Linuxworld: Aufbruch vom Basislager

11.11.2004
Von 
Ludger Schmitz war freiberuflicher IT-Journalist in Kelheim. Er ist spezialisiert auf Open Source und neue Open-Initiativen.

Jenseits der Betriebssystem-nahen Tools und der Desktops ist es um das quelloffene Angebot ganz anders bestellt: Es gibt keine Projekte, die technisch fortgeschrittene quelloffene Anwendungen vorweisen könnten. Beispiel ERP: Nur wenige Anwender dürften die Open-Source-Produkte "SQL Ledger" oder "Compiere" kennen. Sie sind zwar die funktional umfangreichsten quelloffenen Anwendungen dieser Art, aber bei weitem nicht so ausgereift wie die großen Programme von SAP etc. und auch nicht für große Benutzerzahlen geeignet.

Die Gründe für das geringe Angebot an Server-basierenden Anwendungen erklärt Guido Stoy, Geschäftsführer der Icontec AG aus dem schweizerischen Littau: In der Regel haben diese Anwendungen relativ wenige Benutzer, und das resultiert in einer geringen Zahl von Entwicklern. Die hohe Komplexität der Programme würde größere Entwicklungsteams erfordern, als sie in Open-Source-Projekten üblich sind. Die für den Test komplexer Anwendungen erforderlichen umfangreichen Eingangsdaten (zum Beispiel über Lieferanten, Kunden und Produkte) sind nicht vorhanden. Im Falle ERP fehlt es den Entwicklern an betriebswirtschaftlichem Know-how. Und nicht zuletzt ist ERP nicht sexy; anderswo lässt sich einfacher Ruhm ernten.

Chancen und Zwänge

Aus solchen Defiziten der Open-Source-Gemeinde ergibt sich eine große Chance für Anbieter kommerzieller Produkte. Mit der zunehmenden Verbreitung von Linux eröffnet sich ein Markt für entsprechend angepasste Anwendungen. Zum anderen entsteht aber auch ein Zugzwang. Denn weil Linux derzeit vor allem Unix-Umgebungen verdrängt, könnten falsch aufgestellte Anbieter plötzlich im Regen stehen.

Der zunehmende Marktdruck ist bis in die AS/400-Welt zu spüren. Mehrere hierauf spezialisierte Softwarehäuser haben ihre Programme inzwischen auf Linux portiert. Der Vorteil dieser Strategie besteht darin, dass sich einfacher Schnittstellen zu neuen Linux-basierenden Anwendungen (beispielsweise Web-Shops) schaffen lassen. Außerdem werden es die Anwender vorziehen, nur ein System administrieren zu müssen.

"Es ist inzwischen Pflicht, Software auch Linux-fähig anbieten zu können", resümiert Kersten Bassow vom Nomina Informations-Service. Der Trend schlägt sich deutlich in Zahlen nieder. Zur Linuxworld präsentierte Nomina den zweiten "Isis Linux Report" dieses Jahres. Die aktuelle Marktübersicht verzeichnet 2170 Programme; das sind 480 oder 28 Prozent mehr als vor einem Jahr. Bei fast der Hälfte des Angebots handelt es sich um branchenübergreifende Anwendungen. Inzwischen gibt es 561 Branchenprogramme (plus 18 Prozent), 109 technische Applikationen (plus 49 Prozent) und 487 System-Tools (plus 33 Prozent).