Thema der Woche

Mail-Strategie: Integrieren oder auf eine Linie bringen

12.06.1998

Glücklich schätzen können sich Unternehmen, die nur ein E-Mail-System einsetzen. Sie ersparen sich eine Menge an Administrationsaufwand, da die Integration unterschiedlicher Systeme über Gateways nicht nötig ist. Leider hat ein unternehmensweiter Mail-Standard Seltenheitswert. Vor allem in den Abteilungen großer Unternehmen wurden über die Jahre Systeme angeschafft, die untereinander nicht kompatibel sind. Dabei verschärfen Fusionen mit anderen Organisationen sowie Übernahmen die Situation zusätzlich. Außerdem betreten viele IT-Manager Neuland, weil sie den Benutzern auch die Chance geben wollen, per E-Mail über das Internet zu kommunizieren.

Prinzipiell haben die Verantwortlichen zwei Wahlmöglichkeiten: Entweder entscheidet sich das DV-Management für die Integration aller Produkte oder es ersetzt die Vielfalt durch ein einheitliches Mail-System.

Die Deutsche Bank setzt in diesem Zusammenhang auf eine Standardisierung auf Basis von Lotus Notes/Domino. Firmenübernahmen bescherten der Deutschen Bank eine Reihe von E-Mail-Systemen. Zu den am weitesten verbreiteten Lösungen gehörte "Office Vision" unter dem Mainframe-Betriebssystem "MVS", "Notes" und "cc:Mail" von Lotus, ein Wang-System, "Microsoft Mail", sowie "Vines Mail" von Banyan Systems.

Nach Angaben von Reinhard Kreft, Fachbereichsleiter Office and Intranet Solutions, entschied sich das Kreditinstitut für eine konzernweite E-Mail-Installation auf Basis von Lotus Notes. Mittlerweile sind 62 000 Mitarbeiter mit diesem neuen System ausgestattet. Dabei geht der Nutzen weit über den Austausch elektronischer Nachrichten hinaus. Zusätzlich hilft Notes den Bankern bei der zielgruppengerechten Verteilung von Informationen sowie der elektronischen Abwicklung von Arbeitsvorgängen. Mitte des Jahres ist der weltweite Rollout abgeschlossen. Dann werden über 70000 Mitarbeiter dieses System einsetzen.

Derzeit sind jedoch noch mehrere E-Mail-Systeme im Einsatz, die über Gateways und Switches miteinander verbunden wurden. Mittlerweile konnten Vines Mail und MS-Mail vom Netz genommen werden. Bis Ende des Jahres wird Office Vision, cc:Mail und das Wang-System das gleiche Schicksal ereilen.

Reinhard Kreft von der Deutschen Bank sieht einen Vorteil der Lotus Notes/Domino-Lösung in deren Verfügbarkeit sowohl auf PC-Servern als auch auf Midrange- und Main- frame-Computern. Das Frankfurter Kreditinstitut hat gute Erfahrungen mit hochskalierbaren, Großrechner-basierten Mail-Systemen gemacht, insbesondere, was die Kosten anbetrifft. Mittlerweile, so Fachbereichsleiter Kreft, reichen auch Unix-Cluster an die Leistungsbereiche der Rechnerboliden heran. Der IT-Manager erhofft sich durch lokale Notes-Server in den Niederlassungen eine Verringerung der Kommunikationskosten. Der Grund: Etwa 80 Prozent des E-Mail-Verkehrs verbleiben in den Zweigstellen und nur der Rest muß über Weitverkehrsstrecken transportiert werden. Die externe Kommunikation hat die Deutsche Bank auf SMTP ausgerichtet und ermöglicht so jedem Mitarbeiter, Internet-Mails zu versenden. Auf diese Weise sind alle Angestellten im Konzern unter der Adresse Vorname. Nachnamedb.com erreichbar.

Auch die Landesbank Hessen Thüringen in Frankfurt am Main gibt einer einheitlichen Lösung den Vorzug vor dem Zusammenschluß heterogener Systeme. Bis Ende 1997 arbeitete das Kreditinstitut mit einer Host-basierten Bürokommunikation-Software. Im vergangenen Jahr entschied sich das IT-Management jedoch, IBMs Lösung Office Vision abzulösen. Noch nutzen die PC-Anwender bei der Bank außerdem MS-Mail, doch auch die Tage dieser Lösung sind gezählt.

Ab September will die Landesbank im großen Stil Microsofts Exchange einführen. Von den rund 2500 Usern nutzen bereits 300 die neue Software. Da Microsoft sein Produkt als Nachfolger von MS-Mail proklamiert, verfügt Exchange über einige Bordwerkzeuge, die den Umstieg auf das neue System erleichtern sollen. Zunächst betreibt die Landesbank beide Mail-Produkte. So lassen sich beispielsweise die Nachrichtendateien der alten Umgebung übernehmen. Außerdem sorgt der "MS-Mail-Connector" des Exchange Server für einen Austausch zwischen dem Adreßbuch von MS-Mail und dem Exchange-Verzeichnis. Änderungen in der Adressenliste sind so spätestens am darauffolgenden Tag in beiden Mail-Systemen präsent.

Über das Exchange-System stellt die Landesbank auch die Verbindung zum Internet her. Dabei dient der Exchange-Server sowohl als POP3-Server für eingehende Post als auch für den Nachrichtenversand per SMTP.

Zur Zeit müssen die PCs der Anwender noch von Hand mit den neuen E-Mail-Clients ausgestattet werden. Dies soll sich laut Eckhard Meisinger, Betreuer der Bürokommunikation bei der Landesbank, bald ändern. Denn mit Microsofts "System Management Server" (SMS) läßt sich die PC-Software automatisch verteilen.

Zwar trifft jede Landesbank prinzipiell ihre eigene Entscheidung, das übergeordnete Sparkassen-Informatikzentrum (SIZ) bemüht sich jedoch zumindest um eine gewisse Vereinheitlichung der DV-technischen Ausstattung bei den Sparkassenorganisationen. Hierzu entwirft das SIZ eine Empfehlungsliste von IT-Produkten, die für gut befunden werden. Bei den E-Mail-Systemen waren dies Lotus Notes und Exchange. Der Menge nach hat man sich in diesem Umfeld für Lotus Notes entschieden. Nicht so bei der Landesbank Hessen Thüringen. Den Verantwortlichen war ein Umstieg von MS-Mail auf Lotus Notes zu aufwendig. Außerdem biete Notes zusätzlich zur Mail-Komponente noch Groupware-Funktionen, die bei der Landesbank nicht benötigt würden.

Ähnlich wie die Banker ging auch die LTU in Düsseldorf vor. Die Mitarbeiter der Fluggesellschaft kommunizierten mit MS-Mail, bevor konzernweit der Umstieg auf Exchange beschlossen wurde. Allerdings ist der Netzwerkadministrator Thomas van Hall nicht ganz zufrieden mit dieser Lösung. Die Client-Software sei außerordentlich ressourcenhungrig. Dies mache sich besonders negativ bemerkbar, da ein Großteil der 1200 Clients noch mit "Windows 3.11" arbeite. Zudem war der Umstieg von MS-Mail auf Exchange nach den Worten des Netzverwalters ungewöhnlich aufwendig.

Für die Kommunikation nach draußen verwendet LTU wie auch die Landesbank Hessen Thüringen den SMTP-Connector von Exchange. Auf diese Weise können alle Anwender Mails ins weltweite Netz sowohl verschicken als auch empfangen.

Einen anderen Ansatz als die Fluggesellschaft wählte die Verwaltung der Stadt Wuppertal, die sich nicht auf eine bestimmte E-Mail-Lösung festgelegen wollte. Dort werden unterschiedliche Lösungen auf der Basis eines einheitlichen Adressenverzeichnisses sowie mittels festgelegter Standards integriert. Dabei haben die einzelnen Organisationseinheiten Handlungsspielraum bei der Wahl ihrer E-Mail-Systeme.

Festgelegt wurden lediglich die Standards SMTP und X.400. Alle bei der Stadtverwaltung eingesetzten Produkte müssen diesen Vorgaben folgen, erläutert Hans-Jürgen Ziegler, Leiter des Stadtbetriebes Informations- und Kommunikationssysteme. Statt vieler isolierter Adreßbücher sollen alle Anwender ein zentrales Verzeichnissystem nutzen.

Sukzessive führt die Stadt Wuppertal deshalb das SNI-Produkt "DirX" ein. Dieses X.500-kompatible Verzeichnissystem speichert die Benutzerdaten aller User im Netzwerk zentral. Die dazugehörige Client-Komponente "Org.D" erlaubt es beliebigen MAPI- fähigen (MAPI = Mail Application Programming Interface) E-Mail-Clients, wie Exchange, Outlook oder Lotus Notes, auf das Verzeichnis zuzugreifen sowie Nachrichten an die dort eingetragenen User zu versenden.

Zentrales Verzeichnis für verschiedene Clients

Bevor die Entscheidung zugunsten dieses Systems fiel, setzte die Kommunalverwaltung in Teilbereichen MS-Mail ein. Die Beamten standen jedoch bald vor der Frage, diesen Notbehelf weiter zu nutzen oder auf eine einheitliche Plattform für alle Bereiche umzuschwenken, insbesondere für die Kommunikation nach draußen. Der Umstieg von MS-Mail auf das neue System war technisch nicht sehr aufwendig, da lediglich 130 Benutzer mit diesem Produkt arbeiteten. Schwieriger war die Umschulung der Mitarbeiter, berichtet Hans-Jürgen Ziegler von der Stadt Wuppertal.

Für den Nachrichtenaustausch mit der Außenwelt fährt die Stadtverwaltung zweigleisig: Da die Behörde an das Deutsche Forschungsnetz angeschlossen ist, können die Benutzer sowohl X.400- als auch SMTP-Mails versenden. Aus Gründen der Sicherheit verwenden die Mitarbeiter Stadt Wuppertal für die interne Kommunikation jedoch ausschließlich X.400.

Verschiedene Landesbehörden in Nordrhein-Westfalen sammeln zur Zeit im Rahmen von Pilotanwendungen Erfahrung mit X.400. Zwar ist der ISO-Standard schon lange im Behördenumfeld eingeführt, bei diesem Projekt geht es jedoch um den kompletten Postaustausch zwischen einer Kommune und dem Land.

Anders als die Stadt Wuppertal blickt man beim Automobilhersteller BMW auf eine lange E-Mail-Historie zurück; daher verfolgen die Münchner zunächst den Weg der Integration. Langfristig wollen sich die Bayern jedoch auf maximal zwei Systeme festlegen und alle anderen herunterfahren.

Laut Rudolf Rauber, Leiter der Office-Workgroup und Kommunikationsanwendungen bei BMW, setzt der Autobauer eine Vielzahl verschiedener Mail-Software ein, die es am Markt gibt. Über die Jahre wurden in den Abteilungen verschiedene Systeme hochgezogen, die sich nicht von heute auf morgen ablösen lassen.

Den Wildwuchs wollen die Verantwortlichen jedoch beschneiden. "Ende 1998 werden wir einen reinen Internet-Mail-Backbone haben", gibt Rauber die Marschrichtung vor. Dabei wollen die Münchner ganz auf Standards wie SMTP, POP3, IMAP4 sowie LDAP setzen. Doch die Planungen bei BMW gehen noch weiter. In Zukunft soll es beim Münchner Automobilhersteller nur noch maximal zwei Mail-Systeme geben, alle anderen Programme werden abgelöst.

"Wir suchen nach Wegen, diese Systeme zusammenzuführen", erläutert der E-Mail-Experte die Strategie des Unternehmens. Die Grundlage dafür bieten Mail-Produkte, die bereits mit Internet-Protokollen ausgestattet sind. Die bei BMW eingesetzte E-Mail-Software muß entweder diesen Standards folgen oder sie wird abgeschafft. In die engere Wahl beim Autohersteller kommen deshalb MS-Exchange, Lotus Domino, Netscapes Mail-Server sowie Openmail von HP. Dagegen gehört das früher hauptsächlich für die Bürokommunikation eingesetzte Office Vision von IBM zu den Auslaufmodellen. Zwar gäbe es auch SMTP-Gateways für das Mainframe-basierte Mail-System, doch diesen Weg will BMW laut Rauber nicht beschreiten.

Von Integrationsprodukten wie Gateways hält der E-Mail-Experte nicht viel, da sie einen enormen Administrationsaufwand erforderten und zudem unzuverlässig arbeiteten. Der Konzern setzt bereits SMTP-Gateways für ältere Nachrichtensysteme wie etwa MS-Mail oder "All-in-1" von DEC ein, doch möchte sich BMW-Mitarbeiter Rauber gerne dieser unbeliebten Helfer entledigen.

Damit Benutzer sich leichter von ihren liebgewonnenen Systemen trennen, muß ihnen nach Auffassung Raubers ein Mehrwert geboten werden. So will der Manager den Office-Vision-Anwendern den Umstieg auf ein neues System mit der Möglichkeit versüßen, daß sie nun auch Internet-Mails versenden können.

Auf der Client-Seite hat sich der Autohersteller auf Netscapes Web-Browser "Communicator" festgelegt und nutzt dessen Mail-Komponente. Da Anbieter wie Lotus und Microsoft ihre Server-Systeme mit SMTP- und POP3-Funktionen ausgestattet haben, können die User diese Systeme auch ohne die speziellen Clients der Anbieter verwenden.

Wie aufwendig eine Migration von alten Systemen auf ein neues Mail-Produkte sein kann, belegt das Beispiel IBM. Bei Big Blue fiel die Entscheidung, alle Mitarbeiter dort sowie die Kollegen der Unterehmenstochter Lotus auf Lotus Notes zu migrieren. Insgesamt 200000 User sind von der Aktion davon betroffen. Zur Hälfte ist das Projekt bereits realisiert. Es verschlang bisher 50 Mann-Jahre.

E-Mail-Strategien

Nach der Erfahrung von Joseph Kronfli, Business Development Manager bei Debis, wollen Kunden ein E-Mail-System, in das sich auch Groupware-Funktionen einbinden lassen. Dies bieten beispielsweise Netscape, Microsoft und Lotus.

Will sich ein Unternehmen nur auf die E-Mail-Komponente beschränken, reichen Web-Browser und Internet-basierte Mail-Server aus. Wird zusätzlich noch die Verwaltung von Terminen und Adressen benötigt, kommt beispielsweise Exchange in Frage. Soll außerdem noch Workflow und Groupware ins Spiel kommen, fällt die Wahl oft auf Lotus Notes.

Nach Ansicht von Joseph Kronfli sind die IT-Abteilungen in den Unternehmen wach geworden. Sie haben die Schattenkosten bei den E-Mail-Systemen erkannt. Setzen Firmen verschiedene E-Mail-Systeme ein, so ist nicht nur der Administrationsaufwand recht hoch. Anwender sind, wenn sie mehrere Nachrichtensysteme benutzen, auch gezwungen, mehr als ein Postfach auf eingetroffene Mails zu überprüfen. Problematisch sind in diesem Zusammenhang auch die Adressenlisten, denn sie sind nicht einheitlich. Hier stellt sich dann wieder die Frage: Ablösen oder Integrieren.

Bei der Integration von verschiedenen E-Mail-Systemen macht der Debis-Mann einen neuen Trend aus. Demnach wollen die Anwenderfirmen zunehmend ihre Systeme auf der Basis des Lightweight Directory Access Protocol (LDAP) zusammenführen. Viele Hersteller bieten ihre Produkte bereits mit einer LDAP-Schnittstelle an. Auf diese Weise lassen sich die Verzeichnisse der unterschiedlichen Mail-Systeme vereinheitlichen - mit LDAP als gemeinsamen Nenner.

Frank Niemann, fniemanncomputerwoche.de