Linux versus Windows 2000/Pragmatismus setzt sich durch

Linux-Unternehmen müssen ihre Business-Pläne revidieren

24.03.2000
Linux ist fast schon zu einer Selbstverständlichkeit im IT-Business geworden. Doch die hohen Sympathiewerte, die Open Source erzielt, können kaum erklären, was sich an den Börsen abspielt. Dort, warnen Marktbeobachter, herrsche zur Zeit eine wahre Hysterie. Es wird erwartet, dass sich demnächst die Spreu vom Weizen trennt. Winfried Gertz* ging der Sache nach.

Kaum hatte Bundeskanzler Schröder seine Green-Card-Idee verkündet, schon meldeten sich auch Linux-Unternehmen zu Wort. Als Lieblinge der Anleger, die große Hoffnung, in die wackeren Microsoft-Herausforderer investieren, leiden sie in besonderer Weise unter Arbeitskräftemangel. Betroffen sind vor allem junge Firmen wie zum Beispiel die Bonner ID-Pro AG (www.id-pro.de). Gerade im Open-Source-Umfeld wird Software im Internet ohne Rücksicht auf nationale Grenzen entwickelt. Doch wie so oft stellt die Bürokratie hohe Hürden auf. Vorstandssprecher Daniel Riek: "Hier in Deutschland müssen wir hochqualifizierte Mitarbeiter aus allen Teilen der Welt beschäftigen können."

Doch das Klagen hilft nicht: Nicht nur die Bonner setzen deshalb auf eine Ausbildung in den neuen IT-Berufen und geben auch Quereinsteigern eine Chance. 80 bis 100 Spezialisten für Consulting, Support und Entwicklung will der Dienstleister einstellen. Und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn dies nicht funktionierte. Denn die Linux-Firmen müssen inzwischen nicht mehr alle Hebel in Bewegung setzen, um auf sich aufmerksam zu machen. Tux, das Linux-Maskottchen, ist allgegenwärtig - so dekorierte es zuletzt viele CeBIT-Stände, große Plakate, kleine Buttons und mischte sich als Plüschtier und aufblasbares Give-away unter die Leute. Vor einem Jahr war die kostenlose Konkurrenz zu Microsoft noch spektakulär - heute ist Linux fast normal geworden.

Normalität schütze nicht vor Hysterie, warnen die Marktbeobachter. Ein Beispiel dafür ist das Unternehmen Red Hat Inc., Durham: Mit einem Aktienkurs von 257 Dollar zu Beginn des Jahres wurde das Unternehmen um das 1179-fache seiner Umsätze bewertet. Übertrüge man diese Relation auf Cisco, käme der Netzwerkspezialist auf eine Marktkapitalisierung von rund 16 Billionen Dollar. Mit dieser Summe könnte Cisco das gesamte Eigentum der USA abzüglich Grund und Boden erwerben und hätte immer noch genug Geld übrig. Obwohl Red Hat sich zusehends auf Dienstleistungen konzentriert, resultiert sein Hauptumsatzanteil aus Open-Source-Software. Das Gold steckt also in den Köpfen: Gemessen an der Marktkapitalisierung sind die etwa 150 Mitarbeiter jeweils 130 Millionen Dollar wert.

Die ungeteilte Aufmerksamkeit der Wall Street, so Matthew Nordan, Analyst bei Forrester Research in Boston, werde heute jeder Linux-Company zuteil. Doch nur wenige Firmen könnten auch mit überzeugenden Trümpfen aufwarten. "Die Linux-Hysterie wird dem Pragmatismus bald weichen", erwartet Nordan.

Ein Schritt in diese Richtung könnte die Hinwendung zum Massenpublikum sein. Red Hat oder auch die Nürnberger Suse Linux AG (www.suse.de) haben aus dem Linux-Code und Anwendungsprogrammen wie Star-Office Komplettsysteme zusammengestellt und auf CDs gebrannt, mit denen auch Anfänger arbeiten können. Kein Wunder, dass Chiphersteller Intel in beide Unternehmen investiert hat.

Auch die Eazel Inc. (www.eazel.com) will Linux als Benutzeroberfläche für Millionen von Computeranwendern etablieren. Die Trumpfkarte von Eazel sind alte Haudegen um "Software Wizard" wie Andy Hertzfeld, die Anfang der achtziger Jahre die Apple-Programme geschrieben haben. "Die Beatles kamen nie wieder zusammen, aber vier Mitglieder des originalen Apple-Macintosh-Teams haben wieder zusammen gefunden", schrieb John Markoff, der bekannte Computer-Kolumnist der New York Times.

Für den Durchbruch von Open Source an den Börsen sorgten bereits andere Unternehmen - wie etwa VA Linux Systems Inc., Sunnyvale, Calif. (www.va-linux.com). Mit ihrem Umsatz kann die Company nicht mal einen mittleren Reseller ausstechen, doch mit einem Aktienplus von 698 Prozent am ersten Börsentag erreichte sie auf einen Schlag ein Viertel des Marktwerts von Compaq.

Ein anderes Unternehmen ist der Content-Provider Andover.net, Acton, (www.andover.net). Er versteht sich auf das Management von Websites und Portalen, auf denen sich die Linux-Gemeinde trifft und verdient vor allem am Werbeumsatz. Anfang Februar wurde Andover.net von VA Linux Systems übernommen. Für Aufsehen in Europa sorgt in diesem Zusammenhang speziell "Suse". Voraussetzung für eine globale Linux-Company ist jedoch der Gang an die Börse, am besten zeitgleich an den Neuen Markt in Frankfurt und die Nasdaq in New York, wie noch in diesem Jahr zu erwarten ist. Vorstandschef Roland Dyroff weiß, dass zahllose Investoren in Erwartung einer Wiederholung des Erfolgs von Red Hat lieber heute als morgen ihr Geld in sein Unternehmen stecken würden.

"Die Suse", wie die Firma in der Linux-Szene salopp genannt wird, ist vertreten in den USA, in Großbritannien, Italien und Tschechien und erzielte im vergangenen Jahr mit über 250 Mitarbeitern einen Umsatz von etwa 46 Millionen Mark - mehr als doppelt so viel wie 1998. Nach einer Studie der Deutschen Bank ist Suse damit noch einen Tick größer als Red Hat. Zwei Drittel der Erlöse erzielten Software-Pakete, die das Linux-Betriebssystem mit zahlreichen weiteren Programmen verbinden und eine vereinfachte Installation bieten. Dyroff erwartet, dass der Umsatzanteil des Paketverkaufs sinken und der Anteil des Geschäfts mit Dienstleistungen, zuletzt zehn Prozent, erheblich steigen wird.

Für die Zukunft hat sich Suse eine Strategie zurechtgelegt, von der Business- und Privatanwender gleichermaßen profitieren sollen. Zum einen will Dyroff mit Linux ins Highend von Unix vordringen. Derzeit würden kommerziell betriebene Linux-Computer vor allem als Web-Server eingesetzt, argumentiert Dyroff. Er will sich nicht damit abfinden, dass IT-Manager bei der Auswahl von Servern in Firmennetzen einem kommerziellen Unix-System oder Windows NT/2000 den Vorzug geben.

Ein klares Konzept ist unabdingbar"Keinesfalls werden wir unsere Desktop-Kunden vernachlässigen", versichert Dyroff. Auch der Privat-PC soll bald unter Linux laufen. Die nächste Suse-Linux-Version 6.4 werde deshalb mit einem leicht verständlichen Einsteigerhandbuch ausgeliefert werden. Dass nun auch einstige PC-Softwarehersteller wie Corel (www. corel.com) auf Linux umsatteln, wirft Dyroff nicht um. "Das treibt nur die Entwicklung voran", gibt er sich gelassen.

Mit ihren Geschäftsperspektiven könnte Suse in der Tat zu einer treibenden Kraft der neuen Linux-Generation gehören. Denn Unternehmen, die sich nicht mit klarem Kompetenzprofil aus der Szene hervorheben, dürften bald schlechte Karten im Wettbewerb haben. Laut Forrester-Analyst Nordan haben dies auch Cobalt Networks, Turbo Linux und Applix verstanden. So investierte Cobalt Networks Inc., Mountain View, (www.cobalt.com) einige Jahre solider Ingenieurskunst in seine Anwendungsserver. Turbo Linux Inc., San Franzisko, (www. turbolinux.com) entwickelt einen Cluster, über den Linux-Server künftig verknüpft werden können, um groß dimensionierte Jobs abzuwickeln. Applix Inc., Westboro, (www. applix.com) schließlich offeriert eine Office Suite, die sich für jedes Internet-Terminal unter Linux eignen soll. "Dank ihres Angebotsspektrums, das nicht über Nacht kopiert werden kann, werden diese Firmen die Linux-Hysterie überleben und profitable Geschäftsfelder aufbauen", schreibt Nordan in seinem Report.

Autoradios unter Linux?Besondere Chancen eröffnen sich laut Forrester auf drei Gebieten: bei Internet-Anwendungen, Consumer-Produkten und Unix. Immer mehr Internet-Service-Provider - im Jahr 2001 laut Forrester bereits jeder dritte ISP - würden ihre Anwendungen auf Linux-Servern anbieten. Für hochvolumige Transaktionen kämen zunehmend Cluster ins Spiel. Auch für Consumer-Produkte scheint die Linux-Ära anzubrechen. Vom kostenlosen Betriebssystem, das bis zum Kernel angepasst werden kann, könnte zum Beispiel ein innovativer Videorekorder profitieren. Selbst Autoradios sind laut Forrester demnächst unter Linux zu erwarten.

Spannend soll es vor allem um Unix werden. Wie die Marktbeobachter erfahren haben, integrieren IBM, HP und Sun viele Linux-Features in neue Versionen von AIX, HP-UX und Solaris. Auf der anderen Seite seien Spezialisten von Silicon Graphics, HP und IBM damit beschäftigt, die bekannte Skalabilitätshürde von Linux abzubauen.

Forrester rechnet damit, dass schon im Jahr 2004 Linux und das proprietäre Unix so viel Gemeinsamkeiten aufweisen, dass viele Leistungsparameter auf beiden Plattformen angeboten werden können.

Wenn die Auguren Recht behalten, wird sich im LinuxUmfeld also bald die Spreu vom Weizen trennen. Eine sehr ausführliche Übersicht über Linux-Unternehmen, die bereits den Sprung an die Börse gewagt haben, kann man sich unter www. linux-investor.de näher anschauen. Neben täglich aktualisierten Nachrichten und weiterführenden Analysen der Börsenwerte wird hier auch der "Libex", der erste Linux-Business-Index, erfasst. Noch beschränkt sich der Index auf zehn ausschließlich an der New Yorker Computerbörse Nasdaq gehandelte Titel: Red Hat, VA Linux, Cobalt Networks, Corel, Andover.net, Inprise, Eon Software, Esoft, Applix und V-One.

* Winfried Gertz ist freier Journalist in München.

Abb.: Mittlerweile gibt es jede Menge Linux-Gimmicks zu kaufen.Quelle: CW