Mach mal Pause!

27.11.2008
Wenn der Blackberry den Arbeitsrhythmus diktiert, wird es Zeit für die Notbremse.

Ein normaler Arbeitstag beginnt für viele Manager, indem sie auf dem Weg ins Büro schnell ihre E-Mails abrufen und die ersten Arbeitsanweisungen per Telefon durchgeben, um sich dann sofort ins erste Meeting zu stürzen. Das Mobiltelefon diktiert das Arbeitsverhalten; sobald ein Signalton erklingt, wechselt die Konzentration von einer kniffligen Aufgabe zur gerade eingegangenen E-Mail. Ähnlich wie beim Pawlowschen Hund löst ein Klingelton eine Reaktion aus. Viele Führungskräfte lesen selbst belanglose Nachrichten sofort, beantworten und kommentieren sie.

Urlaub ohne Blackberry undenkbar

Nebenbei läutet das Telefon, zugleich steht ein Kollege im Türrahmen und möchte sofort eine Antwort auf seine Frage. Offene Bürotüren und ständige Verfügbarkeit zwingen viele Chefs dazu, die Aufmerksamkeit permanent zwischen verschiedenen Aufgaben aufzuteilen. Doch genau das stresst. Eine Balance zwischen Berufs- und Privatleben existiert nicht mehr. Manager lesen überall ihre E-Mails, ein Urlaub ohne Mobiltelefon oder Blackberry wäre undenkbar. Dass das ungesund ist, spüren viele. Um langfristig leistungsfähig zu bleiben, ist ein ausgewogener Lebensstil unumgänglich.

Eine der Schattenseiten von langen Arbeitstagen und ständiger Erreichbarkeit können Burnout-Symptome sein. Besonders anfällig hierfür sind IT-Mitarbeiter, wie Anja Gerlmaier vom Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) in Gelsenkirchen in langjährigen Forschungsprojekten nachweisen konnte. "Gerade die Aufgaben von IT-Mitarbeitern erfordern ein hohes Maß an Konzentration. 90 Prozent der von uns Befragten gaben an, dass sie oft oder immer wieder in ihrer Arbeit unterbrochen werden. Das wirkt sich belastend aus", so die Arbeitspsychologin. Während jüngere Kollegen die häufigen Unterbrechungen durch E-Mails oder Anrufe meistens gut wegstecken könnten, fühlen sich ältere Mitarbeiter genervt, reagieren verärgert und sind schneller erschöpft.

Die hohe Servicebereitschaft gegenüber den Kunden zwingt viele in eine Rolle, in der sie ständig erreichbar sein müssen. "Rufbereitschaften, die sich über 24 Stunden erstrecken und eine Sieben-Tage-Woche beinhalten, sind für die Betroffenen eine Katastrophe", mahnt Gerlmaier. Der ständige Stress führt dazu, dass eine aktive Freizeitgestaltung kaum noch möglich ist. Die dringend notwendigen Regenerationsphasen entfallen, soziale Kontakte nehmen ab, denn schließlich bringt niemand Verständnis dafür auf, wenn im Kino das Telefon läutet und ein Kunde über einen Systemabsturz jammert.

Wer so arbeitet, zahlt einen hohen gesundheitlichen Preis. Unter Tinnitus zum Beispiel leiden rund 20 Prozent der IT-Mitarbeiter, während in der Gesamtbevölkerung weniger als fünf Prozent davon betroffen sind. "Manche kippen einfach um; viele berichten uns, dass Drehschwindel und damit einhergehende Orientierungslosigkeit sie dermaßen beeinträchtigen, dass sie mehrere Monate nicht arbeiten können", berichtet Gerlmaier von ihren Interviews in Großunternehmen und mittelständischen IT-Firmen.

Der Fluch der Flexibilität

Obwohl Topmanager sich gegen Besucher und Anrufer besser abschotten können, kämpfen auch sie mit überbordenden Anforderungen und 24-Stunden-Arbeitstagen an 360 Tagen im Jahr. Ruth Stock-Homburg, Professorin für Betriebswirtschaft an der Technischen Universität Darmstadt, befragte Manager und Managerinnen in herausgehobenen Führungspositionen, wie es bei ihnen mit der Ausgewogenheit von Berufs- und Privatleben steht. Auffallend war, dass der häufigste Stressfaktor die ständige Erreichbarkeit beispielsweise über E-Mail oder Mobiltelefon ist. Was anfangs mehr Flexibilität bedeutete, entwickelt sich mittlerweile zum Fluch.

In der Darmstädter Work-Life-Balance-Studie nannten die Befragten die zeitliche Ausdehnung der Arbeit und zunehmende Arbeitsfülle als Stressfaktoren; wer täglich zwölf bis 14 Stunden arbeitet, für den bleibt an einem 24-Stunden-Tag wenig Muse. Häufige Geschäftsreisen und Kostendruck tragen ebenso dazu bei, dass Betroffene ihr inneres Gleichgewicht verlieren.

Wenn Anforderungen ständig steigen und keine Besserung in Sicht ist, entschließen sich manche zu dem Versuch, mit einem Coaching ihr Arbeits- und Privatleben in den Griff zu bekommen. Sie wollen lernen, besser mit den Arbeitsmengen umzugehen. Annette Glitz berät und coacht Führungskräfte. Zu ihr kommen Klienten, die aufgrund von extremer Arbeitsbelastung direkt auf ein Burnout-Syndrom zusteuern. Glitz empfiehlt selbst Topmanagern, sich mindestens einen freien Tag pro Woche zu gönnen und keinesfalls das Wochenende durchzuarbeiten. "Meistens gibt es kein Problem, das nicht eine Nacht warten kann. Wenn es ganz prekär wird, sollten Unternehmen Notfallpläne haben, wie sie mit solchen Situationen umgehen", rät die Münchner Psychologin. Aus ihrem Beratungsalltag weiß sie, dass Blackberries süchtig machen können.

Angst vor dem Ausschaltknopf

Doch viele fürchten sich regelrecht vor dem Ausschaltknopf ihres Mobiltelefons. "Manchen schmeichelt es, wenn auch am Wochenende berufliche Anrufe eingehen", vermutet Glitz, selbst wenn dadurch Konflikte in der Familie oder Partnerschaft provoziert werden. Die Beraterin rät, sich unbedingt Freiräume zu schaffen. Viele Unternehmen hätten erkannt, dass sie von ihren Mitarbeitern keine ständige Erreichbarkeit erwarten können.

Zeiten der Ungestörtheit während des Arbeitsalltags sind wichtig, um sich intensiv mit bestimmten Aufgaben zu beschäftigen, neue Ideen zu entwickeln oder sich einfach zu erholen. Ernst Pöppel, Professor für medizinische Psychologie, spricht vom "Terror der Kommunikation" und dem Fluch, dauernd über E-Mail oder Mobiltelefon greifbar zu sein. "Trotzdem gehört durchaus Mut dazu, für eine Stunde das Telefon abzustellen, das Mobiltelefon auszuschalten und seine E-Mails nur zu bestimmten Zeiten zu lesen", kommentiert Pöppel.

Tücken der virtuellen Arbeit

Solche Auszeiten sind notwendig, um wieder kreativ zu arbeiten und zum Beispiel wieder eine Stunde konzentriert nachzudenken. "Kreativität findet im Radius von 50 Metern statt; Teams, die immer nur über die Entfernung von mehreren tausend Kilometern zusammenarbeiten und nur eine virtuelle Gemeinschaft bilden, sollten sich auf jeden Fall regelmäßig treffen, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern", empfiehlt der Professor.

"You've got mail" belastet viele Manager, statt sie zu beflügeln. Während sich Tom Hanks und Meg Ryan in dem Film aus dem Jahr 1998 noch über das akustische Signal jeder eingehenden Nachricht freuten, nervt es heute nur.

Mailen während des "Suppenkomas"

Anja Gerlmaier empfiehlt die Eisenhower-Methode. Wer morgens zur produktivsten Zeit als Erstes seine E-Mails durchsehen muss, sollte dies sehr diszipliniert tun, nämlich ansehen und entscheiden, was wichtig und dringend ist. Diese Nachrichten sollten zügig bearbeitet werden. Allen anderen, weniger relevanten, sollte man sich zwischen 13 und 15 Uhr widmen, denn dann hat die Leistungskurve sowieso eine Delle. Routinepflichten und Informationsnachrichten könne man während des "Suppenkomas" gut abarbeiten, meint Gerlmaier. Das schaffe Freiräume.

Studien gehen davon aus, dass Manager zwischen 15 und 25 Prozent ihrer täglichen Arbeitszeit darauf verwenden, E-Mails zu bearbeiten. Günter Weick und Wolfgang Schur schulen gestresste E-Mail-Nutzer darin, wie sie besser mit der elektronischen Nachrichtenflut umgehen können. In ihrem Buch "Wenn E-Mails nerven" erläutern sie in einer gut verständlichen Sprache wichtige Strategien. Die wichtigste ist: selbst weniger E-Mails zu schreiben und klare Betreffzeilen zu formulieren. Zauderern empfehlen die Autoren die Stockwerksfrage: "Würde ich diese Mail auch schreiben, wenn ich sie ausdrucken und persönlich drei Stockwerke höher auf den Schreibtisch des Empfängers legen müsste?"

Keine großen Verteiler

Aussagekräfte Betreffzeilen erleichtern die Arbeit ebenso wie kleine Verteiler, in denen nicht die ganze Firma auf cc gesetzt wird. Weick und Schur plädieren dafür, höchstens dreimal täglich zu festen Zeiten einen Blick in den Posteingang zu werfen. Schließlich rennt auch niemand minütlich zum Briefkasten im Hausflur, um begierig die neuesten Werbesendungen zu lesen. Der Tipp, sich morgens nicht als Erstes dem E-Mail-Account zu widmen, sobald der Rechner hochgefahren ist, wirkt ebenfalls Wunder. Vormittags sind Konzentration und Aufnahmefähigkeit hoch; deshalb eignet sich diese Zeit hervorragend, um knifflige Aufgaben zu lösen. (hk)

Buchtipps

Günter Weick, Wolfgang Schur: Wenn E-Mails nerven. So bekommen Sie die Kontrolle zurück und arbeiten besser, schneller und sicherer. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2008, 156 Seiten, 14,95 Euro.

Die Autoren erklären ausführlich, weshalb E-Mails nerven und wertvolle Arbeitszeit rauben. Die vorgeschlagenen Lösungen sind plausibel und gut Schritt für Schritt umsetzbar.

Mike Song, Vicki Halsey, Tim Burress: Die Hamsterrevolution. Vier Strategien gegen das tägliche E-Mail-Chaos. Gabal Verlag, Offenburg 2007, 168 Seiten, 19,90 Euro.

Das gleiche Thema offerieren die drei amerikanischen Autoren anders verpackt: als Business-Roman mit einer Rahmenhandlung, in der der Ratsuchende sich in einen Hamster verwandelt hat und einen Coach sucht, der ihm mit Tipps und vier konkreten Strategien hilft, seine E-Mail-Flut zu reduzieren und sich wieder in ein menschliches Wesen zu verwandeln. Die Strategien ähneln denen von Weick und Schur, doch wer eine amerikanische Erfolgsstory möchte und das Versprechen, dass sich das eigene Leben sofort verändert, dem hilft dieses Buch sicher weiter.

Miriam Meckel: Das Glück der Unerreichbarkeit. Wege aus der Kommunikationsfalle. Murmann Verlag, Hamburg 2008, 270 Seiten, 18 Euro.

Wen E-Mails, Blackberry und ständige Erreichbarkeit nerven, dem zeigt die Professorin für Corporate Communication an der Universität St. Gallen Wege auf, sich von diesen Zwängen zu befreien. Anhand konkreter Beispiele und theoretischer Exkurse lernt der Leser, sein Verhalten zu analysieren und praktikable Lösungen zu finden.

Tipps gegen die E-Mail-Flut

Gewinnen Sie Zeit,

indem Sie sich auf Ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren. Vermutlich steht in Ihrem Berufsprofil nicht "E-Mail-Schreiber". Nutzen Sie die E-Mail-Korrespondenz nur, um sich über wichtige Inhalte mit Kollegen und Kunden auszutauschen.

Schreiben Sie weniger E-Mails.

Jede geschriebene elektronische Nachricht provoziert eine oder mehrere Antworten. Weniger, dafür durchdachter und pointierter formulierte E-Mails rufen weniger Nachfragen hervor.

Klare Betreffzeilen helfen allen.

Der Empfänger weiß mit einem Blick, worum es geht, der Absender formuliert auch für sich selbst klar sein Anliegen.

Keine Kritik in einer E-Mail.

Auch sachlich gemeinte Verbesserungsvorschläge kommen gemailt vermutlich falsch an. Das persönliche Gespräch schafft schneller Klarheit und ist in den meisten Fällen weniger verletzend.

Feste Lesezeiten für E-Mails festlegen.

Deaktivieren Sie alle akustischen und optischen Signale für eingehende Nachrichten. Die erste Stunde am Morgen sollten Sie für wichtige Aufgaben verwenden und keinesfalls für scheinbar witzige Ketten-Mails von Kollegen. Idealerweise sollten Sie nur dreimal täglich Nachrichten lesen und beantworten.

Mails am besten gleich bearbeiten.

Am effektivsten ist es, E-Mails nur dann zu lesen, wenn man auch zum Antworten kommt. Die "Sofort-Regel" spart Zeit.

Richten Sie ein Ablagesystem ein.

Bearbeitete und beantwortete E-Mails sollten Sie möglichst sofort ablegen. Ins Posteingangsfach gehören nur neu angekommene und ungelesene Nachrichten.

Löschen Sie großzügig.

E-Mails löschen wirkt befreiend, selbst wenn der Speicherplatz Ihres E-Mail-Accounts besonders groß ist.

Tipps frei nach Günter Weick und Wolfgang Schur.