Qualifizierung im Open-Source-Umfeld steckt in den Kinderschuhen

Linux-Zertifikat weist nur Grundkenntnisse nach

20.10.2000
Nur langsam kommen die Abstimmungsprozeduren des kanadischen Linux-Verbandes voran. Ein verbindliches Regelwerk für Prüfungen von herstellerunabhängigem Linux-Know-how gibt es nur in Teilbereichen. Erst im nächsten Jahr sollen die Unterlagen für die noch ausgesparten Themen zur Verfügung stehen. Von Andreas Beuthner*

Die Open-Source-Gemeinde hat sich längst vom Insider-Zirkel zur vielköpfigen Community mit starker Zuwanderung ausgewachsen. Das liegt weniger an der Attraktivität eines alternativen Betriebssystems als an den Schwergewichten der IT-Branche wie IBM, HP, Sun, Oracle, Dell oder Compaq, die Linux mit wachsenden Budgets unterstützen. Hinzu kommt ein anhaltender Nachfragedruck nach Linux-Professionals durch Anwenderfirmen, die mit dem offenen Betriebssystem ihre IT-Infrastruktur modernisieren wollen. Beides zusammen stärkt die Verbreitung von Linux, wirft aber auch einige Fragen auf.

"Wer eine teure Linux-Schulung absolviert und die Abschlussprüfung besteht, will auch ein anerkanntes Zertifikat in Händen halten", sagt Jana Möckel, Geschäftsführerin der Innominate Training GmbH in Hamburg. Das aber gibt es bisher noch nicht. Zwar laufen seit Jahren auf der Homepage des in Ontario, Kanada, ansässigen Linux Professional Institute (LPI) die Diskussionen um ein verbindliches Zertifizierungsprogramm, aber das Ergebnis ist mager. Das Verfahren, das bisher nur in groben Zügen vorliegt, sieht drei unterschiedliche Schwierigkeitsstufen mit jeweils zwei Prüfungen vor. Bislang können Interessierte nur die beiden Tests der ersten Schwierigkeitsstufe ablegen und damit den ersten Abschluss des Linux Professional Institute Certified (LPI C 1) erwerben.

Diesen Abschluss bieten seit kurzem weltweit fast 2000 Mitglieder der Virtual-University-Enterprises-(VUE-)IT-Test-Center zu einem Preis von 100 Dollar an.

Hinter VUE steht die National Computer Systems Inc. (NCS) aus Minneapolis mit Niederlassungen in den USA, Australien, Japan, den Niederlanden und China. Das Unternehmen versorgt Test-Center und Trainingshäuser mit ausführlichen Schulungsunterlagen und Regelwerken für die Ausbildung von IT-Professionals.

Das Problem ist meist die Übersetzung der amerikanischen Fassung in die jeweilige Landessprache. Nicht wenige Schulungs-Center in Deutschland klagen über fehlerhafte Unterlagen, zumal die Prüfungsfragen zum so genannten Linux Professional Institute Certified (LPIC) nicht einfach sind und Übersetzungsfehler das Ergebnis verwässern.

Selbst der nach den bisher festgeschriebenen LPI-Kriterien der Stufe eins zertifizierte Linux-Spezialist zählt mit diesem Zeugnis noch nicht zu den High Professionals. Ein Blick auf die Prüfungsinhalte offenbart, dass er über Grundkenntnisse verfügt, die ihn in die Lage versetzen, auf der Unix-Kommandozeile zu arbeiten oder eine Linux-Installation und Konfiguration an einer Workstation samt LAN-Anschluss und Internet-Zugang vorzunehmen. Das qualifiziert ihn zum Poweruser, schließt aber keinerlei Projekterfahrung oder Administrations-Know-how in gemischten Netzwerken mit ein.

Die für die Unternehmenspraxis wichtige Netzwerkadministration, die in dem LPI-Verfahren erst für die Abschlussprüfungen der Stufe zwei vorgesehen ist, stellt für IT-Profis hingegen das bedeutendste Thema im Enterprise Computing dar. Schließlich geht es dabei auch um die Integration Web-basierter Umgebungen in herkömmliche Hard- und Softwarestrukturen. Nicht enthalten in der Prüfungsstufe eins sind der Aufbau und die Wartung von Internet-Gateways wie Firewall, Mail- und News-Server sowie die Implemetierung von Web-Servern in Intranets oder Extranets. Damit zählen zentrale IT-Kenntnisse nicht zu den nachprüfbaren Fähigkeiten eines zertifizierten Linux-Experten.

Taten sich die LPI-Vertreter schon bei der Ausarbeitung der grundlegenden Prüfungsverfahren der Stufe eins schwer, einen international gültigen Rahmen abzustecken, befinden sich die Prüfungsverfahren für Fortgeschrittene noch in den Kinderschuhen. Für Bernhard Huber, Segment-Manager Linux beim Münchner Schulungsinstitut Ditec, liegt das mangelnde Tempo bei der Verabschiedung eines allgemein gültigen Prüfungsrahmens "im fehlenden Business-Druck." Das Linux Professional Institute ist ein von IT-Firmen getragener Verband, der ausschließlich über seine Homepage aktiv und in hohem Maße auf Unterstützung durch Internet-User angewiesen ist.

Solange ein herstellerunabhängiges Regelwerk für die Linux-Prüfung erst in Teilen vorliegt, lassen sich keine Schulungskurse mit dem Ziel eines Linux Profession Institute Certified (LPIC) aufbauen. Zwar haben Innominate, Ditec, Suse oder CDI seit diesem Jahr Kurse für Linux-Einsteiger im Angebot, die mit der Prüfung nach LPI-Kriterien gekoppelt sind, aber damit ist erst der halbe Weg zum hochqualifizierten Linux-Profi geschafft.

Einen anderen Weg beschreitet der Distributor Red Hat. Jens Ziemann, dort Trainings-Manager Central Europe, ist davon überzeugt, dass "die ewige Diskussion um ein weltweit gültiges Prüfungsverfahren nichts bringt". Die Linux-Company verfolgt seit längerem eine eigene Zertifizierungspolitik und bildet Aspiranten zum Red Hat Certified Engineer (RHCE) aus. Wer ohne Vorkenntnisse ein RHCE-Zeugnis ergattern will, muss tief in die Tasche greifen. Mancher Schulungsteilnehmer legt bis zu 15000 Mark auf den Tisch, bis er die Urkunde in Empfang nehmen darf.

Dennoch ist der Andrang auf das Firmenzertifikat laut Ziemann groß. Beispielsweise ist Red Hat im SAP-Umfeld gut vertreten. Die Walldorfer setzen bei Linux-Installationen auf Service und Support der US-Company. Das bedeutet, dass Programmierer ohne hauseigenes Zertifikat wenig Chancen haben, im Open-Source-Code von Red Hat Veränderungen vorzuehmen. Vier Tage dauert die Vorbereitungszeit für Interessenten, die sich aufgrund ihres Linux-Know-hows zutrauen, das RHCE-Prüfverfahren zu bestehen. Die Durchfallquote liegt nach Angaben von Ziemann bei 28 Prozent.

Rund 1000 Aspiranten stehen auf der Teilnehmerliste von Red Hat allein in Deutschland. Jährlich erhalten rund 600 Prüflinge das Red-Hat-Zeugnis. Die erstaunlich hohe Teilnehmerzahl erklärt Ziemann mit dem Ruf vieler Firmen nach qualifiziertem Linux-Personal. Das herstellerabhängige Zeugnis ist kein Hinderungsgrund, denn das Linux-Wissen aus den Unterlagen der Red-Hat-Distribution berührt alle maßgeblichen Bereiche wie Installation, Konfiguration, Netzwerkdienste, X-Windows und Sicherheit.

"Wir machen professionelle Tests", versichert Ziemann, "die sich nicht nur mit einem Multiple-Choice-Verfahren begnügen." Die Prüfung setzt sich aus drei Teilen zusammen, darunter einer Debug-Session, einem theoretischen Teil mit Multiple-Choice-Fragen und einem Praxistest mit zufallsgesteuerten Konfigurationsaufgaben.

*Andreas Beuthner ist freier Journalist in München.

Linux-Zertifikat:wie geht es weiter?

Bisher gibt es die herstellerunabhängige Linux-Zertifizierung nur für Einsteiger. Bis Ende dieses Jahres sollte die zweite Stufe des Zertifizierungsprogrammes vorliegen, in der ambitionierte Benutzer wie etwa Systemadministratoren ihre Kenntnisse unter Beweis stellen können. Doch mittlerweile hat das kanadische Linux Professional Institute (LPI) seine Ankündigung korrigiert. "Wir rechnen erst im ersten Halbjahr 2001 mit der zweiten Stufe der Zertifizierung", kündigte LPI-Vorstandsmitglied Tom Peters auf der Linuxworld in Frankfurt an. "Wir arbeiten alle ehrenamtlich, legen aber großen Wert auf die Qualitätskontrolle. Darum dauert alles ein bisschen länger."

Zuerst machen sich die LPI-Mitglieder in einer Umfrage schlau, welche Qualifikationen zum Beispiel Linux-Systemadministratoren mitbringen müssen. Dann legen sie die Ziele des jeweiligen Examens fest. In einem dritten Schritt wählt ein 20-köpfiges Team von Linux-Experten die Prüfungsfragen aus den eingesandten Vorschlägen aus. In einer Betaversion des Examens werden die Fragen noch einmal auf ihre Tauglichkeit abgeklopft und entschieden, wie viel Punkte pro Frage vergeben werden. Allein dieser letzte Schritt hat bei den bereits existierenden Examen zwei Monate gedauert.

Ein schwieriges Thema ist auch die Frage der Übersetzung. Bisher gibt es die Tests nur in Englisch und seit kurzem auch in Japanisch. Auch der deutsche Linux-Verband bemüht sich um eine Version in der Landessprache, nachdem er die Website des LPI schon übersetzt hat (www.lpi-de.org). Aber noch existieren einige Vorbehalte. "Durch eine Übersetzung besteht die Gefahr, dass die Inhalte der Prüfungen nicht mehr streng vertraulich bleiben", beschreibt Peters die Zurückhaltung des LPI.