Multimedia-Agenturen auf Expansionskurs

Mangel an erfahrenen Mitarbeitern hemmt junge Dienstleister

19.05.2000
Es gibt noch keine etablierte Bezeichnung für die digitalen Dienstleister: Im allgemeinen Bewusstsein irgendwie mit dem Internet verbunden, sind sie mit Multimedia-Agentur nur unzureichend beschrieben. Sie bieten E-Business-Beratung vom Konzept bis zur Implementierung und suchen dafür auch erfahrene Mitarbeiter.Von Holger Eriksdotter*

Vorreiter der Branche sind Startup-Unternehmen, meist börsennotiert oder mit dem Ziel des baldigen IPO (Initial Public Offering). Sie bieten vom Konzept, Content und Design bis zum Fulfillment, vom Consulting über Programmierung bis zur Back-Office-Anbindung und Implementierung alle Dienstleistungen an. Ihre Aufgaben sind in dieser Kombination erst mit dem Vordringen der interaktiven Medien entstanden. In der Zeit vor Internet und E-Commerce verteilten sich die jetzt verbundenen Tätigkeiten auf eine Vielzahl von Firmen: Das klassische Beratungsunternehmen war dabei ebenso vertreten wie die Werbeagentur oder das Software- und Systemhaus.

Vorbei sind die Zeiten, als der Internet-Auftritt dem Unternehmen lediglich als digitale Visitenkarte diente, das Design das bestimmende Qualitätskriterium war und sich auch gehobene Ansprüche an Interaktivität mit einem HTML-Formular und einer E-Mail-Adresse befriedigen ließen. Heute sind Lösungen gefragt, die vom Front- bis zum Backend in die Geschäftsprozesse integriert werden.

"Wir bieten dem Kunden eine Lösung aus einer Hand", sagt Philipp Schäfer, Gründer und Vorstand der Razorfish AG in Hamburg, "denn eine gute E-Business-Lösung kann nur entstehen, wenn alle Komponenten vom Konzept bis zum Fulfillment auf das Unternehmen zugeschnitten und aufeinander abgestimmt sind." Er kann sich deshalb auch kaum vorstellen, dass sein Unternehmen nur ein Konzept in Papierform abgibt. "Wir arbeiten auch gern mit externen Partnern zusammen. Es ist bisher noch nicht vorgekommen, dass wir an der Realisierung nicht beteiligt sind."

Auch die Kabel New Media AG in Hamburg offeriert ihren Kunden ein Fullservice-Angebot. Die offizielle Bezeichnung "E-Business-Enabler" gibt zumindest dem Englischkundigen einen Fingerzeig auf den Unternehmenszweck, belegt aber die These, dass eine eingängige Bezeichnung fehlt. Daneben hat der E-Business-Spezialist mit Kabel E-Consult eine Beratungstochter gegründet. Diese sieht sich gegenüber klassischen Unternehmensberatern im Vorteil, da sie von der Nähe zur Muttergesellschaft profitiert, die mit Technologie und den Facetten des E-Commerce vertraut ist.

Was unterscheidet die Beratung im Bereich der Neuen Medien von klassischen Consulting-Firmen? "Zum einen haben wir ein profundes Wissen von allen Aspekten des E-Business, zum anderen spielt in dem schnelllebigen Markt der Zeitfaktor eine entscheidende Rolle", erklärt Manager Schäfer. "Das Ziel, die Time-to-Market-Spanne so kurz wie möglich zu halten, kann von einem Dienstleister besser erreicht werden, als wenn viele Unternehmen am mehrstufigen Erstellungsprozess des Produkts beteiligt sind."

So sieht es auch Mark Pohlmann, Sprecher der Sinner Schrader AG: "Wir wollen, dass die Kunden mit einem hochwertigen Online-Angebot schneller am Markt sichtbar sind und so eine Vorreiterrolle in ihrer Branche übernehmen". Der Schwerpunkt des Hamburger E-Commerce-Dienstleisters liegt nach seinen Worten "bei Highend-Lösungen mit mehr als 200 000 Transaktionen oder mindestens zehn Millionen Mark mit E-Commerce erzieltem Umsatz im Jahr".

Weil das E-Business nicht nur für reine Web-Dienstleister unternehmenskritische Bedeutung erlangt, ist die Kundenbindung der digitalen Medienzunft fast immer enger und langfristiger als in anderen Bereichen. Auch wenn die digitalen Dienstleister unterschiedliche Schwerpunkte setzen, ist in dem Wachstumsmarkt mit dreistelligen Zuwachsraten das Ende der Fahnenstange noch lange nicht in Sicht: Mit dem Boom der mobilen Kommunikation, dem Internet-Zugang fürs Handy, dem Zusammenfließen von Messaging-Systemen und der Broadband-Technologie zeichnen sich immer neue Tätigkeitsfelder für innovative Business-Lösungen ab.

Schon jetzt brauchen die renommierten Unternehmen der Branche nicht auf Kundenfang zu gehen. Überall sind die Auftragsbücher gut gefüllt und die Weichen auf kräftige Expansion gestellt. "Wir wollen in diesem Jahr noch mindestens 30 neue Mitarbeiter einstellen. Wir könnten uns auch eine Expansion über geeignete Akquisitionen vorstellen", verdeutlicht Manager Schäfer von Razorfish seine Geschäftspolitik. Sinner Schrader will mit Unternehmensbeteiligungen und Neueinstellungen das Wachstum vorantreiben, bei Kabel New Media sollen zu den etwa 300 Mitarbeitern bis Ende des Jahres noch 50 bis 100 weitere stoßen.

Als größtes Hemmnis erweist sich dabei der Mangel an qualifizierten Bewerbern. Denn gerade im Bereich der Neuen Medien fließen die unterschiedlichen Qualifikationen aus Marketing, Design, Betriebswirtschaft, Management, Vertrieb und IT zu neuen Berufsbildern zusammen, die am Ausbildungs- und Arbeitsmarkt kaum zu finden sind. Die digitalen Dienstleister konkurrieren dabei besonders mit dem DV-Kernbereich um IT-Experten und Hochschulabsolventen mit IT-Qualifikationen. Wirtschaftsinformatiker und -ingenieure sowie Betriebswirtschaftler mit IT-Kenntnissen sind auch bei den Neuen Medien heiß begehrt. Auch wenn Content, Design und mediale Präsentation das Bild am Frontend bestimmen, die digitale Medienzunft hat einen immensen Bedarf an IT-Experten.

"Wir sind noch in einer vergleichsweise guten Position, weil unsere Branche bei den Hochschulabsolventen als attraktiv gilt", stellt Gitte Knöpfle, Personalchefin von Kabel New Media, fest. Das liege nicht unbedingt daran, dass das Unternehmen in einem attraktiven Loft residiert oder dass Turnschuhe als Teil der Arbeitskleidung akzeptiert sind. Entscheidend sei vielmehr, dass die Branche sich an der Spitze der technologischen Entwicklung bewegt und deshalb mit kreativer Arbeit neue Lösungen erarbeitet würden. Das reize junge Menschen offenbar mehr, als Warenwirtschafts- oder Finanzbuchhaltungssysteme zu programmieren. Hinzu kommt der Reiz einer jungen Branche mit flachen Hierarchien und lockerem Umgangston. Das Durchschnittsalter liegt bei etwa 28 Jahren. Einige Unternehmen können zudem mit Aktienoptionen locken.

"Wir bekommen jede Woche zwischen 50 und 100 Bewerbungen", sagt Knöpfle. Auch Razorfish und Sinner Schrader können sich nicht über fehlende Initiativbewerbungen beklagen. Allerdings erfüllt nur ein geringer Prozentsatz der Bewerber die Einstiegsvoraussetzungen. Auf der einen Seite fehlt es an Kandidaten mit Berufserfahrung, auf der anderen Seite gibt es vor allem in den Bereichen Datenbankprogrammierung, Systementwicklung oder Netzadministration Engpässe. "Ein Web-Designer mit drei Jahren Berufserfahrung ist auf dem Arbeitsmarkt kaum zu bekommen", hat Knöpfle festgestellt. Auch Schäfer von Razorfish beklagt den Mangel an erfahrenen Bewerbern. "Nur mit genügend erfahrenen Mitarbeitern können wir auch neue Berufseinsteiger einstellen. Die Mischung muss stimmen - sonst wirkt sich das sofort auf die Qualität der Arbeit aus."

Trotzdem sind wöchentlich bis zu zehn Bewerbungsgespräche durchaus die Regel: In einer Branche, in der auch Quereinsteiger mit geeigneten Fähigkeiten gute Chancen haben, spielen die Persönlichkeit und weiche Fähigkeiten wie Engagement, Lernbereitschaft, Kreativität und soziale und kommunikative Kompetenzen eine besondere Rolle. Deshalb ist das persönliche Gespräch häufig die beste Grundlage, um über die Eignung eines Bewerbers zu entscheiden. Denn die traditionelle Bewerbungsmappe erweist sich gerade bei ungewöhnlichen Biografien, fehlenden formalen Nachweisen und zum Beleg der Sekundärtugenden oft als unzureichende Auskunftsquelle.

* Holger Eriksdotter ist freier Journalist in Hamburg.