Mangelnde Management-Qualitaet ist das Hauptrisiko IT-Unternehmen mit Kapital aus dritter Hand zum Erfolg gefuehrt

17.03.1995

Von CW-Korrespondent Lorenz Winter

Sie heissen Gemplus, COM 1, Pixel, Business Objects, Ingenia oder Arche Communications: franzoesische Start-up-Firmen in der IT- Branche, gegruendet oder erworben mit Risikokapital. Fonds-Manager und Unternehmensfuehrer berichten ueber Erfolge, Flops und Strategien.

Frankreich bildet in der EU heute den bedeutendsten Markt fuer Risikokapital: Nach Zaehlungen der European Venture Capital Association (EVCA) wurden dort von 1984 bis 1993 etwa 16,7 Milliarden Mark solcher Mittel eingesammelt. Sie kommen hauptsaechlich von grossen Fondsgesellschaften wie Sofinnova, Finovelec, Galilee Investissements, der der France Telecom nahestehenden Innovacom oder der Investment-Tochter Banexi bei der Banque Nationale de Paris.

Grosse Nachfrage nach Risikokapital

In Deutschland belief sich die Summe laut EVCA im gleichen Zeitraum auf 8,3 Milliarden, in Grossbritannien auf 5,3 Milliarden Mark. Auch bei den im Rechnungsjahr 1993 fuer solche Zwecke zur Verfuegung stehenden und den tatsaechlich ausgegebenen Geldern lag Frankreich mit 2,7 beziehungsweise 1,75 Milliarden Mark an der Spitze, wiederum vor Deutschland mit 1,4 Milliarden beziehungsweise 1,2 Milliarden Mark. In der Bundesrepublik liefern jedoch, anders als im Nachbarland, die Hausbanken mittelstaendischer Firmen zusaetzlich noch ein nennenswertes Volumen an Risikokapital.

Nach Schaetzung von Jean-Claude Leveque, Abteilungsleiter bei Innovacom, duerften etwa zehn Prozent des Gesamtaufkommens an Venture-Capital in High-Tech-Projekte aller Art investiert worden sein: Informationstechnologie, Elektronik, Biomedizin, Pharmazeutik etc.

Gemessen an der Zahl der den Fonds zur Pruefung vorgelegten Projekte, ist die Nachfrage nach Risikokapital in Frankreich enorm, auch wenn waehrend der Krisenjahre 1992/93 Mittelaufkommen und Investitionen voruebergehend spuerbar schrumpften. 250 bis 300 Kandidaten melden sich laut Leveque jetzt wieder jaehrlich zum Beispiel bei seiner Gesellschaft.

Schon bei der ersten Auslese (technische Kriterien, Soliditaet des eingereichten Geschaeftsplans etc.) trennen sich Spreu und Weizen: Nur etwa zehn Projekte nimmt Innovacom neu in sein Portfolio auf; zwei davon scheitern erfahrungsgemaess spaeter dennoch. Immerhin gibt es unter den anderen meist einen "phaenomenalen Erfolg" sowie zwei Projekte, die sich "nicht uebel anlassen", berichtet Leveque. Die uebrigen fuenf leben "mehr schlecht als recht" vor sich hin, koennen sich aber teilweise auch als Spaetzuender entpuppen.

Die geringe Erfolgsquote der auf die Short-List der Fondsmanager gelangten Kandidaten fuehrt Olivier Protard von Sofinnova letztlich auf mangelnde Fuehrungsqualitaeten der hoffnungsvollen Gruender zurueck. Protard glaubt unter den Initiatoren von Start-up-Companys drei Haupttypen erkennen zu koennen:

- Den Ingenieur, der eine neue Idee beim bisherigen Arbeitgeber nicht verwirklichen kann und deshalb den Sprung in die Selbstaendigkeit riskiert. Zwei der erfolgreichsten juengeren IT- Mittelstaendler Frankreichs, der TK-Spezialist COM 1 und der Chipkartenhersteller Gemplus, gehoeren zu dieser Kategorie; ihre Gruender kamen von Thomson beziehungsweise von France Telecom.

- Den Dressurreiter, der seinen Geschaeftsplan von vornherein langfristig konzipiert und auch in der IT-Branche haeufig, vor allem im Handel, aktiv ist.

- Den Advokaten - hier nicht als Berufsbezeichnung gemeint, sondern im Sinne des Ehrentitels "avvocato", den in seiner Heimat zum Beispiel Fiat-Chef Giovanni Agnelli traegt. Der mit erstklassigen Kenntnissen von Finanz-, Steuer- und Rechtsfragen ausgestattete "Advokat" ist laut Protard in der IT-Branche Europas noch eine sehr junge Erscheinung. Er zieht ausser der Gruendung stets auch den Erwerb eines vorhandenen Firmenmantels in Betracht, sogar von Unternehmen, die "scheintot darniederliegen" (Protard). Seine ganze Energie konzentriert er dann wie Agnelli auf Sanierung, Reorganisation und strategische Neuorientierung. Dabei hat fuer ihn die richtige Einschaetzung und systematische Motivierung des uebernommen Mitarbeiterstamms absoluten Vorrang.

Protard glaubt, dass es nicht nur in Frankreich, sondern in ganz Europa speziell fuer den avvocato ein breites Betaetigungsfeld gibt: "start again" sei oft zweckmaessiger als "start up". Leider zeige sich in der Praxis aber immer wieder, dass - anders als in den USA - 40- bis 50jaehrige Topmanager selten bereit seien, noch einmal neu anzufangen und ein Unternehmen "mit vielleicht nur drei bis fuenf Millionen Franc Umsatz richtig hochzubringen".

Wichtigstes Etappenziel bildet fuer die Venture-Gruendungen der IT- Branche nach Ansicht von Alain Tingaud, geschaeftsfuehrender Eigner von Arche Communications (Systemintegration im Bereich Mehrwertnetze), ein rascher Gewinn an kritischer Masse bei Marktanteil, Umsatz, Cashflow und Ruecklagenbildung. Dem stimmt Protard aus der Perspektive eines Fondsmanagers zu: Waehrend es in der Biotechnik und Pharmazie zehn bis 15 Jahre dauern kann, ehe sich Forschungsarbeit und Patenterteilung wirtschaftlich auszahlen, seien fuer Venture-Firmen der IT-, TK- und Multimedia- Branche 18 bis 24 Monate das zeitliche Maximum. Protard: "Wer es bis dahin nicht geschafft hat, muss skeptisch beurteilt werden."

Allerdings komme in der Startphase nicht selten auch das Gegenteil vor, weiss Michel Angue, Direktor bei Galilee Investissements. Die Gruenderfirmen versuchen, die kritische Masse durch forciertes externes Wachstum (200 oder gar 300 Prozent im ersten beziehungsweise zweiten Jahr) zu erreichen, uebernehmen sich dabei und explodieren dann sozusagen im Flug. Dagegen sei ein internes Wachstum von 30 bis 35 Prozent auch fuer europaeische Start-ups eine durchaus realistische Zielvorgabe und organisatorisch zu verkraften, findet Claude Amenc, Generaldirektor des auf AI- Produkte spezialisierten Software-Entwicklers Ingenia.

Bei diesem Tempo, ergaenzt Protard, komme ein Einzelprojekt in der Regel auch rasch auf eine Kapitalrendite von 15 Prozent. Die Bandbreite aller von seinem Fonds gestuetzter Projekte liege dagegen zwischen fuenf und 60 Prozent.

Vorstandsvollmacht statt Mehrheitsbesitz

Denis Peyre, Generaldirektor des Software-Publishers Business Objects (BO), kommt im wesentlichen zum gleichen Schluss. BO steigerte den Umsatz seit der Gruendung 1990 von 0,2 auf etwa 25 Millionen Dollar und scheut im Blick auf die kuenftigen Entwicklungschancen nicht einmal den Vergleich mit Microsoft oder Oracle. Peyre und seine Vorstandskollegen fingen dabei die Wachstumsherausforderung fuer das Unternehmen mit mehreren strategischen Instrumenten ab: Rekrutierung von kompetentem Fuehrungspersonal am europaeischen und amerikanischen Markt, Exportverkauf praktisch von der ersten Stunde an - die Firma liefert heute 70 Prozent ihrer Programme an nichtfranzoesische Kunden - und die entschlossene Oeffnung des Gesellschaftskapitals fuer Dritte.

Man duerfe als Gruender "keine Angst haben, die Kontrolle ueber das Unternehmen zu verlieren", betont Peyre. Nicht der Mehrheitsbesitz, sondern die souveraen ausgeuebte Vorstandsvollmacht sei in der Praxis ausschlaggebend. Entsprechend fuehre BO seit der Gruendung mit 0,25 Millionen Dollar Stammkapital fuer fast 37 Millionen Dollar Kapitalerhoehungen durch und nahm anlaesslich der Einfuehrung am US-Sekundaermarkt (Nasdaq) Ende September 1994 dort nochmals 3,5 Millionen Dollar auf. Die Firma ist am Nasdaq als erster europaeischer Software-Publisher vertreten. Peyre: "Dieser Schritt war praktisch unerlaesslich, um drueben als Major-Player der IT-Branche anerkannt zu werden."