Web

Suizid-Foren im Visier

Live-Selbstmord im Web löst Diskussionen aus

28.11.2008
Der Selbstmord eines depressiven Jugendlichen vor laufender Webcam zeigt, wie dicht Horror und Hilfe im Internet beieinander liegen können.

Über seine Zweifel am Sinn des Lebens wollte Abraham Biggs mit niemandem von Angesicht zu Angesicht reden. Doch anonym, als "CandyJunkie", schrieb er sich in einem Internet-Forum den Frust von der Seele. Die Community sei "wie eine Familie", meinte er einmal. Als der depressive 19-Jährige vor einer laufenden Webcam einen tödlichen Medikamenten-Cocktail nahm, ließen ihn die virtuellen Angehörigen allerdings im Stich. Einige der mehr als 180 Selbstmord-Zeugen im Netz feuerten ihn an, andere taten gar nichts. Erst Stunden später rief jemand die Polizei. Zu spät.

Der Tod des Jugendlichen aus Florida in der vergangenen Woche erschüttert die Web-Gemeinde. Und er macht wieder einmal deutlich, wie zwiespältig die grenzenlose und oft anonyme Kommunikation im Internet für Menschen sein kann, die sich das Leben nehmen wollen und psychologische Hilfe nötig hätten. Sie stoßen auf Sensationsgier und Zynismus, aber auch Trost und Beratung - je nachdem, wo sie suchen.

Der aktuelle Fall zeigt vor allem die düsteren Seiten. Als der psychisch kranke Jugendliche im Forum der Fitness-Website BodyBuilding.com ankündigte, mit welchen Medikamenten er sich töten wolle, nahmen ihn die Moderatoren angesichts früherer Drohungen nicht mehr ernst. Ebenso wenig reagierten die Besucher des Portals Justin.tv - dort können Nutzer per Webcam live aus ihrem Leben berichten. Als Biggs regungslos auf seinem Bett lag, gaben einige noch per Chat zynische Kommentare ab. Andere hielten das ganze für einen Scherz. Unklar ist auch, warum der Portal-Betreiber die Übertragung nicht stoppte.

Der Fall des Abraham Biggs ist spektakulär, aber nicht typisch. Denn häufiger bleiben die Verzweifelten unter sich, statt ein großes Publikum zu suchen. Treffpunkt sind sogenannte Selbstmordforen: Dort stellen die Nutzer ihre Lebensgeschichten oder selbstgedichtete Lyrik online, diskutieren über Gott und Psychotherapie - oder auch über Methoden der Selbsttötung. Rund 100 derartige deutschsprachige Angebote zählt die Kontrollstelle jugendschutz.net, etliche davon mit geschlossenem Nutzerkreis. Deutlich mehr gibt es auf Englisch.