Look and feel ist nicht Copyright-faehig US-Bundesgericht weist Lotus' Ansprueche an Borland zurueck

17.03.1995

MUENCHEN (qua) - Den Borland-Mitarbeitern und -Kunden ist ein Stein vom Herzen gefallen: Das Bundes-Revisionsgericht in Boston lehnte jetzt die Copyright-Klage der Lotus Development Corp., Cambridge, Massachusetts, ab, derzufolge die Borland International Inc., Scotts Valley, Kalifornien, bei der Entwicklung ihres Spreadsheet- Programms "Quattro Pro" Eigentumsrechte an dem Lotus-Produkt "1-2-3" verletzt haette.

Eigentlich hatte das Gerichtsverfahren erst im Mai dieses Jahres wieder aufgenommen werden sollen. Ueberraschend kamen die Richter jedoch bereits Anfang Maerz zu einem Beschluss. Demzufolge laesst sich die Menuehierarchie eines Programms, sein Look and feel also, nicht urheberrechtlich schuetzen. Copyright-faehig sei lediglich der darunterliegende Code. Und hier, so die Juristen, unterscheidet sich die Borland-Software erheblich von dem Lotus-Produkt.

Mit dem jetzt ergangenen Urteil entbrennt in der Software- Industrie aufs neue der Streit darueber, welche Teile eines Softwareprodukts als geistiges Eigentum gelten sollten. Aus Lotus- Sicht ist die Menuestruktur eines Programms Ausdruck einer kreativen Entscheidung des Entwicklers, weshalb sie unter gesetzlichen Schutz gestellt werden muesse. Mit dieser Auffassung steht das Software-Unternehmen keineswegs allein. Ein US- Bezirksgericht hatte vor etwa drei Jahren dieselbe Auffassung vertreten, die es zudem ein Jahr spaeter noch einmal bekraeftigte.

Durch das Berufungsurteil ist dieser Entscheid allerdings hinfaellig geworden. Lotus koennte nun seinerseits in die Revision gehen und das hoechste Bundesgericht, den US Supreme Court, anrufen. Das Software-Unternehmen hat noch zweieinhalb Monate Zeit, um zu ueberlegen, ob es von dieser Moeglichkeit Gebrauch machen wird.

Eitel Freude auf der Borland-Seite. "Das ist ein eindeutiger Sieg fuer Kunden, Programmierer und offene Systeme", jubelt Borland- Chairman Philippe Kahn. Voellig entgegengesetzt argumentiert Dieter Giesbrecht, Geschaeftsfuehrer der Lotus Development GmbH, Muenchen: "Sollte sich diese Rechtsprechung durchsetzen, wuerde das einen Innovationsverlust fuer die gesamte Softwarebranche nach sich ziehen, den letztlich die Anwender zu tragen haetten."

Fuer Borland ging es in diesem Rechtsstreit um mehr als um Sieg oder Niederlage. Schliesslich hatte Lotus in einem separaten Verfahren Schadensersatz in der Hoehe von 100 Millionen Dollar gefordert - etwa das Doppelte der Mittel, die Borland haette fluessigmachen koennen. Analysten schaetzen den Cash-flow der Kalifornier lediglich auf 47 Millionen Dollar, auch wenn ihn der deutsche Geschaeftsfuehrer Gerhard Romen auf 60 Millionen Dollar beziffert.

Das Corpus delicti gehoert jetzt Novell

Romen aeusserte denn auch schon vor Bekanntgabe des Revisionsurteils die Ansicht, die Hoehe des Streitwerts entbehre jeder sachlichen Grundlage. Wenn Lotus ueberhaupt einen Schaden erlitten habe, dann betrage der allenfalls "einen Bruchteil" der geforderten Summe.

Borlands Spreadsheet-Division ging im Sommer vergangenen Jahres in den Besitz der Novell Inc., Provo, Utah, ueber. Eigenen Angaben zufolge entfernte Borland die umstrittenen Optionen aus dem Produkt, als das Distriktgericht sie fuer unrechtmaessig erklaert hatte.