Satellitennetze/IP-Verkehr über den Orbit abwickeln

Lösen Satelliten-Extranets die Bandbreitenprobleme?

14.08.1998

Der Traum vieler IT- und TK-Verantwortlicher: aktuelle Verkaufspräsentationen mit Video und Sound auf Knopfdruck an alle Händler verteilen, umfangreiche Preislisten bei allen Vertriebspartnern täglich aktualisieren, jede Woche das Data-Warehouse mit einem Terabyte Datenvolumen in allen Filialen synchronisieren. Die Realität sieht anders aus: Ein Datenvolumen von 500 MB wäre vier Tage im Internet unterwegs, also länger als über regulären Postversand auf einer CD-ROM. Da ist es kaum verwunderlich, daß viele IT-Chefs glänzende Augen bei Übertragungsraten von 38 Mbit/s, wie sie Satelliten-Extranets bieten, bekommen. Damit benötigen die 500 MB von der Quelle bis zum Ziel nur vier Minuten.

Technisch basiert die neue Generation der Breitband-Extranets auf dem weltweit genormten Internet-Protocol-Multicast-Standard, der auch Multimedia-Normen wie Digital Video Broadcasting (DVB) und MPEG 2 (siehe Seite 41) unterstützt. Im Unterschied zum Internet und zu herkömmlichen Intranets und Extranets arbeiten die Breitbandsysteme aber nicht mit Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, sondern mit einem Punkt-zu-Multipunkt-Verfahren. Hierbei werden alle Inhalte über das Satellitensystem in Form sogenannter Kanäle ähnlich wie beim Fernsehen abgestrahlt. Die Auswahl erfolgt durch einen Entschlüsselungscode auf der Empfangsseite. Der Rück- kanal, wie er für den E-Mail-Versand und die Anforderung individueller Web-Inhalte benötigt wird, geschieht über herkömmliche Leitungswege, beispielsweise per Modem oder ISDN. Dadurch lassen sich die Breitband-Extranets nahtlos in bestehende Intra- und Extranets sowie in das öffentliche Internet integrieren.

Im Frühjahr 1998 ging das weltweit erste Satelliten-Extranet in Europa an den Start. Es wird betrieben von der Gesellschaft European Satellite Multimedia Services (ESMS), einem Joint-venture der Société Européenne des Satellites (SES), Intel, Hughes Network Systems (HNS), P&T Luxembourg und der Deutschen Telekom. Mit einer Übertragungsgeschwindigkeit von bis zu 38 Mbit/s kann das System nicht nur Internet- und Intranet-Inhalte rund 1000mal schneller als über herkömmliche Infrastrukturen verbreiten, sondern es ist auch für Business-TV geeignet. Die Ausstrahlung erfolgt über das Astra-Satellitennetz, das ganz Europa erfaßt. Das Astra-System hat hierzu ein Channel Management Center (CMC) integriert.

Des weiteren unterhält die kuwaitische Satellitengesellschaft Zaknet ein Channel Management Center in ihrem Satellitennetz Asiasat 2. Der Ausstrahlungsbereich beider Systeme zusammen deckt ganz Europa, den Nahen und Fernen Osten sowie Australien ab. Zudem soll noch in diesem Jahr Nordamerika angeschlossen werden.

Wirtschaftlich ab zehn Niederlassungen

Satelliten-Extranets sind geeignet für Unternehmen, die regelmäßig große Informationsmengen an Niederlassungen, Vertriebspartner und Lieferanten versenden wollen und denen die heutigen Internet-Infrastrukturen dafür zu langsam sind. Multimediale Firmen- und Produktpräsentationen, Kataloge und Schulungsprogramme mit Bildern und Videoclips, technische Handbücher und Zeichnungen, Preislisten und ganze Data-Warehouses lassen sich innerhalb weniger Minuten an Hunderte oder gar Tausende von Empfängern gleichzeitig übermitteln - bei Bedarf täglich oder stündlich aktuell.

Wirtschaftlich rentabel ist ein solcher Dienst ab etwa zehn Niederlassungen, Außendienststellen und Händlerbetrieben, die ein Unternehmen auf dem laufenden halten will. Generell gilt, daß die Übertragungskosten unabhängig von der Anzahl der Adressaten konstant bleiben. Der Grund: Die Abstrahlung der Daten erfolgt etwa bei Astra europaweit. Die Auswahl geschieht auf der Empfangsseite: Nur wer den 128-Bit-Decodierungsschlüssel besitzt, kann die Informationen lesen. Unternehmen mit besonders hohen Sicherheitsanforderungen können mit digitalen Signaturen oder Chipkarten arbeiten. Die derzeit installierte Breitband-Infrastruktur unterscheidet zwischen mehr als 16 Millionen verschiedenen Empfängern. Das dürfte selbst für Unternehmen mit extensiven Vertriebspartnernetzen ausreichen.

Weil die Satellitenbetreiber - allen voran Astra - und künftig auch die terrestrischen TK-Gesellschaften öffentliche Breitband-Infrastrukturen aufbauen werden, ist der Investitionsbedarf für Unternehmen, die die Breitbandkommunikation nutzen wollen, vergleichsweise gering.

Die Firmen übermitteln die zu übertragenden Daten per ISDN- oder 2-Mbit-Leitung an einen Content-Aggregator, der sie zu Informationskanälen aufbereitet. Systemhäuser, Integratoren und Mediendienstleister, die diesen Service im Kundenauftrag durchführen wollen, benötigen hier- zu ein Channel Editorial Center (CEC). Mit der CEC-Software werden Text, Grafik, Bildmaterial, Video und Audio zu multimedialen Kanälen zusammengefügt. Auch hierbei kommen Internet-Standards wie HTML zum Einsatz, um die nahtlose Integration ins Internet, Intranet und Extranet zu erreichen. Im CEC-System läßt sich auch das Programm festlegen, also der Zeitplan, welche Informationen zu welchem Zeitpunkt ausgestrahlt werden. Die Anschaffung eines CEC kann sowohl für Content-Provider wie Verlage oder Nachrichtenagenturen als auch für zentrale Informationsabteilungen großer Unternehmen zur Aufbereitung von firmenspezifischen Inhalten sinnvoll sein.

Die Informationsabteilung des Unternehmens oder der Inhalts-Dienstleister vermitteln die aufbereiteten Info-Kanäle an ein Sendezentrum weiter, das sie nach einem festgelegten Zeitplan ausstrahlt. Hierfür stehen derzeit die Satellitendienste Astra und Asiasat 2 zur Verfügung. Künftig wollen zahlreiche TK-Gesellschaften, darunter die Deutsche Telekom und British Telecom, weitere Distributionswege über terrestrische Breitbandnetze anbieten.

Zum Empfang benötigt jede Niederlassung beziehungsweise jeder Vertriebspartner eine Satellitenschüssel mit Decoder, ähnlich wie für den Fernsehempfang via Satellit. Die Einspeisung der Daten erfolgt direkt in das lokale Computernetz der Filiale oder des Partners. Sie werden dort auf dem Server zwischengespeichert und bedarfsweise an jeden Arbeitsplatz verteilt. Die Darstellung ist auf jedem PC mit Web-Browser möglich, sofern dieser mit entsprechender Plug-in-Software ausgestattet ist.

Die Breitband-Extranets sind den herkömmlichen IP-Netzen nicht nur in punkto Geschwindigkeit, sondern auch hinsichtlich der Sicherheit überlegen. Durch die hohe Datenrate lassen sich Verschlüsselungsverfahren einsetzen, mit denen das Internet zumindest heute noch völlig überlastet wäre. So dient knapp ein Drittel aller im Breitbandnetz übertragenen Daten ausschließlich der Sicherheit. Dank 128-Bit-Codierung ist die Datensicherheit rund doppelt so hoch wie bei herkömmlichen Internet-Verschlüsselungsverfahren.

Angeklickt

Das Trendthema Internet wird nun auch ins All katapultiert. Besonders die Anbindung von Niederlassungen und Geschäftspartnern im Rahmen eines Intra- und Extranet via Satellit ist eine überlegenswerte Variante. Dabei setzten die Anbieter vor allem auf das ungelöste Bandbreiten- und Sicherheitsproblem des terrestrischen Internet, denn diese Schwierigkeiten, so die Aussage, gibt es beim Umweg über den Orbit nicht.

Günther Koch ist Geschäftsführer von The Fantastic Corporation (Deutschland) GmbH in Hamburg.