Wie Anwender hängen noch an Mother Blues Rockzipfel, doch

Mainframe-Emanzipation verheißt mehr DV-Mündigkeit

01.09.1989

Denk- und Entscheidungssicherheit beschert das IBM-Matriarchat den Anwendern zur Genüge. Doch diese Nestwärme läßt Big Blue sich gut bezahlen. Vielen Verantwortlichen scheint es ein bedrohliches Wagnis, flügge zu werden und sich die Mainframe-Welt aus neuen Perspektiven zu betrachten. Dabei finden sie in den Händen der PCMer - wie die meinen - durchaus gute Betreuung, viel Gewohntes und auch einiges positives Neues.

* Horst-Joachim Hoffmann ist freier Mitarbeiter der COMPUTERWOCHE in München

Rational geht es bestimmt nicht immer zu bei der Entscheidung für neue Großrechner - die Marktmacht der IBM im Mainframe-Bereich isl bei weitem nicht nur auf quaIitative Erwägungen zurückzuführen. Hier spielt der Mythos vom einzig wirklich kompetenten Hardwarehersteller mit jahrzehntelanger Erfahrung eine bedeutsame Rolle. Und diesen Ruf genießt der Quasimonopolist auch nicht zu Unrecht. Unstrittig ist in der Branche, daß IBM-Rechner die Mainframe-Erwartungen erfüllen. Doch die Entwicklung und Fertigung von Großrechnern ist keine Geheimwissenschaft und Big Blue- so weiß man seit Auftreten der PCMs - nicht die große Mainframe-Zauberin.

Gegen eine Marktmacht von geschätzten siebzig Prozent anzukämpfen, bedeutet für IBM-Konkurrenten erst einmal die Unterwerfung unter die Standards des Großen. Nur wer

hundertprozentig funktionskompatible Maschinen anbietet, hat die Chance, eine ökonomische Nische im Großrechnermarkt zu erobern. "Plug Compatible Manufacturer"-Maschinen (PCM) tummeln sich heutzutage primär im 3090er Markt. Groß ist die Schar der PCMer nicht; in der Bundesrepublik versuchen es - mit wachsendem Erfolg - gerade mal vier Hersteller: Amdahl, Comparex (Hitachientlabelt), NAS (dito) und der reine Peripheriehersteller Storage Technology GmbH.

Der Markt für Großrechner ist dabei, laut Marktforschern, durchaus im Wachsen begriffen - auch wenn ihm die lautstarke Dynamik der PC und Workstationszene fehlt. Die Saurier können auf eine gesunde Basis und freundliche Perspektiven bauen. Der Bedarf im technisch-wissenschaftlichen Bereich wächst jährlich um 50 Prozent, wobei der DEC-Welt

aufgrund des vielfach beklagten Preis/Leistungs-Verhältnisses im Festplattenbereich hier wohl - so steht zu vermuten - langsam ein wenig das Wasser abgegraben wird. Und wo der Bedarf nach IBM-Maschinen wächst, schlägt die Stunde der PCMer.

Die sind dann auch fleißig dabei, mit entsprechenden Wachstumsraten Big Blue Anteile abspenstig zu machen: Amdahl hatte 1988 laut eigenen Angaben einen Marktanteil von 6 Prozent, Comparex konnte sich - so die Presseabteilung - 5,5 Prozent sichern, und NAS beansprucht immerhin noch einen Anteil von 1,5 Prozent im Großrechnermarkt. Mit diesen Marktanteilen wollen die PCMer, wie es ein Comparex-Sprecher ausdrückte, bei weitem nicht nur ein Feigenblatt für IBM darstellen. Nach dem Motto "Kleine Ursache, große Wirkung" verstehen sie sich vielmehr als die ausgleichende Kraft im Mainframe-Bereich, die überhaupt erst für Dynamik im Markt sorgen.

Epigonen mit innovativem Engagement

Anders als im PC-Business, wo der simple Nachbau die Marktführerschaft von Big Blue ankratzte, handelt es sich bei den PCM-Großrechnern sozusagen um kongeniale Umsetzungen eines Konzepts.

Die Steckerkompatiblen sind bei weitem keine simplen Clones, sondern oftmals eigenständige Großrechner, die dem "großen Inspirator" unter Umständen technisch überlegen sind. Sei es im Peripheriebereich oder in der Leistungsfähigkeit - es lohnt sich interessanterweise für die PCMer, nicht die ersten zu sein. Denn die Möglichkeit, Innovationen von IBM aufzunehmen und durch eigene Weiterentwicklungen zu ergänzen, führt zu ausgereiften und manchmal überlegenen Maschinen.

Immer noch mit Stolz kommt Amdahl beim Thema Überlegenheit auf sein Multiple Domain Feature (MDF) zu sprechen, mit dem die logische Partitionierung ihrer Rechner ermöglicht wird. So können laut Amdahl auf einer Maschine verschiedene Betriebssysteme parallel gefahren werden, ohne daß ein Softwareoverhead betrieben werden muß. Daß Big Blue später mit seinem PR/SM eine vergleichbare Lösung nur unter VM gefunden hat, was einige Performance-Verluste nach sich zieht, spricht - so die Münchner - für das System des PCMers. Ob Amdahl dieses Rechnersplitting nun eingeführt hat, um sich den kleineren IBM-Leistungsklassen anzupassen, sei dahingestellt, auf alle Fälle war und ist MDF vollständig IBM-kompatibel, für PCMer ein überlebenswichtiges Faktum.

Mit seinem Multiple Logical Processor Feature MLPF fährt auch Comparex mittlerweile auf der IBM-Schiene, wobei folgerichtig die entsprechenden Nachteile in Form von Performanceverlusten in Kauf genommen werden müssen.

Die paradoxe Situation, zeitlich immer etwas hinterher zu hinken, technologisch aber der übermächtigen Konkurrenz eine oder mehrere Nasenspitzen voraus sein zu wollen, hält deshalb die PCMer in Atem.

Jüngstes Beispiel der Fall VMS/ ESA: Kaum hatte Big Blue diese Architekturerweiterung für seine Großrechner der 3090-Familie angekündigt, begann hektische Betriebsamkeit bei den Herstellern der Kompatiblen. Wurde auch vielfach der Sinn dieser neuerlichen Leistungssteigerung angezweifelt - die meisten Anwender benutzen ihre Großrechner als Ackergaul und nicht als feurigen Araberhengst - so zogen doch Amdahl, NAS und Comparex nach. Trotz kurzer Softwaredecke haben sie ebenfalls beide für Ende des Jahres ESA-fähige Maschinen angekündigt. Meint ein Branchenbeobachter: "IBM pfeift ein Liedchen und die PCMer tanzen."

Eindeutig Sinn macht hingegen das innovative Engagement der PCMer im Peripheriebereich. Dank größerer Unabhängigkeit von IBM-Vorgaben zeigen sie hier, was machbar und sinnvoll ist. Ein offenes Ohr für Kundenwünsche, größere Flexibilität und vor allem der Ehrgeiz, sich eigene Domänen zu schaffen, führen doch schon mal zu überlegenen Angeboten.

Im Bereich der verhältnismäßig teueren Cache-Speicherkapazitäten zeigt sich diese partielle Überlegenheit der PCMer: Während IBM jahrelang den Cache auf Volumeebene propagierte, heben sich die Plug-Kompatiblen mit Data-Set-Caching positiv hervor. Denn anders als bei Big Blue, wo die Cachenutzung bei diesen Anwendungen oftmals eingeschränkt wird, da auf einem Volume häufig etliche Data-Sets sind, die nicht benötigt werden und den Cache belasten, bieten die PCMer hier schon seit geraumer Zeit intelligentere Speicherverwaltungen.

Die in letzter Zeit aufgetretenen Schwierigkeiten im Bereich Plattenlaufwerke bei IBM zeigen deutlich, wo die PCMer zusätzliche Profilierungsmöglichkeiten finden. "Ich jedenfalls weiß von keinem Headcrash bei Comparex-Rechnern", so ein Sprecher des Unternehmens zu den unangenehmen Nachrichten aus dem IBM-Lager, ihre 3380-Nachfolgemodelle betreffend.

Darüber hinaus, wie schon im Bereich der logischen Partitionierung, wird der Wert innovativer Konzeptionen bei den PCMern immer dann augenfällig, wenn IBM mit gehörigem zeitlichen Abstand die Neuerungen der Konkurrenz in sein eigenes Produktspektrum übernimmt.

Comparex führt als Beispiel die optischen Plattenspeichersysteme an, wo Big Blue nach längerer Aufwachphase nun endlich aktiv wird. Auch das automatisierte Kassettenhandling wurde vom Marktführer mit einigem zeitlichen Abstand aufgegriffen - ein Beispiel für eine typische Neuerung zur Freude des Anwenders, für die die PCMer bekannt sind.

Im Bereich Hardware und Peripherie versuchen die PCMer auch, IBM über den Geldbeutel der Kunden Konkurrenz zu machen. Denn Big Blue langt - wohlbekannt in Mainframe-Kreisen - sowohl bei der Hardware als auch beim Service recht kräftig zu und läßt sich seine Marktmacht in klingender Münze honorieren. Hier gibt es Spielräume für die PCMer, die sich zwar durchaus nicht mit der Rolle des billigen Jabob identifizieren, ihren Kunden aber ein spürbar besseres Preis/-Leistungsverhältnis bieten.

Amdahl beispielsweise geht davon aus, daß sie bei diesem Verhältnis partiell um ein Drittel besser liegen als IBM. Damit soll im Klartext gesagt werden, daß die Rechner zwar nicht billiger sind als beim großen Mitbewerber, zum gleichen Preis aber 30 Prozent mehr Leistung geboten wird, wobei die günstigeren Betriebskosten und die technologischen Neuheiten im Endeffekt bares Geld wert sind.

Nun ist es aber im Großrechnerbereich mit dem Bau der Maschinen nicht getan. Systemwartung und Support sind bei Computern dieser Größenordnung unerläßliche und (psychologisch) bedeutsame Vertragsbestandteile. Hier blühen die PCMer auf: "Amdahl-Service ist der beste der Branche", so eine Sprecherin des Unternehmens, die sich mit dieser Aussage auf das jüngst in einem amerikanischen Wirschaftsmagazin veröffentlichte Ergebnis einer Umfrage stützt. Bei den anderen PCMern ist es, so die Gesprächserfahrung, nicht anders: Auch sie suchen sich ihre Stärken dort, wo sie bei IBM Schwächen vermuten.

Guter PCM-Service zum Nutzen der Anwender

Und die Schwächen im Service liegen nach Aussage Betroffener schlicht in der Tatsache, daß der Marktführer sich seiner Schäflein möglicherweise zu sicher ist und die Abhängkeit der Anwender mit seiner Preispolitik und einer gewissen Serviceträgkeit ausreizt.

Doch wer jahrzehntelang den Bedarf nach Betreuung aufbaut und dann den Service nicht dem Bedarf anpaßt, schafft Unzufriedenheit - die sich die PCMer zunutze machen. Sie bieten - und darauf verweisen sie mit Stolz - die Form der Unterstützung, die sich Anwender millionenschwerer Maschinen wünschen: Allzeit ein offenes Ohr, stets auf dem Sprung und Kompetenz rund um den Mainframe-Bereich und darüber hinaus.

Diese Flexibilität kommt den Anwendern in zweierlei Hinsicht zugute. Zum einen können sie sich der engagierten PCM-Betreuung erfreuen, zum anderen motiviert die Wettbewerbssituation aber auch Mother Blue zu besseren Serviceleistungen. Und gerade in Rechenzentren mit Maschinen verschiedener Hersteller können sich die Verantvortlichen nachgerade hofiert fühIen - der Wettbewerb kürt den Kunden wieder zum König.

Verschiedene Systeme bergen Vorteile fürs Haus

Es ist also nicht Jacke wie Hose, ob man sich für IBM oder für einen PCMer entscheidet. Noch schneidet man, so scheint es, im letzteren Fall dabei in irgendeiner Form schlechter ab. Intelligent, so Beratererfahrung, scheint bei der Ausstattung des Rechenzentrums der Kombipack - zweigleisig fährt man am komfortabelsten, denn Konkurrenten im Anwenderhaus verheißen meist bessere und günstigere Lösungen, von besagten positiven Serviceauswirkungen ganz zu schweigen. Imageeinbußen sind mit Sicherheit nicht mehr zu befürchten, denn Selbstbewußtsein und Ansehen der PCMer sind heute kein Thema mehr. Der Wert der Rechner entschiedet, das Plus an Leistung ebenso wie das günstigere Preis/Leistungs-Verhältnis. Und natürlich die Kompatibilität. Wie ein PCMer sagte: "Das gleiche kann auch besser sein."