IBMs undurchsichtige Preispolitik loest heftige Kritik aus

Mainframe-Kunden sollen die Katze im Sack kaufen

26.02.1993

Als "zynisch" verurteilt Amdahl-Vice-President Jim McDonald, zustaendig fuer den pazifischen Raum, die neue Offensive der IBM. Im Gespraech mit der australischen CW-Schwesterpublikation "Computerworld" brandmarkt er die Packaging-Politik, bei der die Hardwarepreise in eine "Total Enterprise Solution" eingehen und nicht mehr nachvollziehbar sind, als einen Rueckschritt. McDonald steht mit seiner Kritik nicht allein, aehnlich aggressive Toene schlagen Hitachi Data Systems und Comparex an.

Gleichwohl kommt diese Entwicklung fuer Kenner der DV-Szene wenig ueberraschend. Preislisten gelten heute nicht mehr viel, der empfohlene Preis ist in der Regel voellig ueberzogen. Dennoch erfuellen sie eine wichtige Funktion: Sie dienen den Kunden ebenso wie grossen Leasinggesellschaften, vor allem aber den Wettbewerbern als Orientierungshilfe. Mit ihrer Abschaffung wird die Transparenz des Grossrechnermarktes und insbesondere des IBM-Angebots eingeschraenkt, zumal die jeweils kundenspezifisch geschnuerten Pakete kaum miteinander zu vergleichen sind.

Ueber Listenpreise wird im Grossrechner-Business laengst geschmunzelt. Ein anschauliches Beispiel fuer ihre nachlassende Bedeutung lieferte Glenn Guthbertson, Vice-President European Financial Services bei der Marktforschungs-Gesellschaft Gartner Group, auf einem Seminar in Frankfurt. Demnach liegt der Listenpreis, bezogen auf die Rechenleistung von 1 MIPS, bei einem IBM-Mainframe der Serie 9021, Modell 900, heute bei stolzen 212 000 Mark. Tatsaechlich wurden aber im Januar letzten Jahres 117 000 Mark, ein halbes Jahr spaeter 100 000 Mark und im Dezember 1992 gar nur noch 74 000 Mark pro MIPS gezahlt.

Angesichts dieses Auseinanderklaffens von Listenpreis und tatsaechlichen Kosten klingt die Aussage von Nick Dinofrio, General Manager der IBM, nur allzu logisch: "Listenpreise sind in der Grossrechnerwelt nicht relevant. Wir beseitigen also lediglich einen Anachronismus", zitiert die CW-Schwesterpublikation "Computerworld" den Manager.

Anstatt mit Listenpreisen verhandele die IBM mit ihren Kunden schon seit geraumer Zeit auf einer Deal-to-deal-Basis. Hardware sei heute ein reines Commodity-Geschaeft geworden, ihr Geld werde die IBM kuenftig mit Loesungen verdienen. "Wenn Sie ein Flugzeug kaufen wollen, macht Ihnen auch keiner einen Listenpreis", lautet ein in IBM-Kreisen gern zitiertes Beispiel.

Paketangebote richten sich gegen Discounts

Obwohl also die Mainframe-Preisliste bei der IBM schon seit laengerer Zeit in Ungnade gefallen ist, liefert sie den Kunden immerhin eine Orientierungshilfe. Als eine Art Fixpunkt ermoeglicht sie den Vergleich von Hardwareprodukten sowohl innerhalb des IBM- Angebots als auch zwischen der blauen Hardware und den jeweiligen Produkten der Wettbewerber. Wird ein Listenpreis um einen ausgehandelten Prozentsatz unterboten, so steht dennoch eine konkrete Summe im Raum, an der sich ein Wettbewerber mit seinem Angebot messen kann.

Deshalb sind die "Boxenschieber" aus der Welt der Plug-compatible Manufacturers (PCMer) auf diese Liste angewiesen. Sie ermoeglicht ihnen, die eigenen Preise an denen der IBM-Rechner und der anderen Wettbewerber zu messen. Mit Discount-Angeboten konnten Amdahl und Hitachi Data Systems auf diese Weise den grossen Konkurrenten Big Blue dauerhaft zur Ader lassen. Der beispiellose Preisverfall in der Grossrechnerwelt kam nicht zuletzt deshalb zustande, weil die Angebote der IBM bekannt waren und unterboten werden konnten. Preistransparenz existierte, nicht zuletzt weil die Listenpreise kursierten und sich die Discounts an den dort veroeffentlichten Zahlen orientierten.

Mit sogenannten Package-Angeboten will die IBM nun diesem Kesseltreiben der PCMer ein Ende setzen. Der Zeitpunkt scheint guenstig, die wirtschaftlich schwierige Situation der Wettbewerber koennte den Armonkern zu Hilfe kommen.

Folgerichtig lautet der Beschluss: Fuer die 18 neuen Modelle der Grossrechnerreihen 9021 und 9121 gibt es keine Listenpreise mehr. Statt dessen werden die Systeme im Paket mit individuell zugeschnittenen Softwareprodukten und Dienstleistungen angeboten.

Gleichbehandlung der Kunden aufgegeben

Der Preis richtet sich nach verschiedenen Faktoren, wobei die neuen branchenorientierten Fachbereiche als Anbieter den groessten Spielraum bei ihren Vermarktungsstrategien erhalten. Sie entscheiden flexibel nach so unterschiedlichen Kriterien wie Auftrags- und Kundengroesse, Aussicht auf Nachfolgegeschaefte, Lieferzeitraum oder Konkurrenzangebot.

Da die Pakete individuell geschnuert werden, entziehen sie sich jeden Vergleiches. Der Kunde kann sich nur auf sein Verhandlungsgeschick, seine Marktkenntnisse und seine Erfahrungen mit den IBM-VBs verlassen.

Mit diesem Marketing-Verfahren gibt die IBM ihren ehemaligen Grundsatz, alle Kunden gleich zu behandeln, endgueltig und fuer jedermann sichtbar auf. Statt dessen wird ein Customer Value Pricing eingefuehrt, das, so die Kritik aus Anwenderkreisen, "die Ungleichbehandlung zum Prinzip erhebt". Ein "Customized Packaging" impliziert naemlich, dass selbst Buendel mit nur minimalen inhaltlichen Modifikationen zu voellig unterschiedlichen Preisen verkauft werden koennen.

Im Loesungsgeschaeft keine Chance fuer PCMer

Fuer absolute Handlungsfreiheit der IBM-Fachbereiche ist dabei gesorgt. "Wir werden auch intern nicht nach einer Preisliste konfigurieren", versichert Marion Rosien, Mitarbeiterin der IBM Deutschland GmbH. Deswegen sei aber noch lange nicht das Chaos programmiert. Die Branchenzentren gingen natuerlich auch in Zukunft nach bestimmten Richtlinien vor - ueber diese muesse die Oeffentlichkeit aber nichts erfahren. Ausserdem gebe es ja auch kuenftig noch die Moeglichkeit, saemtliche Paketkomponenten einzeln zu erwerben - natuerlich ebenfalls zu individuell ausgehandelten Preisen.

Gartner-Analyst Guthbertson zeigt fuer dieses Vorgehen Verstaendnis: "Aus IBM-Sicht ist dies durchaus eine alternative Strategie. Moeglicherweise verhindert sie, dass der Kunde seine Kaufentscheidung nur nach der Hoehe des Discounts trifft." Die PCMer seien auch kuenftig darauf angewiesen, die Preise der IBM zu unterbieten. Dazu aber muessten die Hardwarepreise zunaechst einmal aus dem unuebersichtlichen Loesungsangebot herauskristallisiert werden.

Eine solche Analyse ist zwingend notwendig, denn im Bereich kompletter Loesungen haben die Wettbewerber keine Chance gegen die IBM. Entsprechend nachdenklich reagiert Bernd Tillack, Marketing- Leiter bei der Amdahl Deutschland GmbH in Muenchen: "Wenn man die Listenpreise abschafft und von Discounts nicht mehr redet, dann ist es schwierig, aus so einem Package-Preis herauszulesen, wie hoch der Hardware-Anteil ist." Jetzt muesse untersucht werden, ob nicht schon die grundlegende Vorgehensweise, ueber Paketpreise an den Kunden heranzutreten, gegen das Wettbewerbsrecht verstosse.

Buendelung ist nicht rechtswidrig

Rechtswissenschaftler haben jedoch keine Einwaende gegen dieses Vorgehen. "Diese Package-Angebote sind zulaessig, es sei denn, bestimmte Produkte sind ausschliesslich im Paket erhaeltlich", klaert Michael Lehmann, Professor am Max-Planck-Institut fuer Patent-, Urheber- und Wettbewerbsrecht in Muenchen. IBM muesse die Paketprodukte auch einzeln vermarkten. Dazu erklaert sich das Unternehmen tatsaechlich bereit, auch wenn man sich in Armonk von solchen Einzelgeschaeften nicht mehr allzuviel verspricht.

Ueberhaupt kein Verstaendnis fuer die Marketing-Offensive von Big Blue zeigt Wettbewerber Comparex: "IBM versucht, eine Angebotspolitik nach Gutsherrenart durchzusetzen", entruestet sich Comparex-Vertriebschef Hans Dieter Jonescheit. Zu einer Marktsituation, die dadurch gekennzeichnet sei, dass jeder Kunde wie nie zuvor mit dem spitzen Bleistift kalkulieren muesse, gehoere auch die Moeglichkeit, Angebote zu vergleichen.

Allerdings sei nicht damit zu rechnen, dass sich Big Blue mit dieser Paketpolitik langfristig durchsetzen werde: "Der Kunde wird nicht mitspielen." Anhand der Preisliste habe die Kundschaft in der Vergangenheit stets nachvollziehen koennen, wie sie von Big Blue behandelt werde. "Auch wenn die IBM seit geraumer Zeit nicht mehr nach Listenpreis verkauft hat, so war das doch ein Bezugspunkt. Man konnte zum Beispiel sagen: Listenpreis minus 50 Prozent - ich habe einen guten Preis ausgehandelt. Wenn man diesen - wenn auch illusionaeren - Bezugspunkt wegnimmt, kann kein Kunde sicher sein, ob er nicht ueber den Tisch gezogen wird."

Darueber hinaus schliesst Jonescheit steuerrechtliche Probleme nicht aus. "Hardware muss aktiviert und abgeschrieben werden. Wenn man nicht mehr weiss, welche Summen fuer Software, Services und Hardware ausgegeben wurden, dann gibt es Probleme mit der Buchhaltung." Rechtliche Schritte zieht Comparex nicht in Erwaegung, weil man annimmt, dass die Kunden ohnehin gegen die neue Politik der IBM Sturm laufen. Ausserdem wird grundsaetzlich daran gezweifelt, dass Big Blue mit seiner Ankuendigung wirklich Ernst macht: "Die IBM produziert eine Luftblase und schaut, wie stark sich die Widerstaende im Markt formieren. Dann wird das Konzept modifiziert", analysiert der Vertriebs-Verantwortliche.

IBM beschwichtigt die Wettbewerber

Wie Amdahl und Comparex will auch die Hitachi Data Systems GmbH nicht so recht wahrhaben, was laengst angekuendigt ist. Man habe eine Erklaerung des europaeischen IBMHeadquarters in Paris vorliegen, die nach der letzten Hardware-Ankuendigung eingetroffen sei. Danach werde Big Blue

auch in Zukunft Hardware und Software nicht in einer Weise buendeln, nach der die Kunden beim Hardwarekauf automatisch einen Discount bei der Software erhielten. Jeder Softwaredeal, den die IBM abschliesse, koenne ebenso von Benutzern eines alternativen Rechners abgeschlossen werden.

Diese Erklaerung laesst der IBM aber alle Moeglichkeiten offen. Ob naemlich der Kostenschwerpunkt beim Einkauf einer "Loesung" nun auf Hardware, Software oder Services liegen wird, muss nicht offengelegt werden. Das Hitachi-Management scheint jedoch zu ahnen, dass die IBM Festlegungen vermeidet. Man pruefe gegenwaertig, ob mit dieser Ankuendigung gegen "bestehende Regeln, international oder national", verstossen werde. An Schwierigkeiten ist Geschaeftsfuehrer Gerd vom Bruch ohnehin gewoehnt: "Der IBM-Vertrieb wird sich auch weiterhin bemuehen, unsere Kunden zu verunsichern", lautet sein lakonischer Kommentar. Die Anwender haetten aber gelernt, die Aussagen der IBMer richtig zu beurteilen.

IBM setzt nicht mehr die Massstaebe

Ob Big Blue mit der Packaging-Kampagne letztlich erfolgreich sein wird, ist ungewiss. Das Argument der Skeptiker: Da die Kunden eine Orientierungsgroesse benoetigen, um die Marktpreise vergleichen zu koennen, wenden sie sich kuenftig nicht mehr zunaechst an die IBM, sondern an PCMer und Leasingunternehmen, die hier schnell Ersatz schaffen werden. Moeglicherweise dreht sich also der Wind, und IBM ist schon bald gezwungen, sich nach den Listen des Mitbewerbs zu richten.

Erfahrungen in England, wo der Marktfuehrer in einer Art Pilotprojekt seit mehreren Jahren auf Preislisten verzichtet und Pakete schnuert, bestaetigen diese These: Wettbewerber Amdahl ist auf den britischen Inseln erfolgreicher denn je.

"Die IBM erweist sich einen Baerendienst", meint denn auch Peter Lehmann, der bei der Deutschen Leasing AG in Bad Homburg fuer die Verkaufsfoerderung im Bereich Computerleasing verantwortlich zeichnet. "Es wird relativ schnell eine andere Liste geben, die sie nicht beeinflussen kann, und die dann als Messlatte dient", prognostiziert der Leasingfachmann. "Darin sind dann die Preisempfehlungen des Marktes enthalten, denen sich die IBM stellen muss."

Fuer die Leasingbranche sind Fixpreise eine wesentliche Orientierungsgroesse. Durch die neue Angebotspolitik der IBM wird ein erhoehter administrativer Aufwand befuerchtet, da die Anbieter nur solche Produkte finanzieren koennen, deren Preise ihnen bekannt sind. Um Versicherungswerte, Leasingraten und Abschreibungssummen zu errechnen, sind auch sie kuenftig auf die Entschluesselung der Paketpreise angewiesen.

"Wir koennen nicht voellig unterschiedliche Versicherungswerte geltend machen", schildert ein Insider. Schon aus diesem Grund muesse der Preis des Geraets bekannt sein.

Die Leasingbranche kuendigt Massnahmen an

"Wir machen uns Gedanken, wie wir auf die Ankuendigung der IBM reagieren koennen", laesst Lehmann wissen - "und wir werden reagieren". Aus Wettbewerbssicht haelt der Leasingexperte das Vorgehen des DV- und Leasinganbieters fuer hoechst bedenklich.

"Die IBM macht Preise fuer Pakete, die an den verschiedenen Stellen etwas unterschiedlich geschnuert und damit nicht mehr vergleichbar sind." Letztendlich koenne ihm das Verhalten jedoch egal sein, denn die Deutsche Leasing AG finanziere das, was der Kunde ausgehandelt habe, und erstelle ihm allein auf dieser Basis ihr Angebot.

Dass aber auch die Kunden nicht auf Preistransparenz verzichten wollen, zeigen das Beispiel Grossbritanniens und die im letzten Jahr gestarteten Projekte in Daenemark und Frankreich sehr deutlich. Nach einer mehrmonatigen Phase der Orientierungslosigkeit halfen sich die IBM-Kunden selbst: Sie forderten Listen aus Deutschland oder den USA an oder fragten bei Leasinggesellschaften oder Behoerden nach den aktuellen Hardwarepreisen. Gerade die Behoerden waren als Informationsquellen interessant, hatten sie doch aufgrund ihrer strengen Ausschreibungsbestimmungen weiterhin Preislisten von der IBM erhalten.

Dennoch hatten zumindest in Grossbritannien viele Kunden Nachteile durch die Package-Politik. Negativ faellt etwa die Bilanz von Barry Graham aus, einem Berater der Xephon Group im englischen Newbury. Danach haben nur die "cleveren Kunden" dasselbe bezahlt, was sie auch unter den vorherigen Bedingungen berappen mussten. Andere Anwender, die mit dieser Verhandlungsbasis nicht zurecht gekommen seien, mussten durch die Bank hoehere Betraege entrichten. Graham behauptet: "Niemand hat weniger gezahlt als zuvor!"

Auch vom Procedere her scheint das englische Beispiel nicht unbedingt geeignet, Schule zu machen. Gartner-Direktor Guthbertson erinnert sich an die Anfaenge des Versuchs vor ungefaer sechs Jahren. Damals verpflichteten sich die Kunden, noch bevor sie den Preis fuer ihre Loesung kannten, schriftlich zum Stillschweig ueber die ausgehandelten Vertragskonditionen. Schlimmer noch sei aber die Inflexibilitaet der IBM empfunden worden. Musste ein Angebot veraendert werden - und wenn auch nur wegen einer neu angeforderten Plattenspeichereinheit -, so wurde noch einmal ein kompletter Angebotsprozess von mehreren Wochen durchlaufen. "Die Anwender waren frustriert", berichtet Guthbertson.

Schon bald sei es der IBM aber gelungen, den Angebotsprozess zu verkuerzen, indem man ihn in den Verantwortungsbereich von mittleren Management-Ebenen gelegt habe. Die Schwierigkeiten seien weitgehend behoben, und die IBM habe ebenfalls ihr wichtigstes Ziel, bei den PCMern Verwirrung zu stiften, zumindest voruebergehend erreicht.

Nennt Guthbertson hier auch einen Beweggrund der IBM, so ist die Intention der Armonker doch alles andere als eindeutig. Die Erklaerungen reichen von einer Kriegserklaerung an die PCMer ueber die Verbesserung von Flexibilitaet und Reaktionsfaehigkeit bis hin zur optimierten Unterstuetzung der eigenen branchenbezogenen Fachbereiche und damit einer besseren Unterstuetzung vertikaler Maerkte.

Eine besonders gewagte Theorie kolportiert die "Computerworld": Bevor die IBM in der zweiten Haelfte der 90er Jahre ihre Mainframes durch parallele Rechnerarchitekturen mit RISC-Prozessoren ersetze, wolle sie erst einmal den Markt fuer diesen Quantensprung vorbereiten.

Die neuen Rechner kosteten voraussichtlich etwa ein Zehntel dessen, was heute fuer ein Grossrechner-MIPS zu zahlen ist. Damit es nicht zu einem Zusammenbruch des Marktes komme, verschleiere die IBM schon heute ihre Hardwarepreise, indem sie Hardware-, Software- und Servicekosten nicht mehr einzeln benenne.