Mangelndes DV-Verständnis der User hemmt Mikro-Durchbruch

25.01.1985

Langsamer als erwartet setzen sich die Mikrocomputer bisher in bundesdeutschen Fachabteilungen durch. Über dieses zögernde Vorrücken der "Kraftzwerge" sind viele DV-Manager indes nicht unglücklich. Lutz Martiny, Leiter KDV-Systementwicklung bei der Schering AG, gibt beispielsweise zu bedenken, daß das DV-Verständnis der Anwender nicht kurzfristig vermittelbar sei. Erleichtert zeigt sich Kurt Metzler von der Genossenschaft Migros auch darüber, daß die Benutzer (noch) nicht mit großen Wünschen für die Mikro-Host-Kommunikation an ihn herantreten. Der Schweizer DV-Leiter: "Dies würde zuviel Betreuungsaufwand von den DV-Spezialisten fordern." Für 1985 erwartet Metzler allerdings, daß die Verbreitung von Arbeitsplatzsystemen rasantzunehmen wird.

Dr. Klaus Höfner

Inhaber und Leiter von Dr. Höfner & Partner, Management- und Marketingberatung, München

Vor einigen Wochen gab es in "Dallas" eine Veränderung, die sicherlich nicht nur den Computer-Freaks und den Zuschauern aufgefallen ist: Bobby Ewing hatte plötzlich auf einem Sideboard einen Mikrocomputer stehen. Bösewicht J. R. wollte nichts versäumen und zog in der nächsten Folge nach. Das Fernsehen in den USA ist sicher mehr als bei uns ein Spiegel der Zeitströmungen. Und die Mikros auf den Schreibtischen der Ewing-Brüder sind insofern ein Signal.

Der Mikrocomputer hat in der amerikanischen Industrie einen rapiden Vormarsch angetreten und ist optisch heute schon allgegenwärtig.

In der amerikanischen Industrie wurden 1983 vierzigmal soviel Mikrocomputer aufgestellt wie in Deutschland. Der Bestand ist in den USA zwölfmal so hoch wie in der Bundesrepublik Deutschland.

Das nachfolgende Bild von der Situation in der Bundesrepublik Deutschland und West-Berlin beruht auf Beobachtungen in mehr als 50 Unternehmen zu diesem Thema in den letzten drei Monaten:

1. In den deutschen Unternehmen gibt es noch selten eine umfassende Konzeption zum Thema "Mikro-Einsatz als Managementwerkzeug". In Amerika gibt es heute zwei Schulen zum Thema Mikrocomputer. Die eine Gruppe geht davon aus, daß man an alle Arbeitsplätze mit Managementaufgaben - gleich welcher Ebene (meistens mit Ausnahme des Topmanagement) das wirkungsvollste, kraftvollste Instrument zur Datenzusammenfassung, Bewertung, Analyse, Auswertung, Interpretation und Verarbeitung stellen sollte, das es gibt: den Mikrocomputer. Gerade das gute Kosten/Leistungs-Verhältnis und die enorme Kapazität für Verarbeitungsfunktionen, für Analysearbeiten, für Simulationen und Alternativrechnungen sind die größten Vorteile. Sie ermöglichen dem Mitarbeiter, schneller, fexibler und kreativer zu arbeiten und damit das Unternehmen insgesamt sehr viel leistungsfähiger zu machen. Der Rückgriff auf Massen-Datenspeicher im Großcomputer ist dabei nicht die entscheidende Frage, sondern viel eher die Möglichkeit, ein Instrument mit bisher unbekannten Unterstützungsmöglichkeiten für Managementaufgaben auf unterschiedlichen Ebenen an den jeweils betroffenen Arbeitsplatz zu bringen.

Die andere Schule geht davon aus, daß es möglich sein wird, denselben Effekt durch eine bessere Nutzung und durch eine neue Software für die klassischen Mainframes zu erreichen und baut nach wie vor auf die zentralisierte Datenverarbeitung.

In Deutschland findet diese Diskussion zur Zeit überhaupt noch nicht statt. Man ist in das Thema offensichtlich noch nicht so weit eingedrungen. Während beispielsweise amerikanische Versicherungsunternehmen für Mitarbeiter ab einen bestimmten Level in einem Jahr viele Tausende von Mikrocomputern aufstellen, käme einem deutschen Unternehmen ein solches Vorgehen zur Zeit wohl nicht in den Sinn.

Man wird sich erst im Laufe der kommenden Jahre bewußt werden, daß der Mikro die Möglichkeit zu einem Quantensprung für qualifizierte Tätigkeiten in der Administration, im Marketing, im Vertrieb, in Fertigung und Logistik darstellt.

2. Der Mikrocomputer ist als Managementwerkzeug in Deutschland mit seinen umfassenden Möglichkeiten noch nicht so richtig erkannt worden. Die Begeisterung, die in den USA festzustellen ist, hat sich hierzulande in diesem Umfang nicht eingestellt. Man fürchtet weit eher die Komplikationen, die eine Flut von Mikros auslösen könnte. Es gibt -nicht bei den Unternehmensleitungen, aber vielfach im DV- und Organisationsbereich - eher eine Problematisierung des Mikros. Man redet nach bester deutscher Tradition wieder weniger über die fabelhaften und überaus vielversprechenden neuen Möglichkeiten, sondern mehr über Probleme, negative Folgen und Konfliktpotentiale.

3. Die Diffusion der Mikrocomputer in den deutschen Unternehmen erfolgt auf eine häufig nicht sehr systematische, unauffällige und pragmatische Art und Weise: keine umfassenden Konzepte, wenig übergeordnete Ansätze sind ausschlaggebend, sondern die Initiative einzelner, beispielsweise von Mitarbeitern in den strategischen Planungsabteilungen, im Controlling, im Marketing. Meistens handelt es sich um Leute, die mit DV von Berufs wegen zu tun haben, wie Controller oder Planer, die aufgrund ihrer Ausbildung an Business Schools schon früher mit dem Mikro in Berührung gekommen sind und aus eigener Erfahrung wissen, welch fabelhaftes Arbeitsinstrument für Managementaufgaben und für Planungen der Arbeitsplatzcomputer darstellt.

4. Alle Anzeichen verdichten sich, daß gerade im gewerblichen Bereich in den kommenden zwei bis drei Jahren der Durchbruch beginnt der Nachholbedarf schlagartig aufgeholt wird und der Mikro-Boom ausbricht und daß dieselbe Entwicklung eintritt, in der sich die Amerikaner gerade befinden. Die Zukunft hat schon begonnen, und erfreulicherweise ist sie in diesem Fall nicht bedrohlich.

Kurt Metzler

Leiter DV, Genossenschaft Migros, Zürich

Mittlerweile sind in den Abteilungen der Genossenschaft Migros Zürich ein gutes Dutzend Mikrocomputer installiert worden, und man kann auf die gewonnenen Erfahrungen zurückblicken Grundsätzlich sind die Berichte der Mikrocomputer-Anwender als positiv zu werten. Das Werkzeug PC hat sich bewährt und ist vielerorts zu einem echten Rationalisierungs-lnstrument geworden, das zudem den hohen Anwendungsdruck auf die Groß-DV etwas mildern konnte.

Hauptsächlich wird mit den Geräten Tabellenkalkulation betrieben. Hier sind der Phantasie und den Anwendungsmöglichkeiten keine Grenzen gesetzt. Mikros ohne Harddisks platzen kapazitätsmäßig aus allen Nähten, und schaut man ab und zu den Anwendern über die Schulter, so findet man eine neue Berufsgattung, den Discjockey.

Aufgrund dieser Erfahrung werden für den professionellen Einsatz grundsätzlich Arbeitsplatzcomputer nicht mehr ohne Harddisksbestellt. Der Auswahl des Softwareproduktes für die Tabellenkalkulation muß aus Kompatibilitätsgründen im Unternehmen große Beachtung geschenkt werden. Ein einmal gewähltes Produkt ist kaum mehr zu ersetzen.

Für einige Mikro-lnstallationen im Hause wurden dezidierte Software-Lösungen von dafür spezialisierten Unternehmen in Zusammenarbeit mit dem Anwender eigenentwickelt und eingeführt. Dies hat sich in der kurzen Mikro-Praxis ebenfalls bestens bewährt.

Selbstverständlich sind die Einsatzmöglichkeiten für den Mikrocomputer damit noch lange nicht erschöpft. Von der zentralen Informatik-Abteilung wird neue auf dem Markt erhältliche Software auf Brauchbarkeit überprüft. Erste Erfahrungen zeigen, daß mit Produkten wie Framework oder ähnlichen der eigentliche

Durchbruch des "Kraftzwergs" an jedem Büro-Arbeitsplatz erst anfängt.

Spätestens ab diesem Punkt beginnt die wichtige Aufgabe der zentralen Koordination des Mikro-Einsatzes im Großunternehmen, da der Austausch von Texten, Tabellen, Grafiken und Notizen nur mit einheitlicher Software möglich ist. Nimmt der vielzitierte Wildwuchs von Arbeitsplatz-Computern und -Software im Unternehmen überhand, so kann ein sehr wichtiger Rationalisierungseffekt in Zusammenhang mit der Büroautomation nicht realisiert werden: der Austausch von elektronisch gespeicherten Informationen.

Bei der Software für Einplatzsysteme hat sich in diesem Bereich ein Standard durchgesetzt. Dies ist außerordentlich zu begrüßen, und die Verbreitung der Systeme wird dadurch entscheidend beschleunigt. MS-DOS ist der unbestrittene Leader bei der Systemsoftware geworden, wobei vor allem die funktionsintegrierten Softwarepakete wie Lotus, Open Acces entscheidend zum Erfolg beigetragen haben.

Leider ist bei der Software für Mehrplatz-Systeme, speziell für Multiusing-Systeme, die Situation bezüglich eines Standards alles andere als eindeutig. Als versierter und erfahrener Benutzer und Entwickler derartiger Systeme auf Großcomputern drängt sich die Frage auf, ob Software für Teilhaber-Betrieb letztlich nicht doch besser auf dem Host zu installieren ist. Ein interessiertes Abwarten, was in dieser heiklen Angelegenheit von seiten der Computerlieferanten geschieht, beherrscht im Hause zur Zeit die Szene.

Glücklicherweise sind unsere Mikrocomputer-Benutzer noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt und kommen (noch) nicht in großem Umfang mit Wünschen für die Mikro-Host Kommunikation, Glücklicherweise deshalb, weil einerseits jede Mikro-Host-Anwendung noch viel Betreuungs-Aufwand von DV-Spezialisten erfordert und geeignete Software auf beiden Seiten weitgehend fehlt. Andererseits mangelt es für die Realisierung eines lokalen Netzes noch an Erfahrung - sowohl von Anwenderseite als auch von den Lieferanten. Zur Zeit beschränkt sich in unserem Unternehmen die Kopplung von Großrechner und Arbeitsplatzcomputern auf Versuche mit der Datensicherung von Mikrocomputer-Files.

Bestens bewährt hat sich auch die zentrale Benutzer-Service-Stelle für die Installation von Arbeitsplatz-Systemen. Die Geräte werden vom Lieferanten kartonweise angeliefert und vom zentralen Benutzer-Service schlüsselfertig für den einzelnen Anwender installiert. Bis zur gebrauchsfertigen Installation von Hard- und Software ist einiges Know-how nötig, sollen die ersten Gehversuche des Anwenders mit seinem Mikro-Schützling nicht zum Alptraum werden.

1985 wird die Verbreitung von Arbeitsplatz-Systemen rasant zunehmen. Die Bemühungen um erweiterten und effizienten Einsatz des Rationalisierungs-lnstruments Mikrogehen in Richtung Verbund der Arbeitplatzcomputer in einem LAN, der Mikro-Host-Kopplung und der Erprobung von neuer Software. Aufgrund der gemachten Erfahrungen darf mit großem Optimismus in die Mikrocomputer-Zukunft geblickt werden. Ende des Jahres sind wir mit Sicherheit wieder um einige Erfahrungen klüger geworden.

Lutz Martiny

Leiter KDV-Systementwicklung, Schering AG Berlin und Bergkamen

In der Schering AG wurde Ende 1982 von der Schering Datenverarbeitung ein Konzept entwickelt, die Einführung von Mikrocomputern in den Fachabteilungen zielgerichtet zu fördern und ihre Nutzung systematisch zu unterstützen. Dieses Konzept fand Eingang in eine von der Unternehmensleitung veröffentlichten Richtlinie und umfaßte unter anderem den Aufbau eines Beratungszentrums im Fachbereich Schering Datenverarbeitung, die Festlegung eines Kriterienkataloges, demzufolge entschieden werden kann, ob sich eine Anwendung überhaupt für eine Mikro-Lösung anbietet sowie die Auswahl und den Einsatz eines einheitlichen Mikrocomputer-Systems. Unterziehen sich die Fachabteilungen einer Beratung durch das Beratungszentrum vor der Beschaffung eines Mikros, so bekommen sie ihn aus einem zentralen Budget vorfinanziert. Anderenfalls müssen sie sich den Arbeitsplatzcomputer auf Kostenstelle und Risiko über den Einkauf besorgen und haben keinerlei Anspruch auf Beratung und Ausbildung in der Handhabung von Hardware und Software, Anschluß des Mikros an die zentralen Großrechner sowie Zugriff auf zentral vorgehaltene Datenbestände.

In der Zwischenzeit sind rund 60 Mikros in der Schering AG beschafft worden; für 1985 wird mit einer Verdoppelung dieser Zahl gerechnet.

Der überwiegende Teil ist in den Fachabteilungen eingesetzt und wird ausschließlich mit Standardsoftware (beispielsweise Lotus 1-2-3) für Problemlösungen von Mitarbeitern der Fachabteilung genutzt.

Etwa zehn Geräte sind als Terminals zu DV-Anwendungen auf dem Großrechner eingesetzt. Mitarbeiter der Fachabteilungen machen fallweise Zusatzauswertungen unter Verwendung von Standardsoftware des Mikros. Diese Art der Nutzung des Arbeitsplatzcomputers zeichnet sich für die Zukunft als richtungsweisend ab.

Abgesehen von den Geräten, die bereits in der Schering AG vorhanden waren, bevor die oben beschriebene Richtlinie in Kraft trat, hat es unseres Wissens nur eine Mikro-Beschaffung gegeben, die nicht über das Beratungszentrum gelaufen ist. Einen Wildwuchs gibt es in der Schering AG nicht. Insofern hat sich das Konzept als richtig erwiesen.

Schwierigkeiten bereitet das aggressive Marketing der Mikro-Hersteller, allen voran das Bild Charly Chaplins, das dem PC die Rolle eines Deus ex machina zuweist. Erst bei der Beratung lernt der zukünftige

Nutzer, daß MS-DOS und Lotus völlig unterschiedliche Benutzeroberflächen haben, dieselben Funktionstasten bei dBase II und beispielsweise Visicalc verschiedenartige Funktionen ausführen, Fehlermeldungen des Betriebssystems anders zu behandeln sind als die eines Standardsoftwarepakets und DV-Englisch mit Schul-Englisch wenig zu tun hat.

So hat es sich als sinnvoll erwiesen, den Nutzer nur noch auf dem Mikro den Teilbereichen zu schulen, die zur Lösung seines spezifischen Problems erforderlich sind. Lehrt man ihn mehr, so trägt dieses vermeintliche zusätzliche Wissen nur zur Verunsicherung bei und erhöht den hinterher erforderlichen Beratungsaufwand. Die Nutzung des vollen Leistungsumfanges der heute marktgängigen sogenannten Endnutzersysteme erfordert zur Zeit noch ein erhebliches DV-Verständnis beim Anwender, das nicht kurzfristig vermittelbar ist. Es muß erst langsam durch Schulung, "trial and error" und Beratung in der Fachabteilung wachsen.