Ernstzunehmende Server-Alternative zu Windows NT

Linux erobert Stammplätze in deutschen Unternehmen

16.12.1998
Von CW-Redakteur Alexander Deindl MÜNCHEN - Mit Linux startet eine Branche den Fluchtversuch aus der Umklammerung Microsofts. Geringe Kosten, hohe Stabilität, wenig Administration und vor allem Herstellerunabhängigkeit lauten die zentralen Argumente, mit denen deutsche DV-Abteilungen immer häufiger den Einsatz des Freeware-Betriebssystems auch in unternehmenskritischen Bereichen in Erwägung ziehen.

"Linux hat den Sprung aus einem universitären Ghetto in die Kommerzialisierung geschafft", umreißt Wilfried Platten, Unternehmenssprecher von Informix, den Status des Freeware-Betriebssystems. Galt Linux noch vor wenigen Jahren als Hacker-System für experimentierfreudige Studenten, so hat sich das Betriebssystem des Finnen Linus Torvalds nun zur ernstzunehmenden Gefahr für Microsofts Betriebssystem-Monopol gemausert. So sieht es auch Informix: Der Software-Anbieter hat seine Oldtimer-Datenbank "Informix SE" auf Linux portiert.

Entsprechend mißmutig verfolgt Microsoft die rasche Verbreitung von Linux: "Microsoft hat Angst vor Linux", schrieb die COMPUTERWOCHE noch vor wenigen Wochen - nicht ohne Grund: Nachdem die Software AG mit "Adabas D" und Corel mit der Grafikapplikation "Corel Draw" sowie die Hamburger Star Division mit "Star Office" den Reigen der kommerziellen Produkte im letzten Jahr eröffneten, verhalfen Sybase, Informix, Oracle und seit kurzem auch IBM Linux mit entsprechenden Versionen ihrer Mainstream-Datenbanken zum Durchbruch. Der Ritterschlag für die Linux-Gemeinde folgte erst vor wenigen Wochen, als Intel und Netscape gekanntgaben, sich an dem weltweit größten Linux-Distributor Red Hat Software, Triangle Park, North Carolina, zu beteiligen.

Das Interesse an Linux-Software wächst gewaltig: "Wir haben innerhalb von zwei Wochen mehr als 20000 Downloads von Oracle 8 for Linux registriert", bilanziert Erwin Mertens, Leiter Produkt-Marketing bei Oracle. Ähnlich positiv klingt die vorläufige Bilanz beim Münchner Konkurrenten Informix: Bis Ende November dieses Jahres seien nicht weniger als 4500 Abrufe von Informix SE allein in der bayerischen Filiale erfaßt worden. "Die Anwender merken, daß das Betriebssystem läuft und läuft, während Windows NT zweimal am Tag abstürzt", erklärt Informix-Mann Platten, dessen Brötchengeber demnächst zusätzlich mit einem Linux-Release der aktuellen Datenbank "Dynamic Server" auf den Markt gehen will. Rund ein Viertel der Downloads seien aus Deutschland gekommen. Gleiche Töne schlägt Michael Jordan, Pressesprecher der Düsseldorfer Sybase GmbH, an: "Linux hat derzeit rund sieben Millionen Anwender." Der Datenbankanbieter aus dem Rheinland konnte bis heute rund 2000 Pakete der Datenbank "Adaptive Server Enterprise for Linux" mit der Caldera-Distribution von Linux an den Kunden bringen. Als letzter Anbieter hat sich die IBM mit "DB2 UDB 5.2 for Linux" in die Liste der kommerziellen Datenbankhersteller für Linux eingeschrieben - unübliche Einigkeit also unter Herstellern in einem Segment, in dem für gewöhnlich wildes Hauen und Stechen um Marktanteile regiert.

Auch die Eigenschaften der diversen Linux-Datenbanken unterscheiden sich kaum: Sämtliche Versionen bieten übliche Unix-Eigenschaften wie Row-Level-Locking, dynamische Veränderung der Datenbankgröße, Unterstützung für parallele Queries sowie Backup und Restore während des laufenden Datenbankbetriebs.

Zwischen sieben und elf Prozent der Netzwerkrechner weltweit, so schätzen Marktforscher, gehören heute bereits Linux. Nach einer Prognose des Marktforschungsinstituts IDC habe sich das Wachstumstempo von 20 Prozent im vergangenen Jahr auf 50 Prozent in diesem erhöht.

Immer häufiger finden große deutsche Konzerne Gefallen am NT-Konkurrenten.

Während Linux bei Mercedes-Benz auf etwa 70 Systemen eher sporadisch in den Bereichen Forschung und PKW-Vorentwicklung eingesetzt wird, spielt das Freeware-Produkt bei der Einkaufs-, Marketing-, Vertriebs-Kooperation Büroring aus Haan schon heute eine wichtige, wenngleich keine unternehmensentscheidende Rolle: "Ich könnte mir niemals vorstellen, unsere Linux-Server gegen Windows NT auszutauschen", konstatiert Kai Ricken, Bereichsleiter DV bei der Gemeinschaft aus 387 Fachhändlern und 355 Vertragslieferanten. Das Händlerkonsortium nutzt Linux derzeit als "Web-, Name- sowie als DHCP-Server."

Ganz verzichten auf Windows 98 sowie Windows 95 will Büroring allerdings noch nicht. Die Desktop-Versionen Microsofts sowie Novells "Intranetware 4.11" sind Client-seitig im Einsatz: "Wir haben insgesamt drei Linux-Server sowie einen Unix-Server unter Sun Solaris, auf dem die betriebswirtschaftlichen Applikationen laufen." Entgegen den Hoffnungen kommerzieller Datenbankanbieter herrscht in Sachen Oracle und Co. kein Bedarf. Büroring setzt ebenso wie im Betriebssystem-Bereich auf eine Freeware-Datenbank namens "My SQL", denn "der Sourcecode ist frei verfügbar".

Zwei gute Gründe nennt Ricken, weshalb Windows NT zumindest bei Büroring keine Chancen hat: "Für 79 Mark bekomme ich ein komplettes Betriebssystem, in dem alles enthalten ist, was ich benötige." Des weiteren sei man mit Windows NT "voll und ganz auf einen Hersteller angewiesen, während bei Linux eine Gemeinde von Tausenden Entwicklern hinter mir steht, die ein eventuelles Problem binnen weniger Stunden löst", so Ricken.

Ähnlich argumentiert Jörg Schulz, Leiter PC-Programmierung/IT-Kommunikation beim Lebensmittel-Großhändler Edeka aus Offenburg. In der baden-württembergischen IT-Zentrale setzen die DV-Strategen auf Linux für die Bereiche E-Mail, Web-Proxy sowie für automatische Verarbeitungen wie File-Transfers, CD-Server und bei Dateiumwandlungen. Relativ heterogen zeigt sich die IT-Umgebung der Schwaben: Während ein Großrechner, fünf Server unter Windows NT sowie sechs Novell-Server ihre Dienste verrichten, läuft "Linux bei uns zwar im Tagesgeschäft, allerdings nicht unternehmenskritisch", so Schulz. Linux lasse sich schlichtweg leichter administrieren als Windows NT, zudem laufe es stabiler. Erfahrung konnte Schulz mit den Distributionen von Suse und Caldera sammeln. Schulz'' Resümee: "Suse ist mit der Installations-Routine YaST schneller installiert, Caldera besitzt eine bessere Netware-Anbindung." Insgesamt gehe es um 400 Anwender an drei Standorten, an denen Linux installiert ist. In der Evaluationsphase befindet sich momentan ein Projekt, Oracles Datenbank Oracle 8 auf Windows NT oder Linux einzusetzen. "Von Linux erwarte ich mehr Performance und Stabilität", so Schulz. Er faßt zusammen: "Die Installation von Linux ist einfacher als die von NT, dafür existieren im Bereich Token Ring noch ein paar Probleme. Aber ich bekomme keine kryptischen Fehlermeldungen, mit denen ich nichts anfangen kann."

Anders als bei Büroring und Edeka, bei denen Linux derzeit noch einen der hinteren DV-Plätze einnimmt, spielt das Freeware-Betriebssystem beim Automobil-Vermieter Sixt GmbH und Co. KG aus Pullach bei München in jeglicher Hinsicht eine strategisch tragende Rolle. Der Konzern nennt europaweit mittlerweile nicht weniger als 460 Linux-Server sein eigen: "Unsere Vermietstationen, die Web-Server, Knotenrechner, alles läuft unter Linux", so Horst Effenberger, DV-Leiter des "wahrscheinlich größten Linux-Anwenders weltweit".

Auf der Applikationsseite laufen selbstgeschriebene Cobol-Anwendungen unter Unix. Ebenso wie bei Büroring spielte auch bei Sixt der Faktor Kosten eine entscheidende Rolle bei der Qual der Betriebssystem-Wahl: "Es ging bei uns um Hunderte von Systemen, bei denen sich die Kosten schnell multiplizieren", läßt Effenberger die Evaluationsphase 1996 Revue passieren. "Wir waren entschlossen, ISDN zu verwenden und das Netzprotokoll TCP zu fahren. So ist unsere Lösung unglaublich günstig", vergleicht Effenberger. Als Datenbankplattform nutzt Sixt das Informix-Produkt SE,von dem "wir ein paar hundert günstige User-Lizenzen erworben haben". Neben den Kosten nennt der DV-Leiter die durch Linux gewonnene Autonomie als wichtigsten Grund: "Wir begeben uns ungern in die Abhängigkeit von Bill Gates." Es gehe schließlich nicht nur darum, Dokumente in Excel oder E-Mails zu verfassen, "das Herz des Unternehmens hängt davon ab, deshalb kommt Windows NT bei uns nicht ins Haus ". Sowohl Novells Netz-Betriebssysteme als auch Windows NT stammten "von Programmierern, die grundsätzlich keine Mehrplatz-Funktionalität kannten".

Das häufig zitierte Problem mit Linux, der fehlende Support, stellte sich bisher gar nicht: "Wir haben bislang noch keinen Support benötigt", erklärt Effenberger, der der Linux-Distribution 5.3 mit dem Kernel 2.0.35 des Fürther Anbieters Suse GmbH das Vertrauen schenkt.

Für die Zukunft plant Sixt die Einführung einer grafischen Oberfläche ê la Windows, mit der die Qualität des unternehmenseigenen Intranets verbessert werden soll. Das Linux-GUI X-Window wird demnächst auch Außenstehenden den Zugang zu diesem Netz des Unternehmens gewährleisten, erklärt der Verantwortliche. "Damit stellen wir unseren Lieferanten und Reservierungszentralen unsere Software auf der gesamten Welt zur Verfügung..

Linux - was ein Marktforscher meint

Der Trend zu Linux-Datenbanken basiert hauptsächlich auf einem Marketing-Hype. Ich glaube kaum, daß große Unternehmen auch große Linux-Projekte realisieren. Anwender setzen Datenbankhersteller mit ihren Forderungen unter Druck, die daraufhin ihre Unix-Datenbanken ohne großen Aufwand auf die Linux-Plattform portieren. Im Moment setzen die Unternehmen allerdings Linux höchstens taktisch ein. Große Konzerne sind häufig sowieso schon mit Betriebssystemen und Software in einer heterogenen Umgebung überfrachtet.

Das Open-Source-Betriebssystem bietet eine willkommene Möglichkeit, sich direkt gegen Microsoft zu positionieren. Dies gilt für den Anwender, in erster Linie allerdings für die Hersteller. Da Microsofts SQL Server 7.0 voraussichtlich mit einem sehr niedrigen Preis erscheinen wird, suchen Datenbankanbieter nach einer Möglichkeit, eine günstigere Alternative zu bieten. Anwender wiederum erhalten neue Argumente, nachdem jahrelang ein einheitliches Unix gefordert wurde.

Außerdem ist es ein Versuch, einen Fuß in die Unternehmen der Anwender zu bekommen. Die Meta Group geht nicht davon aus, daß mehr als zwei bis drei Prozent der Unternehmen in den nächsten drei Jahren Linux einsetzen werden. Zwei Dinge sind künftig wichtig, um weltweit zehn bis 15 Prozent der Unternehmenskunden zu erreichen: Ein großer Betriebssystem-Anbieter, der einen umfangreichen Support garantiert, sowie Softwarehäuser, die ihre Applikationen für Linux zur Verfügung stellen.

Das Interessante an Linux ist die Plattformunabhängigkeit. Das System läuft schließlich auf unterschiedlichen Prozessortypen. Außerdem hat der Anwender die Wahl zwischen unterschiedlichen Linux-Anbietern und ist so nicht von einem Hersteller abhängig.

Rüdiger Spies, Analyst, Meta Group