Nur inkrementelle Verbesserungen der Notes-Plattform

Lotus forciert die Erweiterung seines Produktportfolios

02.02.2001
ORLANDO (ws) - Auf der diesjährigen Lotusphere bemühte sich die IBM-Tochter erneut, Anwender und Partner für das Knowledge-Management zu begeistern. Im Zentrum stand dabei das vorerst letzte Mitglied der entsprechenden Produktfamilie, der "Discovery Server". Hingegen entwickelt Lotus seine Brot- und Butteranwendung "Notes" nur in kleinen Schritten weiter.

Wie schon auf der letztjährigen Hausmesse Lotusphere galt das Hauptaugenmerk der Firmenverantwortlichen auch diesmal dem Knowledge-Management (KM). Ganz offensichtlich geht es der IBM-Tochter darum, diesen als lukrativ angesehenen Zukunftsmarkt frühzeitig zu besetzen. Freilich muss sich erst noch zeigen, ob die KM-Werkzeuge die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen und auch wirtschaftlich ein zweites Standbein für Lotus werden können. Durch die kürzliche Freigabe der "K-Station" und die Ankündigung des Discovery Server (siehe Kasten "Know-how im Unternehmen ausfindig machen") für März kann der Hersteller jetzt zumindest auf ein entsprechendes Produktportfolio verweisen. In Sachen Notes/Domino beschränkte sich das Unternehmen erneut auf die Ankündigung inkrementeller Verbesserungen, die allerdings unter dem Strich zu nicht unerheblichen Fortschritten der Plattform beitragen. Die nächste Hauptversion, die im Schatten der KM-Euphorie stand und immer noch unter dem Arbeitstitel "Rnext" firmiert, soll angeblich noch dieses Jahr fertig gestellt werden und bringt einige nennenswerte Veränderungen des Systems mit sich. Einige davon sind freilich weniger durch Wünsche bestehender Anwender motiviert als durch die Ambitionen von Lotus beim Application-Service-Providing (ASP).

Zwar zeigten die Besucher der diesjährigen Lotusphere reges Interesse an den neuen KM-Produkten. Der große Andrang bei Vorträgen zu geplanten Neuerungen von Notes und Domino sowie der starke Applaus zu oftmals relativ kleinen Verbesserungen zeigte aber, wo die Benutzer wirklich der Schuh drückt. Angesichts der Schere, die sich zwischen den Ambitionen des Herstellers und der Anwenderrealität aufzutun scheint, könnte der Eindruck entstehen, dass Lotus seinen Anwendern weit vorauseilt - noch dazu, wo viele Notes-Kunden noch nicht einmal auf die Version 5 umgestellt haben, das System nur für Messaging verwenden und dessen Möglichkeiten zur Entwicklung von Groupware-Anwendungen nicht in Anspruch nehmen.

Andererseits freilich hat die IBM-Tochter mit Domino 5.07 auch für bloße Mail-Anwender einiges zu bieten. Das Update soll zum Ende des ersten Quartals verfügbar sein. Dort realisiert Lotus nun unter der Bezeichnung "iNotes Web Access" die nächste Stufe von Web-Mail. Sie soll die mit R5 ausgelieferten Java-Applets sowie das zuletzt angebotene HTML-Interface ersetzen. Das neue Web-Frontend bildet unter Ausnutzung der Möglichkeiten, die der Internet Explorer 5.x bietet, den Notes-Client erstaunlich getreu nach. Dazu gehört auch die Replikation von Mails und Kalendereinträgen, für die es auf die Domino Offline Services (DOLS) zurückgreift. Bis auf eine Komponente zum Anhängen von Dateien kommt der neue Web-Client ohne Active X Controls aus, die aus Sicherheitsgründen in vielen Unternehmen nicht gerne gesehen sind, und macht stattdessen ausführlichen Gebrauch von Microsofts Dynamic HTML. Das Ziel, möglichst alle Funktionen des proprietären Clients über das Web anzubieten, führt auch zu einer architektonischen Umstellung. Das persönliche Adressbuch, das traditionell auf dem lokalen Rechner gespeichert wird, kann der Web-Client nicht erreichen. Deshalb werden diese Informationen künftig in die Mail-Datenbank verlagert. Allerdings sucht der Notes-Client auch in der Version 5.07 solche Adressen weiterhin an ihrem angestammten Ort.

Deshalb wird er mit einem einfachen Synchronisierungsmechanismus versehen, der manuell ausgelöst werden muss und die Daten zwischen den beiden Speicherorten abgleicht. Erst der Client in Rnext wird standardmäßig die persönlichen Adressen in der Mail-Datenbank lesen und schreiben.

Dieses größere Update des Clients wird zwar eine Vielzahl von kleinen Verbesserungen bringen, die das schwerfällige und unhandliche Desktop-Programm benutzerfreundlicher machen. Produktstrategisch wesentlich bedeutender erscheinen indes die Veränderungen, denen Domino Rnext unterzogen wird. Denn damit versucht die IBM-Tochter, ihr Groupware-Flaggschiff für das ASP-Geschäft tauglich zu machen. Zwar startete die Company vor geraumer Zeit eine Marketing-Kampagne, die den Domino-Server als Plattform für mietbare Internet-Anwendungen bewarb. Faktisch war die Software allerdings von jeher nur für den unternehmensinternen Einsatz ausgelegt.

Hauptdefizit von Domino für den ASP-Betrieb ist nämlich seine fehlende Mandantenfähigkeit, die nun nachträglich durch das "ASP Solution Pack" aufgesattelt wurde. In Rnext will Lotus einige dieser Funktionen in das Kernprodukt übernehmen, aber die nutzungsabhängige Abrechnung einzelner Kunden setzt weiterhin das ASP-Zusatzprodukt voraus. Zu den künftigen ASP-Funktionen von Domino zählt vor allem die Virtualisierung des Verzeichnisdienstes, so dass verschiedene Anwender und Firmen verschiedene Sichten auf das Directory haben können. Jede davon präsentiert sich nach außen wie ein eigenständiges Verzeichnis. Wie bisher schon andere Anbieter regelt Lotus zukünftig die Zugriffsrechte über die Position einer Ressource oder eines Benutzers innerhalb des Verzeichnisbaumes ("Extended Access Control"). Damit und mit Hilfe von Policies sollen sich Administrationsaufgaben einfacher delegieren und Rechte nicht nur über die Access Control List (ACL) der Datenbanken festlegen lassen.

Mit dem Ausbau des ehedem als Namens- und Adressbuch bezeichneten Dienstes verfolgt Lotus generell eine neue Directory-Strategie. So erhebt die Company den Anspruch, dass das Domino-Verzeichnis zukünftig nicht nur für das Messaging-System genutzt wird, sondern auch als unternehmensweites Directory dienen kann. Dazu sollen auch eine deutlich verbesserte LDAP-Unterstützung sowie ein flexibleres Schema beitragen. Umgekehrt freilich möchten Anwender, die bereits einen solchen übergreifenden Verzeichnisdienst auf Basis von Konkurrenzprodukten eingerichtet haben, nicht mit dem Lotus-Angebot zwangsbeglückt werden. Deshalb soll in der auf Rnext folgenden Hauptversion das Domino-Verzeichnis bei Bedarf durch jedes LDAP-konforme Directory ersetzt werden können. Als Zwischenschritt dorthin zentralisiert Lotus in Rnext diesen Dienst, so dass nicht mehr das vollständige Namens- und Adressbuch auf jeden Domino-Server repliziert wird. Alle außer den Verzeichnis-Servern erhalten nur mehr eine Kopie der nötigen Konfigurationsdaten.

Auch andere geplante Features, deren Realisierung durch die ASP-Ambitionen angestoßen wurde, dürften unternehmensintern von Nutzen sein. Dazu zählen eine höhere Skalierbarkeit, verbessertes Transaktions-Logging, Cluster-Unterstützung mit automatischer Wiederherstellung nach einem Ausfall, Server-Health-Monitoring, dynamische Lastenverteilung für einzelne Datenbanken sowie schnellere Startprozeduren. Vorgesehen sind zudem Funktionen für das Content-Filtering zur Abwehr von Spam und eine bessere Integration von Antivirenprogrammen. Zudem führt Lotus neben der bisherigen Server-Konsole im Administrations-Client eine solche auf Java-Basis ein. Damit wird es möglich sein, Server-Gruppen zu definieren und Kommandos an mehrere Maschinen gleichzeitig zu schicken.

Während sich das Notes-Directory voraussichtlich erst in der übernächsten größeren Domino-Version zugunsten eines externen Verzeichnisses deaktivieren lässt, können Anwender bereits in Rnext einen anderen als den eingebauten Web-Server nutzen. Bisher war es schon unter Windows möglich, Microsofts Internet Information Server anstelle der Domino-eigenen HTTP-Task zu verwenden. Zukünftig lassen sich dafür auch jene von Apache oder Iplanet (alias Netscape) heranziehen. Außerdem geplant ist die Unterstützung von Web-based Distributed Authoring and Versioning (Web DAV), einer HTTP-Erweiterung, die die Anbindung von Microsofts Office-Paket zusätzlich erleichtert. Einer Überarbeitung unterzogen wird auch der Replikationsmechanismus, der durch Einsatz von Datenkompression und eines Streaming-Modells beschleunigt werden soll.

Die Weiterentwicklung der Notes/Domino-Plattform dient nicht nur zur Sicherung der wichtigsten Lotus-Einnahmequelle, sondern kommt auch den besonders beworbenen neuen Server-Produkten zugute. Direkter Nutznießer von Fortschritten der Notes-Plattform ist sicher "Quickplace", das zusammen mit "Sametime" die Basis für den Lotus-eigenen ASP-Dienst "Lotus Collaboration Services" bilden soll. Quickplace könnte man als konfektionierte Domino-Anwendung für Teamarbeit bezeichnen, das in der neuesten Version 2.0 auch einfache Funktionen zum Projekt-Management umfasst.

Auch wenn Neuzugänge im Lotus-Portfolio erwartungsgemäß Domino-Technologie nutzen, so zeigen sie gleichzeitig auch den Trend zu stärkerer Unabhängigkeit von der hauseigenen Plattform. Das gilt vor allem für Software, die nicht der Notes-Familie entstammt und aus Marketinggründen nachträglich mit dem Domino-Siegel versehen wurde. So fasste der Hersteller nun unterschiedliche Produkte zur Anbindung mobiler Endgeräte unter der Bezeichnung "Domino Everyplace" zusammen. Dort taucht nun beispielsweise das bisherige "IBM Mobile Connect" unter der Bezeichnung "Domino Everyplace Sync Server" auf. Es handelt sich dabei um ein Tool zur Synchronisierung von Mail, Kalender und Adressen zwischen Domino und Geräten auf Basis des Palm OS, Windows CE, Epoc und solchen, die Sync ML unterstützen. Zu dieser Server-Familie kommt unter anderem auch "Domino Everyplace Enterprise" hinzu, der als Entwicklungsplattform für Notes-Anwendungen dienen soll, die auch mobile Endgeräte einbeziehen.

IBM-Technik gelangt nicht nur über solche Umbenennungen in das Lotus-Portfolio, sondern immer stärker auch durch Neuentwicklungen wie den Discovery Server. Dieser speichert Benutzerprofile zwar in einer NSF-Datei, hinterlegt aber die Metainformationen zu ausgewerteten Dokumenten in einer DB2-Datenbank. Zudem stammen die linguistischen Technologien zur semantischen Analyse von Content aus den IBM-Labors.

Ergänzungen für die Discovery ServerObwohl Lotus das Wissens-Management durchaus als Fortsetzung von Groupware (seit einiger Zeit "Collaboration") definiert, versammeln sich unter dem KM-Schirm auch Produkte, die nicht unmittelbar zur Unterstützung von Teamarbeit konzipiert wurden. Dazu zählt beispielsweise der Metaindexer "Extended Search", der in der aktuellen Version 3.0 seine Konfigurationsdaten ebenfalls in DB2 hinterlegt. Er soll den Discovery Server ergänzen, der Inhalte ja in kategorisierter Form zusammenfasst. Die beiden Tools verhalten sich zueinander etwa so wie Yahoo zu einer Volltextsuchmaschine wie Altavista.

Insgesamt scheint die Zuordnung von Produkten zum KM-Portfolio relativ großzügig zu erfolgen. Für sich alleine verdient das Instant-Messaging-Tool "Sametime", das eben in der Version 2.0 auf den Markt kam, diesen Titel wohl kaum. Die Möglichkeit zum Chat und das gemeinsame Bearbeiten von Dokumenten ist längst zu einer Allerweltsanwendung des Internet geworden.

Raven hat endlich Form angenommenDie Zuordnung leuchtet höchstens ein, wenn man seine Rolle innerhalb des Discovery Server betrachtet, wo es der Kontaktaufnahme mit Autoren von Dokumenten oder Experten zu bestimmten Themen dient. Ähnliches gilt für die "K-Station", einen Portal-Server, der über so genannte Portlets Sichten auf diverse Datenquellen zulässt, beispielsweise auf Notes-Datenbanken, Exchange-Ordner, Websites, auf Foren des mitgelieferten Quickplace oder auch auf E-Mails und Kalander über die Integration von iNotes Web Access. In der Version 1.0 wird der Discovery Server zusammen mit der K-Station ausgeliefert, die über ein entsprechendes Portlet die Benutzer-Schnittstelle für diesen Wissens-Server liefert. Beide zusammen ergeben das "Discovery System", das Lotus ursprünglich unter dem Codenamen "Raven" angekündigt hatte.

Know-how im Unternehmen ausfindig machenIm Rahmen der Knowledge-Management-Strategie von Lotus gilt der "Discovery Server" als bisher wichtigstes Produkt. Er soll zwei Hauptaufgaben erfüllen: Die Masse von Dokumenten, die in Unternehmen anfallen, zu klassifizieren und dabei ermittelte Themen bestimmten Mitarbeitern zuzuordnen.

Derartige Informationen werden üblicherweise an diversen Speicherorten abgelegt. Deshalb umfasst der Discovery Server mehrere Crawler, die Notes-Datenbanken, Websites und Dateisysteme durchwühlen und den Inhalt aus einer Vielzahl von Dateiformaten, darunter jene von Microsoft Office oder PDF, extrahieren können. Anschließend untersucht das System die gewonnenen Daten auf ihre Bedeutung. Ehrgeiziges Ziel ist es dabei, Dokumente möglichst ohne Benutzerintervention zu kategorisieren und ähnliche Dokumente unter einem Label zusammenzufassen ("Clustering"). Das angestrebte Ergebnis ist mit jenem vergleichbar, das Internet-Verzeichnisse wie Yahoo mit Hilfe redaktioneller Arbeit erzielen. In der Praxis sieht Lotus auch beim Discovery Server menschliches Eingreifen vor, beispielsweise um Kategorien umzubenennen und so dem System Vorgaben für weitere Analysen zu machen.

In einem zweiten Schritt soll die Auswertung von Dokumenten Rückschlüsse darauf erlauben, wer sich in einem Unternehmen besonders intensiv mit bestimmten Themen beschäftigt und daher als Experte anzusehen ist. Die Software ist dafür auf Metadaten in den Dokumenten angewiesen, vor allem auf die Namen der Autoren. Deshalb gelten Notes-Datenbanken als gute Quellen, weil dort beim Anlegen eines Dokuments automatisch ein Autorfeld erzeugt wird. Office-Dokumente enthalten häufig ebenfalls solche Informationen, schlechter sind hingegen dafür die Aussichten bei Web-Seiten. Um die Aussagekraft von Benutzerprofilen zu erhöhen, sieht der Discovery Server zusätzlich das optionale Durchsuchen der E-Mails vor.

Affinitäten zwischen bestimmten Themen und Personen stellt das System außerdem fest, indem es einmal erfasste Dokumente daraufhin überwacht, von wem sie wie oft gelesen oder geändert werden. Dies funktioniert freilich nur, wenn auf sie über die Benutzer-Schnittstelle in der K-Station zugegriffen wird.