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Linux: Es braucht mehr als einen einheitlichen Kernel

09.08.2007
Auf der Linuxworld in San Francisco haben der Kernel-Maintainer Andrew Morton und der Novell-Chef Ron Hovsepian aus ganz unterschiedlichen Aspekten die Einheit der Linux-Entwicklung beschworen.

Das Damokles-Schwert der Unix-Geschichte schwebt wohl immer über Linux. Die Furcht, auch das Open-Source-Betriebssystem könnte entgegen vordergründiger Standardisierung durch proprietäre Differenzierungen im Detail seine Einheit verlieren, ist geblieben. Dieses Unix-Trauma lässt sich nicht durch Hinweise auf grundlegend andere Eigenarten quelloffener Software wegdiskutieren. Mit Regelmäßigkeit sehen sich wichtige Persönlichkeiten der Open-Source-Community veranlasst, das Thema aufzugreifen.

Auf der diesjährigen Linuxworld in San Francisco tat das soeben Andrew Morton, Chef-Maintainer des Linux-Kernels 2.6, in einer Keynote-Rede. Vor großem Publikum führte er aus, unter welchem Druck das Kernel-Team steht, Linux mit mehr Eigenschaften auszustatten und gleichzeitig Fehler zu beheben. Täglich würden beim Kernel etwa 9000 Programmierzeilen hinzugefügt oder geändert. Rund 6500 Codebeiträge habe es nur zwischen den Versionen 2.6.21 auf 2.6.22 gegeben, ein durchschnittlicher Wert bei Subreleases.

Angesichts dieser Zahlen kann man sich denken, dass unterschiedliche Codebeiträge mehr als genug Anlässe zu Meinungsverschiedenheiten bieten. Trotzdem befürchtet Morton keine Spaltung der Kernel-Entwicklung, kein "Forking": "Ich kann mir nicht vorstellen, wie das passieren sollte. Denn keine der beteiligten Organisationen schreibt mehr als einen bescheidenen Bruchteil des neuen Codes." So ist Intel laut Morton die Firma, von welcher der meiste neue Code kommt – trotzdem liegt der Intel-Anteil am Linux-Kernel bei gerade einmal vier Prozent.

Ein wesentlicher Grund der Einheit im Kernel-Team scheint auch darin zu liegen, dass es keine Roadmap oder eine ähnliche Zielvorgabe gibt, die zu dissidenten Meinungen führen könnte. Die "organisierte Planlosigkeit" verteidigte Morton: "Das bedeutet, die Kernel-Entwicklung ist reaktiv, sie bewegt sich in die Richtungen des größten Bedarfs."

Eine Spaltung scheint eher auf der Ebene über dem Betriebssystem, bei den Linux-Distributionen, Sorgen zu bereiten. Der Novell-Chef Ron Hovsepian warnte in seiner Keynote-Rede auf der Linuxworld: "Bei Unix haben wir die Anwendungen fragmentiert – und das wichtigste, was wir bei Linux brauchen, sind Applikationen." Die Spezifikationen der Linux Standards Base (LSB) seien ein guter Anfang, aber nicht gut genug. Trotz dieser Vorgaben müssten Softwarehäuser ihre Programme immer noch mit zu viel Aufwand an die verschiedenen Linux-Distributionen anpassen. Rigidere Standards seien unverzichtbar.

"Der Markt wird für die Linux-Distributionen nicht wachsen, solange die Plattform nicht konsistent ist", erklärte Hovsepian. "Es ist immer noch eine Vision, dass unabhängige Softwarehäuser ihre Applikationen ein einziges Mal zertifizieren und nahtlos auf die vielfältigen Linux-Distributionen portieren können. Das würde für die Anwendungen und die Anwender einen größeren Markt eröffnen." Linux werde Unix komplett ersetzen, aber Microsoft habe mit Windows einen Vorteil: mehr Applikationen für eine Basis.

Dass Hovsepian die Einheit beschwor, hat einen einfachen Grund: Schließlich hat der Vertrag seines Unternehmens mit Microsoft die Angst vor einer Spaltung erst richtig geschürt. Die Kritik und die Vorbehalte gegen Novell sind noch lange nicht überwunden. Hovsepian verteilte in San Francisco erst einmal Komplimente in Richtung der Kritiker. Er bedankte sich bei der Free Software Foundation und namentlich bei ihrem einstigen Rechtsberater Eben Moglen für das Engagement bei der neuen General Public License (GPLv3). Novell werde künftig seine Linux-Distributionen unter der GPLv3 herausbringen.

Das "Geschäft mit dem Teufel" verteidigte er aber. "Wir haben 20 Jahre Kämpfe mit Microsoft im Blut", brachte Hovsepian eine wenig ruhmvolle Seite der Geschichte von Novell in Erinnerung. "Aber Microsoft ist eine Realität in einer Mixed-Source-Welt. Wir beobachten eine Ausweitung dieser Mixed-Source-Welt, in der sich die Kunden auf den wahren Wert der Software konzentrieren können – und der besteht darin, wie die Programme zusammenarbeiten können." (ls)