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Enthüllungsplattform

Machtkampf bei WikiLeaks

27.09.2010
Daniel Schmitt, der wichtigste Mitarbeiter von WikiLeaks-Gründer Julian Assange, schmeißt die Brocken hin.

Er war nicht nur der Sprecher von WikiLeaks, sondern neben dem Gründer des Enthüllungsportals, Julian Assange, auch der wichtigste Aktivist. Doch nun hat der deutsche IT-Spezialist Daniel Schmitt das Projekt im Streit verlassen. Schmitt, der wie viele Mitstreiter in der Öffentlichkeit stets einen fremden Nachnamen angab, kündigte im Nachrichtenmagazin "Spiegel" seinen Rückzug an. "Vor vier Wochen hat er (Assange) mich suspendiert - als Ankläger, Richter und Henker in einer Person", sagte Schmitt. Seither habe er auch keinen Zugriff mehr auf seine E-Mails. "WikiLeaks hat ein strukturelles Problem. Für mich ist das nicht länger zu verantworten, deshalb verlasse ich das Projekt."

Vor neun Monaten waren Assange und Schmitt noch einträchtig zusammen auf dem Kongress des Chaos Computer Clubs "26C3" in Berlin aufgetreten. Dort verkündeten sie unter anderem ihre Pläne, Island zu einer "Schweiz der Bits", also einer sicheren Anlaufstelle für sensible Enthüllungsdaten zu machen. Schmitt knüpfte an der Seite von Assange auch die Kontakte für das bislang größte WikiLeaks-Projekt: die Veröffentlichung von rund 77.000 geheimen Meldungen des US- Militärs aus dem Afghanistan-Krieg im "Spiegel". In dem Magazin wurde der Coup dann - neben dem britischen "Guardian" und der "New York Times" - der Öffentlichkeit präsentiert. Nun hat diese enge Zusammenarbeit der beiden Aktivisten ein jähes Ende gefunden.

Einen Spalt zwischen Schmitt und Assange trieb der Vergewaltigungsverdacht, dem sich der 39 Jahre alte Australier ausgesetzt sieht. Assange wird vorgeworfen, in Schweden eine Frau vergewaltigt und eine andere sexuell belästigt zu haben. Der Beschuldigte wies die Vorwürfe als Verschwörung von Geheimdiensten nach dem Afghanistan-Coup zurück. Schmitt legte hingegen dem WikiLeaks-Gründer nahe, sich wegen der Affäre zeitweise aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen.

Der WikiLeaks-Sprecher wollte nicht an die Verschwörungstheorien von Assange glauben: "Die Ermittlungen gegen Julian in Schweden sind aus meiner Sicht ein persönlicher Angriff auf ihn, aber sie haben nichts mit WikiLeaks zu tun", sagte Schmitt nun dem "Spiegel". "Es hätte nichts dagegen gesprochen, wenn er im Hintergrund normal weitergearbeitet hätte. Er hat meinen internen Vorschlag aber offenbar als Angriff auf seine Rolle gesehen."

Es geht beim Streit zwischen den WikiLeaks-Aktivisten aber nicht nur um die Vergewaltigungsaffäre in Schweden. Ursache sei vor allem, dass sich die Plattform aus seiner Sicht - und der von Kollegen - zu sehr auf große Projekte konzentriert habe, sagte Schmitt, der im "Spiegel" nun seinen richtigen Namen mit Daniel Domscheit-Berg angab. Kleinere, nationale Dokumente seien vernachlässigt worden. "Ich habe mehrfach versucht, das anzustoßen, aber Julian Assange hat auf jede Kritik mit dem Vorwurf reagiert, ich würde ihm den Gehorsam verweigern und dem Projekt gegenüber illoyal sein." Auch andere Mitarbeiter seien unzufrieden: "Da gibt es eine Menge Unmut, und einige werden wie ich aussteigen."

Schmitt betonte, er habe Assange nicht ausschalten wollen. "Aus meiner Sicht war es kein Machtkampf, es ging nicht um persönliche Interessen, sondern um unsere Organisation und deren Weiterentwicklung."

In der Szene der Netz-Aktivisten, die WikiLeaks bislang unterstützt hatte, stieß das Verhalten von Assange auf scharfe Kritik. "(Schmitt) distanzierte sich von der dämlichen Verleumdungs- Verschwörungstheorie, wonach irgendwelche Geheimdienste hinter der Sex-Affäre von Julian Assange stehen würden. Vielleicht führte das ja dazu, dass das Wasser übergelaufen ist und er deswegen "beurlaubt" wurde", schreibt beispielsweise Markus Beckedahl auf netzpolitik.org. (dpa/tc)