Qualitative Aspekte der österreichischen Entwicklung der Elektronik und Datenverarbeitung

Machtabtretung an die Multis?

27.07.1979

Dr. Norbert Rozcenich, Leiter der Abteilung Informationsverarbeitung im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in Wien

Die technologischen Determinanten für die österreichische Entwicklung auf dem Informations- und Elektroniksektor sind vorwiegend exogener Natur: Industriewirksame Forschung und Entwicklung im Bereich der Computertechnologie, der Schalt- und Nachrichtentechnik wird fast ausschließlich von einigen wenigen, hochindustrialisierten Ländern betrieben. Als importierte Hardware-, Software- und Übertragungstechnologie determinieren ihre Ergebnisse derzeit vollständig die technologischen Grundlagen der österreichischen Infrastruktur am Informationsverarbeitungs- und Übertragungssektor. Am Großcomputersektor wird sich an dieser Entwicklung (trotz der staatlichen Beteiligung an Siemens Österreich) voraussichtlich nicht viel ändern, da am Weltmarkt neben den USA und Japan langfristig nur einige große europäische Computerhersteller wie Siemens, ICL oder CII-Honeywell Bull bestehen können.

Als weltweite Trends werden in den kommenden Jahren folgende Einflußfaktoren für Österreich wirksam werden:

- Weiteres drastisches Sinken der Hardwarekosten aufgrund der spektakulären Entwicklung moderner Halbleitertechnologien und integrierter Schalttechniken. In acht bis zehn Jahren werden größere Computer rund ein Zehntel, kleinere und Minicomputer rund ein Fünftel des gegenwärtigen Anschaffungspreises kosten, intelligente Terminals werden im Schnitt so viel kosten, wie gegenwärtig nichtintelligente.

- Stabilisierung der Wachstumsraten von Großcomputeranlagen (Diebold-Klasse 7 bis 10 - Anlagenwert über 7,5 Millionen Schilling) wegen Sättigung des Nachholbedarfs der großen Institutionen in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.

- Gleichzeitig kontinuierliche Expansion kleinerer EDV-Anlagen (Diebold-Klasse 1 bis 6) und extrem hohes Wachstum am Minicomputer- und Mikroprozessorsektor. Kleinere und schnellere, hochspezialisierte Rechner übernehmen zunehmend das Handling von überschaubaren Teilen klassischer Management-Informations-Systeme.

- Diese Trends korrespondieren partiell mit einem starken Trend zur Differenzierung der EDV-Benutzerprofile zu arbeitsteiligen Verbundkonzepten und zu einer Verlagerung der

Daten-(Vor-)verarbeitung zu den primären Datenquellen.

- Als Folge der Trendumkehr zu kleineren, für ganz spezielle Anwendungsgebiete konstruierten, beziehungsweise (mikro-) programmierten Prozessoren steigt der Bedarf an kommunikationstechnischen Einrichtungen. Hardware- und softwaremäßige Isolation wird durch Integration in arbeitsteiligen Übertragungs- und Computernetzwerken vermieden (Resource-Sharing). Die Verschmelzung von Computertechnologie, Nachrichtentechnik und Druck- und Kopiertechnik hebt die Informationstechnologie auf eine qualitativ neue Stufe. Mikroprozessoren schaffen die Voraussetzung für leistungsfähige Schaltprozeduren und bilden somit die Voraussetzung für multimediale Zugriffsmöglichkeiten.

- Das österreichische Datenverkehrsaufkommen 1985 wird hier mangels österreichischer Erhebungen nur aus internationalen Trends (Europa 1985: Verzehnfachung der Terminals, Verzwölffachung des Datenfernübertragungsverkehrs) interpoliert. Unter Einrechnung eines strukturellen Entwicklungsrückstandes von zwei bis drei Jahren dürfte der tägliche Transfer digitaler Daten 1985 etwa 30 bis 40 Gigabit erreicht haben, die Anzahl der über posteigene Leitungen angeschlossenen Terminals kann mit rund 20 000 (zusätzlich rund 7500 "Inhouse"-Terminals) geschätzt werden.

- Ein qualitativer und quantitativer Sprung von der institutionellen zur individuellen Verwendung digitaler Nachrichtendienste ("Vergesellschaftung der Datenbanken") wird einsetzen, sobald öffentliche Kommunikationsnetze mit digitalen Übertragungstechniken zur Verfügung stehen werden, beziehungsweise eine Mehrzweckverwendung von Breitbandleitungen als universell verwendbares Übertragungsmedium (auch für private Haushalte) ermöglicht wird.

- Telefon, Rundfunk und Fernsehen stellen für private Haushalte die derzeit einzigen aktuellen Formen der "Online"-Verbindung mit der Außenwelt dar. Zusätzlich werden bis 1985 eine Reihe neuer Informationsdienste entstehen: Bildungsfernsehen und Bibliotheksdienste, regionales Kabelfernsehen auf Zweiwegbasis, Text- und Faksimilieübertragung ("Telekopieren"), Buchungs-, Abruf- und Auskunftsdienste, Zugriffe zu Datenbanken und Programmbibliotheken. Eine staatspolitisch verantwortungsvolle Förderung des privaten Informationsverhaltens kann im günstigen Falle auch zu neuen Formen des Demokratieverständnisses führen.

- Forciert durch internationale Standardisierungs- und Normungsbemühungen wird eine benutzerfreundliche Kommunikationssprache entwickelt werden, die einen komfortablen multimedialen Zugang zu normierten, digitalen und analogen Kommunikations- und Nachrichtennetzen ermöglicht.

Industrie- und informationspolitische Alternativen

Die österreichische Informationslandschaft 1985 wird somit durch ein integriertes Netz öffentlicher und privater Übertragungsleitungen (Richtfunk, terrestrische und Satellitenfunkübertragung, Koaxialkabel, Glasfiber etc.) geprägt sein, welches regional verteilte Informationszentren (Datenbanken, Computerzentren, Fernsehanstalten und so weiter) mit den institutionellen und individuellen Endbenützern verbindet. Die österreichische Industrie- und Informationspolitik vermag jedoch die Ausprägung dieser generellen Entwicklungstendenz quantitativ und qualitativ entscheidend in folgenden Dimensionen zu beeinflussen:

- Eigene Datenverarbeitungsindustrie oder vollständige Machtabtretung an die "Multis". Österreich wird niemals eigene konkurrenzfähige große EDV-Systeme produzieren können. Der Miniaturisierungstrend in der Hardwareentwicklung würde es jedoch erlauben, den rohstoff-, energie- und relativ kapitalsparenden Sektor einer heimischen DV-Industrie erfolgreich aufzubauen, beziehungsweise weiter auszubauen, da der Bedarf an hochspezialisierten "maßgeschneiderten" Minicomputern und Softwarepaketen in Österreich und in seinen traditionellen Handelspartnerländern (insbesondere Oststaaten!) rapid ansteigt. Investitions- und Förderungsentscheidungen wären jedoch : jetzt zu treffen, um eine heimische Beteiligung bei der zu erwartenden Konsolidierung der europäischen DV-Industrie rechtzeitig sicherzustellen. Die Alternative dazu wäre die ohnehin drohende völlige Okkupation des gesamten DV- und Softwaresektors durch ausländische Konzerne und irreparable Rückstände im Know-how, die derzeit durch das inländische wissenschaftliche Potential gerade noch überbrückbar wären.

- Modernes Ausbaukonzept der Post oder Datenverkehrschaos. Die Investitionsentscheidungen und mittelfristigen Ausbaukonzepte (Packet-Switching, Breitbandleitungen, digitale Übertragungstechniken) der Post- und Telegraphenverwaltung werden je nachdem verzögernd oder beschleunigend auf die Struktur des innerösterreichischen Datenfernübertragungsverkehrs wirken. Im Verzögerungsfalle werden sich unkontrollierbare private Informationsnetze zu Ungunsten öffentlicher stärker durchsetzen, als dies vom öffentlichen Interesse her (Datenschutz) wünschenswert wäre. Auch würde der volkswirtschaftlich und beschäftigungspolitisch relevante Tertiärsektor um ein bedeutsames Expansionsgebiet beraubt. Öffentliche leistungsfähige Übertragungsnetze schaffen auch die Möglichkeit, die ökonomisch (Datensicherung) und rechtspolitisch (Gefahr der "stillen" Kompetenzakkumulation) bedenkliche Zentralisation von Datenbanken ohne Integrationseinbuße zugunsten dezentraler Varianten abzubauen.

- Als beschleunigender oder verzögernder Katalysator wirkt schließlich auch jede Entscheidung einer Beteiligung an internationalen herstellerunabhängigen Forschungs-, Entwicklungs- und Normungsarbeiten, da der Know-how-Rückstand dadurch gemildert werden kann.

- Offene Informationssysteme oder geschlossene, selektive Datendienste: Die Vermeidung Orwell'-scher Dimensionen wird auch in Österreich davon abhängen, ob es gelingt, die schwierige Interessenkollision zwischen prinzipiell öffentlicher Zugänglichkeit zu allen Informationssystemen, um nichtlegitimierbare, intransparente Machtkonzentrationen zu vermeiden, und der zum Schutze individueller Privatsphären erforderlichen nach Person und Verwendungszweck differenzierten partiellen Zugrifflegitimation sinnvoll und gerecht zu lösen.

Entnommen aus "Perspektiven 79" der Zentralsparkasse und Kommerzbank Wien.