M-Commerce/Für wen lohnt sich das mobile Business?

M-Commerce zwischen Hype und Realität

23.02.2001
Mit mobilen Internet-Lösungen, auf neudeutsch M-Commerce genannt, steht der nächste Megatrend vor der Tür. Viele stehen vor der Frage, wann und wie sich der Einstieg in das mobile Business lohnt. Von Kai Leonhardt*

Auf der Straße, in Restaurants, Geschäften oder öffentlichen Verkehrsmitteln - überall in Deutschland klingelt und summt es. Handy everywhere, der Boom zur mobilen Kommunikation ist ungebrochen. Nach Schätzungen der Marktforscher von Forit wird es schon in drei Jahren hier zu Lande mehr als 60 Millionen Handys geben. Da liegt der Gedanke nahe, das Mobiltelefon neben Telefonaten und SMS (Short Message System) auch für andere kommerzielle Dienste zu nutzen. Schließlich erschließt das Handy als Einkaufs- und Zahlungsmittel das Gros der geschäftsfähigen Menschen als potenzielle Kunden und verspricht so einen milliardenschweren Markt.

Die Kombination aus Mobilkommunikation und elektronischem Handel ist unter dem Schlagwort M-Commerce (Mobile Commerce) zurzeit in aller Munde. Über Mobiltelefone, PDAs (Personal Digital Assistant) oder Notepads sollen in Zukunft nahezu alle denkbaren Transaktionen ausgeführt werden - zum Nutzen der mobilen Anwender und zum Profit der Anbieter. Analysten prognostizieren dem M-Commerce mit Blick auf Japan bereits eine fantastische Zukunft. Dort gewann allein der japanische Mobilfunkanbieter NTT Docomo binnen 21 Monaten mehr als 19 Millionen Kunden für seinen mobilen Internet Dienst i-Mode.

Bei aller Euphorie in Sachen M-Commerce gibt jedoch Klaus-Jürgen Müller, Director Europe I-Anywhere Solutions der Sybase-Division für mobile Lösungen, zu bedenken, dass "Unternehmen genau prüfen sollten, welche Geschäftsprozesse sich abbilden lassen, und ein Konzept entwickeln, das die Integration des mobilen Business in die gesamten Geschäftsabläufe und zukünftige Ausbaustufen berücksichtigt."

Eine Mahnung, die mit Blick auf die Kindertage des Internet Commerce durchaus berechtigt ist: Der elektronische Handel für Endkonsumenten (B-to-C) war auch ein Megatrend, an dem jeder sofort partizipieren sollte, koste es, was es wolle. Und es kostete eine Menge. Zwar stiegen die Nutzerzahlen und auch die Umsätze rasant an, nur leider verdiente damit kaum jemand Geld. Bekannte Beispiele hierfür sind etwa Letsbuyit.com, Boo.com, aber auch E-Commerce-Flaggschiffe wie Amazon.com. Letztlich wird in diesem Bereich das Geld schneller verbrannt, als es die Investoren nachschießen können.

WAP-Pleite als Warnung

Ähnlich sieht heute die Situation beim M-Commerce aus: Die Unternehmen hoffen auf satte Gewinne in der Zukunft und kämpfen mit den Problemen der Gegenwart, wie etwa die WAP-Pleite des vergangenen Jahres verdeutlichte. Auf der CeBIT 2000, mit vielen Vorschusslorbeeren gestartet, entwickelte sich Wireless Application Protocol zur Technologie ohne Nutzer. Umständlich zu bedienende Geräte, die quälend langsam eine Handvoll speziell angepasster Web-Seiten auf ein daumengroßes Telefon-Display brachten, trafen nicht den Geschmack der Masse - von den hohen Kosten für den Service ganz zu schweigen.

Angesichts des Erfolgs von I-Mode und des Misserfolgs von WAP zeigt sich, dass der Durchbruch des M-Commerce von vielen Faktoren abhängt. Geringe Kosten, schnelle Datenübertragung und vor allem einfache Bedienung sind dabei die offensichtlichsten Punkte. Ohne sie wird sich die neue Form des Handels nicht durchsetzen. Darüber hinaus sind hohe Verfügbarkeit, ein einheitlicher Standard, Internationalität, eine Killerapplikation und vor allem die Möglichkeit, Daten ständig verfügbar zu haben, besonders für Geschäftsanwendungen wichtig.

All dies ist bisher in umfassender Form noch nicht gegeben, sonst würden heute schon jeden Tag Millionenumsätze im M-Commerce generiert. Piktogramme und Klingeltöne für das Handy sind momentan die einzigen Renner im Privatkundensegment. Jeden Tag laden Tausende meist junger Menschen eine Melodie oder ein neues Bild auf ihr Handy und zahlen dafür bis zu einer Mark. Doch, wenn das alles wäre, dann bliebe M-Commerce nur eine Spielerei ohne großes Business-Potenzial. Die wahren Chancen für M-Commerce liegen deshalb in anderen Segmenten.

Ein riesiger Komplex sind mobile Anwendungen für professionelle Nutzer, denn immer mehr Geschäftsabläufe finden außerhalb der Unternehmensmauern statt. Der Markt für Mobile- und Wireless-Informationsverarbeitung steht deshalb nach dem Dafürhalten vieler Analysten am Beginn eines enormen Wachstums. Firmen wollen ihre Geschäftstransaktionen überall dorthin verlagern, wo sie stattfinden - selbst dann, wenn keine Verbindung mit dem Netzwerk möglich ist. "Versicherungen, Krankenhäuser, Handelsunternehmen und Finanzdienstleister nutzen mobile Dienste, um ihren Mitarbeitern jederzeit Zugriff auf Daten und Anwendungen zu geben", skizziert Sybase-Manager Müller den aktuellen Anwenderkreis. "Davon profitieren die Kunden erheblich, denn sie müssen nicht warten, sondern können vor Ort ein Angebot, Informationen oder eine Rechnung erhalten."

Neue Services für das Handy

Neben den Firmenanwendungen werden vor allem schnelle Services im Privatkundensegment zu den Gewinnern im M-Commerce gehören. Telematik- und Börsendienste vermitteln bereits heute einen Eindruck, wo die Reise hingeht. Darüber hinaus birgt die Verbindung von realen Geschäften mit mobilen Diensten ein großes Potenzial. So könnten etwa Autofahrer während der Fahrt angezeigt bekommen, wo die günstigste Tankstelle in ihrer Nähe ist oder wo im Hotel neben der Autobahn noch ein Bett frei ist. Touristen finden in jeder Stadt der Welt ein Restaurant, Theater oder Kino nach ihrem Geschmack. Außendienstmitarbeiter haben Kundendaten, aktuelle Produkt- und Preisinformationen verfügbar, erstellen vor Ort Angebote und aktualisieren den zentralen Datenbestand während des Kundenbesuchs. Ärzte greifen online mit Handhelds auf Patientendaten zu, verschreiben elektronische Rezepte und wickeln die Leistungsabrechnung noch während der Visite ab. Doch was hat ein Unternehmen zu tun, um diese Dienste anzubieten?

Voraussetzung für eine erfolgreiche M-Commerce-Implementierung ist, dass die neuen elektronischen Abläufe nahtlos in die Unternehmensprozesse integriert werden. Hierzu ist in verschiedenen Bereichen neue Software erforderlich, also mobile Applikationen oder Messaging-Dienste. Ferner werden, ähnlich wie im Internet, Dienstleister benötigt, die mobile Inhalte gestalten, diese hosten, auf die Endgeräte bringen und vor allem die Verifizierung der User und die Abrechnung der Umsätze übernehmen.

Das Beispiel WAP zeigt, welche Voraussetzungen zu erfüllen und mit welchen Kosten zu rechnen ist. Dabei profitieren Unternehmen davon, dass mittlerweile viele Internet-Provider existieren, die WAP-Dienste anbieten. Im Grunde ist das auch nicht sonderlich schwierig, denn jeder normale Webserver, der WML (Wireless Markup Language) und WML-Script versteht, kann sofort WAP-Seiten ins Netz schicken. Wird bereits ein Webserver betrieben, dann ist die Erweiterung eine Sache von ein paar Minuten. Die Kosten für einen WAP-Server sind mit denen eines Web-Servers nahezu identisch, denn beide stellen Daten im Internet bereit; sie sind nur unterschiedlich aufbereitet.

Wirrwarr der Standards

Allerdings weist Stefan Scholz, Director Key- Account-Management bei der Satama GmbH, Anbieter von mobilen Internet-Lösungen auf einen wichtigen Unterschied hin: "Wegen der diversen Micro-Browser ist die Konzeption der Seiten, die aufs Handy geworfen werden, komplizierter als im Internet." Des Weiteren, so erklärt Scholz, ist ein klarer und logischer Aufbau einer Site bei WAP noch wichtiger als im WWW, damit der Nutzer auch wirklich das findet, was er sucht. Die Programmierung der Seiten selbst ist dann nach Angaben des Fachmanns simpel und kann von jedem guten HTML-Programmierer schnell erlernt werden.

Die entsprechenden Gateways, um den Kontakt zwischen WAP-Server und Handy herzustellen, offerieren im Allgemeinen die Betreiber der Mobilfunknetze. Steht die Verbindung einmal, kann der Benutzer jeden beliebigen WAP-Server anwählen. Sollen M-Commerce-Systeme aufgesetzt werden, ist noch ein Billing-System zu installieren. Dies ist nicht unproblematisch, da theoretisch, falls die Abrechnung über die Telefonrechnung erfolgen soll, mit jedem Mobilfunkanbieter ein Vertrag abzuschließen wäre. Deshalb räumen Experten Systemen wie Paybox gute Zukunftschancen ein, da sie grenzübergreifend die Abrechnung erledigen.

Eine andere wichtige Frage ist, wie die neue Vertriebsform in bestehende Anwendungen und Buchhaltungssysteme eingebunden wird? Typische Anforderungen für Wireless-E-Business-Anwendungen sind dabei die Synchronisation mit den zentralen Unternehmensdaten, die Datenverwaltung und skalierbare Anwendungs-Server. Zudem ist zu bedenken, dass der Zugriff auf die Unternehmensdaten jederzeit erfolgt, auch wenn keine Netzwerkverbindung verfügbar ist. Deshalb sollte ein Unternehmen seine Geschäftsprozesse ohne großen Aufwand auf die neuen Gegebenheiten der "drahtlosen Revolution" umstellen können. Um dies möglichst schnell bewältigen zu können, empfehlen etliche Berater, professionelle Anbieter wie Sybase (I-Anywhere Wireless Server) oder Bea (Weblogic Server) mit ins Boot zu nehmen.

Kosten für den M-Commerce-Einstieg

Für den Einstieg in den M-Commerce sind zudem Kosten in Höhe von 25000 bis 60000 Mark einzukalkulieren. In diesem Bereich bewegen sich laut Manager Scholz die Kosten für die Erstellung einer kleinen bis mittleren WAP-Site, wenn bereits eine Website, ein Content-Management-System und eine Produktdatenbank vorhanden sind. Zusätzlich sind monatliche Unterhaltskosten zwischen 1000 und 3000 Mark einzuplanen. Wie immer gibt es keine Obergrenze, die tatsächlichen Kosten, sowohl bei der Erstellung als auch beim Unterhalt, hängen stark von den Ansprüchen des Anbieters und der Komplexität der Gesamtlösung ab.

Nach den Erfahrungen mit WAP ist Ernüchterung bei den Propheten des mobilen Internet eingetreten. Die ersten Anbieter mobiler Internet-Lösungen konnten sich zwar als Technologieführer profilieren, doch das große Geschäft war damit nicht zu machen. Wann sich M-Commerce auf breiter Basis durchsetzt, kann denn auch niemand exakt beantworten: In einigen Bereichen ist M-Commerce schon Alltag, in anderen wird es noch dauern. Dabei gehen Branchenkenner davon aus, dass mobile Web- und WAP-Applikationen zuerst in Unternehmen zum guten Ton gehören werden. Erst später wird der Endkunde auf der Straße dann das Handy wie selbstverständlich als Einkaufsmedium nutzen.

Bereits heute Realität?

"M-Commerce ist kein Hype, sondern bereits heute Realität", ist Müller überzeugt, "zumal Prognosen den Markt für mobile Internet-Lösungen durch die Entwicklung neuer Gerätegenerationen und innovativer Anwendungen rasant wachsen sehen." Weltweit, so schätzt die Gartner Group, werden im Jahr 2005 über eine Milliarde Menschen Teile ihrer Aktivitäten wie etwa Einkäufe mobil erledigen.

*Kai Leonhardt ist Consultant in Leichlingen.

Kommentar

Kritisch prüfen statt abwarten

Kaum ist die große Euphorie in Sachen E-Business, E-Commerce und sonstigen E-Hype-Wörtern verebbt, da verunsichert Strategen und IT-Entscheider ein neues Schlagwort. M-Commerce, so schallt es aus Marketing-Abteilungen und Analystenberichten, ist der künftige Megaseller, auf den kein Unternehmen verzichten kann.

Besonders erfreut hört die europäische Seele, dass die Alte Welt dabei nicht den Hinterwäldlerstatus einnimmt wie in Sachen E-Geschäft. Nein, die Europäer stehen vielmehr an der Spitze der mobilen Bewegung. Mancher mag sich angesichts dieser Prognosen verwundert die Augen reiben: Was ist mit den Japanern und ihrer Begeisterung für I-Mode? Lassen sich diese Erfahrungen trotz kultureller Unterschiede einfach auf andere Märkte übertragen? Welche Bedeutung hat M-Commerce eigentlich in der Praxis?

Genau hier beginnen die Schwierigkeiten, denn das neue Hype-Wort ist nicht genau definiert. Während die einen vom M-Commerce als Mobile Payment träumen, sehen andere das mobile Business als Marketing-Instrument, und ein drittes Lager meint damit das mobile Büro für die wachsende Zahl von Außendienstlern.

Als wäre der Streit um eine Definition von M-Commerce nicht schon genug, scheiden sich die Geister auch noch an den Endgeräten. Während Minimalisten bereits mit heutigen Endgeräten und dem altmodischen SMS die Voraussetzungen für das Mobile Business erfüllt sehen, fordern andere eine neue Gerätegeneration und schnellere Mobilfunknetze wie UMTS oder GPRS als technische Grundlage.

Allerdings wäre es ein Fehler, sich angesichts dieser offenen Fragen bequem zurückzulehnen und abzuwarten. Bereits heute können nämlich die Unternehmensprozesse auf ihre Tauglichkeit in Sachen M-Commerce überprüft und Anwendungen gesucht werden, die dem mobilen Mitarbeiter einen echten Mehrwert bieten.

Glossar

GPRS (General Packetswitched Radio System): GSM-Datenmodus bei dem der Teilnehmer permanent online ist ("always on"). Durch Kanalbündelung können theoretisch bis zu 115 Kbit/s erreicht werden.

GSM (Global System for Mobile Communications)

HSCSD (High Speed Circuit Switched Data): GSM-Datenmodus für Wählverbindungen mit derzeit bis zu 43,2 Kbit/s. Diese Transferrate wird durch Kanalbündelung ermöglicht.

IP (Internet Protokoll): IP ist das Basis-Kommunikationsprotokoll im Internet. Datenübertragung passiert paketorientiert.

PDA (Personal Digital Assistant)

SIM (Subscriber Identity Module): Die SIM-Karte enthält Module zur Identifikation von Mobilfunkteilnehmern.

SIM Toolkit: Mit dem SIM Toolkit können Softwareanwendungen auf der SIM-Karte abgelegt werden.

SSL (Secure Socket Layer): Protokollschicht zum sicheren Transport von höheren Internet-Protokollen wie HTTP.

TCP (Transmission Control Protocol)

UMTS (Universal Mobile Telecommunications System): Mobilfunkstandard der dritten Generation. UMTS soll mit Datenraten von bis zu 2 Mbit/s künftig mobile Multimedia- und Internet-Dienste ermöglichen.

Abb: E-Commerce versus M-Commerce

Das Handy als Bezahlsystem erleichtert für die Anbieter die Abrechnung. (Quelle: Sybase)