Mannesmann: Vom Stahlriesen zum europäischen Carrier

09.07.1999
Für Branchenverhältnisse geradezu heimlich, still und leise hat sich die Mannesmann AG zu einem ernstzunehmenden TK-Player gewandelt. In Deutschland sowieso, wo man im Mobilfunk und zunehmend auch im Festnetzgeschäft den Ex-Monopolisten Telekom das Fürchten lehrt. Durch eine geschickte Beteiligungspolitik im benachbarten Ausland hat der ehemalige Stahl- und Röhrenkonzern zudem europäische Expansiongelüste erkennen lassen. Jetzt allerdings werden die Düsseldorfer auch an den von ihnen selbst gesetzten Maßstäben gemessen.

Böse Zungen behaupten, Joachim Funk habe genau das erhalten, was Telekom-Chef Ron Sommer auch so gerne bekommen hätte - nämlich Zuspruch, ja sogar ausdrückliches Lob der Aktionäre für eine geschickte Internationalisierungs- und Diversifizierungsstrategie. Und der Zufall wollte es, daß der Vorstandsvorsitzende der Mannesmann AG Ende Mai dieses Jahres nur einen Tag später durch das Fegefeuer der Hauptversammlung mußte als sein großer Widerpart in Bonn. Doch während sich Sommer wegen des Desasters der gescheiterten Fusion mit Telecom Italia einer zum Teil wütenden Kritik der Anleger ausgesetzt sah, konnte Funk den Applaus seiner Aktionäre genießen. Von "Tempo und Lautlosigkeit der Transaktionen" war da die Rede und natürlich von den "Assets", die die jüngsten TK-Zukäufe dem Konzern gebracht hätten.

Eigentlich hätte das Lob noch jemand anderes verdient gehabt: Klaus Esser, bis zum 28. Mai, dem Tag der Hauptversammlung, Finanzvorstand sowie "Architekt" der TK-Aktivitäten von Mannesmann und seither Funks Nachfolger. Ein Stabwechsel an der Unternehmensspitze, lang angekündigt und ebenfalls geräuschlos vollzogen. Wie überhaupt man in Düsseldorf Personalquerelen nach außen hin auf sehr geschickte Weise zu lösen scheint. Der letztlich stille Abgang des einstigen "TK-Papstes" Peter Mihatsch vor rund zwei Jahren, als dieser einen erbitterten Machtkampf mit Esser um die Funk-Nachfolge verloren hatte, spricht Bände. Und Esser hat die Mannesmann AG in mehrjähriger Kärrnerarbeit zu dem gemacht, was sie heute ist: ein insgesamt gut aufgestellter Mischkonzern mit einer hervorragenden Position im künftigen Wachstumsmarkt Telekommunikation. Nicht wenige Experten trauen den Mannesmännern deshalb noch weitaus mehr zu: den Aufstieg zu einer der bedeutendsten TK-Adressen in Europa.

Letzteres scheint spätestens seit dem geglückten "italienischen Abenteuer" der Düsseldorfer möglich. Vielen Chronisten der Wirtschaftspresse war dies zunächst nur eine Fußnote wert; später schrieb man von Mannesmann als "lachendem Vierten". Als während des dreimonatigen Übernahmepokers zwischen Deutscher Telekom und Olivetti um Telecom Italia alles gebannt nach Rom und Bonn blickte, hielt sich der mit Olivetti verbandelte Mannesmann-Konzern lange Zeit im Hintergrund. Nachdem Olivetti-Chef Roberto Colaninno dann seinen Coup der feindlichen Übernahme des früheren italienischen Staatscarriers in trockenen Tüchern hatte, kamen die Düsseldorfer in einer Art Ringtausch zum Zuge. Man kann auch sagen, groß ins Geschäft. In einer bereits Monate zuvor ausgehandelten Vereinbarung hatte sich Mannesmann eine Kaufoption für die Festnetzgesellschaft Infostrada sowie 55 Prozent der Anteile am Mobilfunkbetreiber Omnitel gesichert. Beide Companies waren zuvor unter dem Dach des zusammen mit Olivetti vor rund drei Jahren gegründeten Joint-ventures Oliman aktiv und bereits sehr erfolgreich. Jetzt, über Nacht sozusagen, rückte Mannesmann - für den stolzen Kaufpreis von umgerechnet knapp 15 Milliarden Mark - zur Nummer zwei im italienischen TK-Markt auf. Einer, der dies unbedingt verhindern wollte, war Insidern zufolge Ron Sommer. Zumindest aber dürfte der Tatendrang des Telekom-Frontmannes im Zusammenhang mit Telecom Italia auch darin begründet gewesen sein, seinem in Deutschland schärfsten Konkurrenten nicht kampflos das Terrain in einem der bedeutendsten TK-Märkte Europas überlassen zu wollen.

Sommers Vorsicht hat(te) ja auch einen guten Grund. Schon einmal haben die Düsseldorfer dem Bonner Carrier eine Lehrstunde in Sachen Wettbewerb erteilt. Anfang 1989 gewann Mannesmann zusammen mit seinem US-Partner Airtouch die Lizenz für das zweite digitale Mobilfunknetz in Deutschland. Von Beginn an legten die Newcomer, unterstützt von einer aufwendigen Vertriebs- und Marketing-Maschinerie, ein furioses Wachstumstempo vor. Bis heute gelang es der Telekom nicht, mit ihrem D1-Netz die Marktführerschaft zurückzuerobern. Noch im März 1999 telefonierten offiziellen Angaben zufolge 6,5 Millionen Kunden im D2-Netz der Mannesmann Mobilfunk GmbH, rund eine halbe Million mehr als bei T-D1. Diese Schmach sitzt in der Telekom-Chefetage tief. Mehrmals kam es bereits zum Führungswechsel im Topmanagement von T-Mobil, während man sich in Düsseldorf im Glanz des D2-Erfolges sonnte und dabei immer wieder mit der oft kolportierten "Lizenz zum Gelddrucken" kokettierte.

Als einziger Wettbewerber der Telekom startete am 1. Januar 1998 auch die in Eschborn bei Frankfurt am Main ansässige Festnetzgesellschaft Mannesmann Arcor mit einer eigenen Infrastruktur pünktlich und betriebsbereit in den liberalisierten deutschen TK-Markt. 40000 Leitungskilometer führt Arcor in seiner Referenzliste; 7000 davon sind Glasfaserstrecken, die breitbandige Anwendungen bis zu 310 Mbit/s vor allem für große Unternehmenskunden ermöglichen. Rückgrat des Arcor-Backbones sind frühere Leitungen des Mannesmann-Konzerns, insbesondere aber der Deutschen Bahn. Als Ex-Bahnchef Heinz Dürr 1997 einen Partner für seinen TK-Ableger DB-Kom suchte, stachen die Düsseldorfer ihre damaligen hochfavorisierten Mitbewerber Thyssen und Veba aus.

"Der Triumph im Mobilfunk bahnte den Vormarsch in das Festnetz und zur Übernahme von Otelo" kommentierte das Wirtschaftsmagazin "Capital" unlängst die Erfolgsgeschichte von Arcor. Was man so nicht unbedingt unterschreiben muß, denn im Falle Otelo stimmte einfach nur der Zeitpunkt und der Preis. Fest steht aber, daß die Mannesmänner seit ihrem Blitzstart im Mobilfunk als ausgefuchste Profis gelten, ihnen im Markt sogar so etwas wie Bewunderung entgegenschlägt. Und genau so jemanden suchte seinerzeit Bahnchef Dürr. Bis jetzt konnte auch das Arcor-Management unter der Führung des früheren D2-Marketing-Chefs Harald Stöber diesem Ruf gerecht werden, während die beiden anderen vermeintlich "Großen" unter den Konkurrenten der Telekom, Viag Interkom und Otelo, eher durch technische Pannen und Streitereien unter den Gesellschaftern auffielen.

Apropos Otelo: Als Stöber Anfang April besagte Übernahme der gemeinsamen TK-Tochter von RWE und Veba ankündigte, schlug dies wie eine Bombe ein. Doch die 2,25 Milliarden Mark, die die Konzernmutter für diesen Deal springen ließ, waren nicht nur für eine Konsolidierung des Marktes im eigenen Sinne gedacht. Natürlich gelang es dadurch, Mobilcom-Chef Gehard Schmid, Shooting-Star und Enfant terrible der deutschen TK-Szene, auszubremsen, denn inklusive des ebenfalls ansehnlichen Otelo-Netzes wären die Norddeutschen Arcor ziemlich gefährlich geworden. Wichtiger war im Zweifel jedoch etwas anderes: Otelo stand zuletzt besser da als sein Ruf. In konkreten Zahlen ausgedrückt: Mit nur 60000 fest registrierten Privatkunden konnte Arcor zum Zeitpunkt des Mergers nur ein Siebtel soviel lukrative Preselection-Verträge vorweisen wie Otelo. Nur dank des vergleichsweise hervorragenden Standings im - allerdings launischen - Call-by-Call-Geschäft sowie bei den Unternehmenskunden hatte die Mannesmann-Tochter in puncto Umsatz die Nase vorn.

Arcor braucht die "Zweitmarke" Otelo, um auch bei den Privathaushalten Marktführer innerhalb der Riege der Telekom-Herausforderer zu werden, urteilten die Experten. Die Strategie, die der Arcor-Chef wenige Wochen später ankündigte, bestätigte dies. Die inzwischen neugegründete Mannesmann Otelo GmbH mit Sitz in Köln soll sich mit eigener Geschäftsführung, Vertrieb und Marketing sowie spezifischen Tarifen weitgehend auf den Otto Normalverbraucher bei den Privatkunden konzentrieren; Mannesmann Arcor wickelt das Geschäft ab, wo man bis jetzt schon erfolgreich war: bei den (privaten) Vieltelefonierern sowie professionellen Firmenkunden.

Man werde "zielgruppenorientiert Dienste anbieten", begründete Arcor-Chef Stöber, der letztlich natürlich auch bei Mannesmann Otelo das Sagen hat, den nicht mehr einheitlichen Auftritt im Markt. "Versuchslabor Otelo" hieß es dazu in Frankfurter Börsenkreisen, die in der auf Außenstehende nur halbherzig wirkenden Integration des Ex-Wettbewerbers einen ersten Webfehler in der sonst makellosen TK-Strategie von Mannesmann sehen. Einige Fragen bleiben jedenfalls bis auf weiteres offen. Wie soll der im anvisierten Massengeschäft eher unbedarfte Kunde zwischen "The Telefon People" (Arcor) und "For a better Understanding" (Otelo) unterscheiden? Und warum soll sich die Performance des früheren RWE/Veba-Ablegers, der Verluste in Milliardenhöhe produziert hat, durch die Übernahme Knall auf Fall zum Positiven gewandelt haben? Intern ist deshalb auch schon von "unterschiedlichen Kulturen" die Rede. Mit anderen Worten: Es drohen Reibungsverluste, die allein schon deshalb unausweichlich sind, weil Stöber seiner Neuerwerbung ein straffes Kostensenkungsprogramm verordnet hat, wozu unter anderem gehört, daß 1000 der bisher 2500 Otelo-Mitarbeiter gehen müssen.

Hat sich Mannesmann Arcor also mit dem Kauf von Otelo übernommen, den berühmten Klotz ans Bein gebunden? Einige Analysten befürchten dies, sehen sogar Paralellen zu den immensen Schwierigkeiten, die derzeit PC-Krösus Compaq mit der Einverleibung der "Serviceperle" Digital Equipment hat. Doch das Arcor-Management zeigt sich davon unbeeindruckt. Elmar Hülsmann, Vertriebs- sowie Marketing-Vorstand und damit Stöbers rechte Hand, läßt an der "Mission" seiner Company keinen Zweifel aufkommen: "Wir sind und bleiben ein Vollsortimenter im Festnetzgeschäft und werden in allen Segmenten unsere Innovationsfähigkeit unter Beweis stellen."

Tatsächlich verfügt Arcor mittlerweile über ein durchaus mit dem der Telekom vergleichbares Dienstespektrum. Das Portfolio reicht vom Mobilfunk über die klassische Festnetztelefonie bis hin zu Angeboten für Geschäftskunden - etwa Virtual Private Networks im 34-Mbit/s-Bereich, Frame-Relay-Services oder dem Betrieb klassischer Corporate Networks für Sprache und/oder Daten. Letzteres ist übrigens eine Domäne, die mit zu den ersten Gehversuchen der Mannesmänner im Anfang der 90er Jahre erst teilliberalisierten deutschen TK-Markt gehört. Private Datennetzbetreiber der ersten Stunde wie Inas, Meganet und CNI, sind heute jedoch längst Geschichte beziehungsweise in den Arcor-Aktivitäten absorbiert.

Und natürlich versteht man sich bei Arcor auch als Komplettanbieter in Sachen Internet - sowohl für private Consumer ("Internet by Call", "Arcor - Online") als auch für Geschäftskunden (diverse Web-Hosting-Dienste). Doch das Cyberspace-Angebot der Düsseldorfer wirkt selbst auf den zweiten Blick noch hausbacken und vor allem nicht dazu angetan, im Zukunftsmarkt Internet mit der von Mannesmann sonst gewohnten Konsequenz durchzustarten. Erst nach dem Kauf von Otelo hat man sich entschlossen, die bis dato eher an der langen Leine geführten Web-Aktivitäten in der früheren Otelo-Tochter germany.net zu bündeln. Arcor-Manager Hülsmann gibt sich denn auch hier etwas zurückhaltender: "Die gesamte Arcor-Gruppe verzeichnet mit derzeit rund 900 000 Nutzern ein starkes Wachstum im Bereich Internet. Damit zählen wir schon heute zweifellos zu den Top-Anbietern in Deutschland." Was man in Düsseldorf unter "Top" genau versteht, wird nur angedeutet. Vorstellen könne man sich schon, eines Tages in Deutschland hinter T-Online als Nummer zwei den Ton im Markt anzugeben.

Bis dorthin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Was an und für sich nichts Ehrenrühriges wäre, aber die Arcor-Mutter Mannesmann zahlt längst den Preis für ihre ehrgeizige TK-Strategie. Arcor, als definierter Vollsortimenter so etwas wie die Keimzelle des künftigen "TK-Konzerns" Mannesmann, peilt für das laufende Geschäftsjahr 1999 einen Umsatz von gerademal drei Milliarden Mark an; 2001 soll der Durchbruch zur Rentabilität geschafft sein. Bilanzkennziffern, die im Konzert der weltweiten TK-Giganten geradezu lächerlich wirken. Dort spielt man (noch) in einer anderen Liga. Doch die Düsseldorfer werden, dank des listigen Deals mit Olivetti und anderer Auslandsbeteiligungen (siehe Grafik, Seite 10) inzwischen mit europäischen Maßstäben gemessen.

Mannesmann-Chef Klaus Esser ist also in gewissem Sinne ein Getriebener der Entwicklung. Gut neun Milliarden Mark haben im vergangenen Jahr allein Arcor und Mannesmann Mobilfunk zum gesamten Konzernumsatz (37,6 Milliarden Mark) beigesteuert, 1,9 der knapp 2,9 Milliarden Mark Gewinn erwirtschaftete die TK-Sparte. Kein Wunder, daß die Mannesmann-Aktie dank besagter "Telecom-Phantasie" in den zurückliegenden zweieinhalb Jahren zu einem Höhenflug von 35 auf mehr als 150 Euro ansetzte. Bei den Anlegern gilt der Titel inzwischen als reines Telecom-Papier, obwohl der Konzern immer noch knapp 75 Prozent seiner Erlöse in den klassischen Geschäftsfeldern (Automotive, Engineering und vor allem Röhren) erzielt. Die bisherige Strategie, in lukrativen TK-Märkten zunächst auf Minderheitsbeteiligungen zu setzen und diese bei Gelegenheit geräuschlos zu einem "Big Deal" umzuwandeln, könnte deshalb in Zukunft nicht mehr aufgehen.

Der frischgekürte Mannesmann-Chef hat deshalb getan, was er im Moment tun konnte. Man halte an zwei der drei größten europäischen Mobilfunk-Provider die Mehrheit, und man sei in wichtigen Festnetzmärkten des alten Kontinents "die Nummer eins unter den privaten Anbietern", präsentierte er den Aktionären auf der Hauptversammlung seine Bilanz. Den jüngsten Akquisitionen würden "weitere Taten in Europa" folgen. Morgen noch eine spektakuläre Übernahme oder Allianz in Deutschland (vielleicht Mobilcom?), übermorgen in Europa (vielleicht Swisscom?), demnächst sogar ein Deal in den USA? Die Finanzmärkte werden ihre "Stories" fordern. Mal sehen, was Klaus Esser nächstes Jahr zu erzählen hat.

Portfolio: Mit dem Kauf der italienischen Netzbetreiber Omnitel und Infostrada hat Mannesmann europäische Bedeutung erlangt. Nicht zu unterschätzen ist auch die 15-Prozent-Beteiligung am französischen Carrier Cegetel.