielplattform

SAP und Peoplesoft haben bereits Produktanpassungen für Biz-Talk angekündigt. So will Peoplesoft Microsoft-Produkte zum Aufbau des "Peoplesoft Business Network" (PSBN), einer Reihe von E-Commerce- Applikationen, nutzen.

Die Strategie der Gates-Company baut in erheblichem Maße auf das hauseigene Internet-Portal MSN (www.msn.com), das zu einem riesigen virtuellen Marktplatz mit einer Vielzahl von Produkten ausgebaut werden soll. Die entsprechende Datenbank wird ausgefeilte Such- und auch Vergleichsmöglichkeiten bieten. In bewährter Manier hat Microsoft dazu für geschätzte 100 Millionen Dollar Comparenet übernommen, auf dessen Web-Site 45000 Produkte nach 95 Kategorien sortiert verglichen werden können. Alan Alper, Marktbeobachter bei Gomez Advisors, gibt allerdings zu bedenken, daß Yahoo bereits vor über zwei Jahren mit dem vergleichenden Einkaufen begonnen hat. Außerdem könnten Nutzer die Glaubwürdigkeit des Softwareriesen als neutraler Shopping-Anbieter bezweifeln. Analyst Vernon Keenan von Keenan Vision ist dagegen überzeugt, daß der Zukauf die Position von MSN als Web-Portal stärken wird.

Mit drei Softwarepaketen will Microsoft Unternehmen den Gang ins Internet erleichtern:

-"Small Business Commerce Services" erlaubt es auch Laien, über ein simples Browser-Interface einen Online-Shop einzurichten. Dieser kann wahlweise bei MSN oder einem anderen Internet-Service- Provider gehostet werden;

-der "Commerce Server" ist ein Upgrade für den bisherigen "Site Server Commerce Edition 3.0" und erlaubt den Aufbau komplexer Storefronts (Online-Einkaufsumgebungen). Er bietet auch Back- Office-Funktionalität, etwa für Direkt-Marketing oder Analyse von Kundendaten;

-der "Biz-Talk Server" schließlich übersetzt zwischen verschiedensten Plattformen die Daten und Informationen über Produkte, Preise, Bestellungen und Rechnungen.

Einen Haken hat die Ankündigung allerdings: Alle genannten Produkte werden nicht vor Windows 2000 auf den Markt kommen - und niemand weiß genau, wann das sein wird. Selbst wenn der derzeit genannte Liefertermin (viertes Quartal 1999) eingehalten werden sollte, ist das nach Ansicht von Experten vielleicht schon zu spät.

Analysten:Kunden werden nicht auf Microsoft warten

"Yahoo hat allein im vierten Quartal 1998 rund 4000 Händler für sein Portal angeworben", warnt etwa Albert Pang von der International Data Corp. (IDC). "Es dürfte für Microsoft schwierig werden, das noch aufzuholen."

Das Marktforschungsunternehmen Zona Research bescheinigt Microsoft zwar grundsätzlich einen vielversprechenden Ansatz, um im E- Commerce-Geschäft mitzumischen, bezweifelt aber andererseits, daß Bill Gates den ehrgeizigen Zeitplan bis Ende dieses Jahres einhalten kann. Beinahe alle Beobachter sind sich einig, daß Biz- Talk und andere Elemente der E-Commerce-Strategie erst Monate nach der Jahrtausendwende einsatzbereit sein werden. In der Zwischenzeit werden die Konkurrenten sicher nicht ihre Hände in den Schoß legen, sondern sich kräftig Marktanteile sichern.

Noch vernichtender war das Urteil von John Robb von Gomez Advisors. Er vertritt die Ansicht, daß Microsoft gegenüber den Wettbewerbern weiter an Boden verlieren werde. Das Microsoft- Betriebssystem Windows NT und die E-Commerce-Software seien nicht so leistungsfähig wie die Konkurrenzprodukte beispielsweise von Sun Microsystems unter dem Betriebssystem Unix. Andrew Bust, Software-Entwickler und President von Progressive Systems Consulting aus New York, bezeichnete gar den "Wizard", der Site- Server-Anwendern den Aufbau von Online-Shops erleichtern soll, als "häßlich" und unnütz. Vor allem sei der Wizard vollkommen unflexibel, pflichtet ihm Systemintegrator David Roth von der Stratis Group bei. Microsoft-Boß Bill Gates jedenfalls konnte den in San Franzisko versammelten Analysten keine befriedigende Antwort auf die Frage geben, warum Unternehmen auf das Microsoft- Paket warten sollten.