Open-Source-Software im Parlament: Ein Kompromiss mit Signalwirkung

Linux erobert Server im Deutschen Bundestag

08.03.2002
MÜNCHEN (wh) - Die Server der Bundestagsverwaltung sollen künftig fast ausschließlich unter Linux arbeiten, Client-Rechner hingegen unter Windows XP. Mit dieser Empfehlung hat die zuständige IuK-Kommission einen Kompromiss gewählt, den Gegner und Befürworter von Open-Source-Software höchst unterschiedlich bewerten.

Die Würfel für die künftige ITAusstattung des Parlaments sind gefallen. Zwar wird der Ältestenrat erst am 14. März über die Vorlage der ihm zugeordneten Kommission für den Einsatz neuer Informationstechniken und -medien (IuK-Kommission) befinden. Grundsätzliche Änderungen aber erwartet niemand mehr.

Die rund 150 Server der Bundestagsverwaltung arbeiten demnach künftig fast ausschließlich mit Open-Source-Software, das Betriebssystem auf den zirka 5000-Client-Rechnern von Abgeordneten und Verwaltungsmitarbeitern wird ab dem Jahr 2003 Windows XP heißen. Die Entscheidung war notwendig geworden, weil Microsoft den Support für das bislang verwendete Betriebssystem Windows NT 4.0 Ende 2002 einstellt.

"Weichenstellung für mehr Sicherheit und offene Standards"So kontrovers die Debatte darüber in den vergangenen Wochen und Monaten geführt wurde, so unterschiedlich fallen die Reaktionen der betroffenen Interessengruppen aus: "Diese Entscheidung ist eine Weichenstellung für mehr Sicherheit, offene Standards und freien Wettbewerb in der IT", konstatiert etwa der Linux-Verband Live. Ganz anders beurteilt Microsofts Deutschland-Chef Kurt Sibold die IT-strategischen Auswirkungen: Die Empfehlung von Windows XP und Office sei "ein klares Votum für die Benutzerfreundlichkeit und Produktivität auf dem Desktop-Client".

Als Verlierer fühle sich sein Unternehmen wegen der Server-Entscheidung nicht, erklärt Sibold. "Das würde unserer Mentalität nicht entsprechen. Es ist eher eine Herausforderung, mit unseren Services und Produkten bei anderen Projekten, auch im Bereich der öffentlichen Hand, zu zeigen, dass wir technologisch die Nase vorn haben."

Die auf den ersten Blick naheliegende Interpretation, die Kommission habe einen Kompromiss gewählt, der niemandem wehtut, mag der IuK-Vorsitzende Uwe Küster (SPD) nicht stehen lassen: "Die Entscheidung war kein Kompromiss." Vielmehr habe sie sich auf eine umfassende Bewertungsmethode der Berliner Unternehmensberatung Infora gestützt. Von fünf getesteten Varianten für die IT-Infrastruktur hätten sich zwei als betriebswirtschaftlich und technisch verantwortbar erwiesen. "Diese Argumente kann man nicht umstoßen."

Allerdings entschied sich das Küster-Gremium für ein Szenario, das in der Infora-Studie nur die zweithöchste Bewertung erreichte. Dabei werden nicht wie empfohlen lediglich E-Mail- und Groupware-Server unter Linux gefahren, sondern auch andere Schlüsselanwendungen wie Datei- und Druckdienste, Benutzeranmeldung sowie Datenhaltung und -sicherung. Microsofts Verzeichnisdienst Active Directory bleibt außen vor, stattdessen setzen die IT-Experten des Parlaments auf das Open-Source-Produkt "Open LDAP".

Der Verzeichnisdienst sei in der Diskussion die entscheidende Frage gewesen, sagt Küster. "Wir haben in dieser Frage bewusst die Infora-Studie beiseite geschoben." Mit Open LDAP sei gewährleistet, dass man sich bei zukünftigen IT-Entscheidungen frei am Markt bewegen könne und nicht auf Produkte unter einem Microsoft-Betriebssystem festgelegt sei.

Bemerkenswert ist diese Sicht auch deshalb, weil die Variante mit Open LDAP laut Studie über einen Zeitraum von fünf Jahren 400000 Euro teurer ist, wie der Kommissionsvorsitzende einräumt. Für ihn sei dies ein "hinnehmbarer Nachteil". Auch der Bundesrechnungshof habe die Entscheidung inzwischen ausdrücklich unterstützt. Die Lösung aus der Firmenabhängigkeit sei höher zu bewerten als der geringfügige finanzielle Mehraufwand.

Sibold wehrt sich gegen diese Argumentation: "Eine Abhängigkeit kann ich nicht entdecken. Sonst hätte ja auch eine alternative Empfehlung im Server-Bereich keine Chance gehabt." Die Unterstützung von Windows NT 4.0 laufe noch bis ins Jahr 2006, was Support, Security und nötige Fixes betreffe. "Da kann von Abhängigkeit oder gar Zeitdruck keine Rede sein."

Migration kostet 9,5 Millionen Euro in fünf JahrenDie gesamten Migrationskosten schlagen über einen Zeitraum von fünf Jahren mit 9,5 Millionen Euro zu Buche. Ein Großteil der Umstellungsarbeiten soll bereits Mitte 2003 abgeschlossen sein. Bis zum Spätsommer 2002 will die Küster-Kommission ein Feinkonzept vorlegen, darauf basierend folgt die Ausschreibung für Hard- und Software. Die Implementierung würde demnach in der neuen Legislaturperiode beginnen.

Hinsichtlich der Client-Rechner erhielt Windows XP in der Infora-Matrix die höchste Bewertung, eine komplette Migration auf Open-Source-Software die niedrigste. Dabei sei die sehr heterogene Ausstattung der PCs zu berücksichtigen, erläutert Küster. Die Rechner stehen nicht nur in Berlin, sondern bundesweit verteilt in insgesamt 666 Abgeordnetenbüros. Für diese Systeme macht die Bundestagsverwaltung verbindliche Vorgaben. Wegen der unterschiedlichen Anforderungen, die sich etwa durch Wahlkreis- und Ausschusstätigkeiten der Abgeordneten ergeben, sind derzeit neben den Office-Paketen rund 50 Anwendungen zugelassen.

Open-Source-Software auf Clients nicht ausgeschlossenEin künftiger Einsatz von Open Source auf den Clients ist damit aber nicht ausgeschlossen, so der SPD-Abgeordnete. In den Bundestagsfraktionen, die in Sachen IT autonom entscheiden, sind Open-Source-Anwendungen auch auf PCs schon im Einsatz. Die SPD-Fraktion etwa arbeitet bereits seit 1995 mit Linux und testet auch das quelloffene Büropaket Star Office. Auch die Fraktion der Grünen hat sich zu Open Source bekannt. Küster: "Der Wunsch nach Open-Source-Software auf den Clients lässt sich auf Dauer sicher nicht ignorieren."

Die Auswirkungen der IuK-Empfehlung auf andere Bereiche der öffentlichen Verwaltung sind derzeit schwer abzuschätzen. Küster sieht den Bundestag damit in einer "Eisbrecherfunktion." Für Jörg Tauss, Beauftragter für Neue Medien der SPD-Bundestagsfraktion, setzt damit gar eine Trendwende in der IT-Landschaft ein, "die auch ein Durchbruch für Open Source in der öffentlichen Verwaltung ist".

Ähnlich schätzen Open-Source-Unternehmen die Situation ein: "Im Hinblick auf alle folgenden Investitionen seitens der öffentlichen Verwaltungen besitzt dieser Tag eine enorme Signalwirkung", kommentiert beispielsweise Boris Nalbach, Cheftechnologe der Nürnberger Suse Linux AG, die in der Bundestagsverwaltung gemeinsam mit IBM eine Testinstallation organisierte. "Damit gehen Linux und Open-Source-Lösungen ab sofort bei allen Ausschreibungen als gleichberechtigte Alternativen ins Rennen." Andreas Kiessling, Vertriebsbeauftragter für den Bundestag bei IBM Deutschland, hofft nach dem IuK-Votum auf ein Ende der politisch und ideologisch motivierten Debatte. "Jetzt kann wieder sachlich argumentiert werden."

Dass solche Diskussionen keineswegs beendet sind, verdeutlichen indes andere Kommentare. Auch die FDP begrüße grundsätzlich den Einsatz von Open-Source-Produkten in der Verwaltung, erklärt beispielsweise der Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion in der IuK-Kommission, Hans-Joachim Otto. Deshalb habe man sich auch für den Einsatz von Linux als E-Mail- und Groupware-Server ausgesprochen. Die erklärte Absicht von Rot-Grün jedoch, künftig auch die Umstellung von Client-Systemen anzustreben, will er nicht hinnehmen: "Was wir kritisieren, sind Linux-Anwendungen, die sich über die objektiv nachprüfbaren Kriterien Bedienerfreundlichkeit, Stabilität und Kosten hinwegsetzen, um politisch erwünschte Signalwirkungen zu erreichen." Das Betriebssystem des Bundestages sei auf optimale Funktionsfähigkeit angewiesen und eigne sich nicht für "ideologische Schaukämpfe".

Sibold gibt sich diesbezüglich betont zurückhaltend: "Auch politisch oder ideologisch nachvollziehbare Überlegungen können Teil einer sachlichen Entscheidungsgrundlage sein", so der Microsoft-Manager. Allerdings komme es auf die Prioritäten an, die man ihnen einräume. "Bei einer Entscheidung (des Ältestenrats, Anm. d. Red.) im Sinne dieser Empfehlung werden unter dem Strich deutlich mehr Gelder für eine Variante ausgegeben, die nach dem Urteil der vom Bundestag selbst befragten unabhängigen Experten eindeutig nicht die technisch und wirtschaftlich sinnvollste Lösung ist." Dies sei auch von Kommissionsmitgliedern bemängelt worden.

Kritik kommt vor allem aus der OppositionAuffällig ist immerhin, dass kritische Stimmen vor allem in den Oppositionsfraktionen laut werden. In der Abstimmung der Kommission lehnte die FDP-Fraktion die Vorlage ab, bei CDU/CSU gab es zwei Enthaltungen und eine Gegenstimme. Auch die PDS enthielt sich. Die Befürworter des IuK-Votums kontern die Kritik des politischen Gegners. Bei den Oppositionsfraktionen gebe es eine "große Unsicherheit in der Entscheidungsfindung", die auf mangelndes technisches Verständnis zurückzuführen sei, verlautet aus regierungsnahen Kreisen. Die ablehnende Haltung sei auch dadurch begründet, dass FDP- und Unionsfraktionen bereits Microsofts Active Directory eingeführt hätten. Nun gebe es Befürchtungen, man habe diese Investitionen "in den Sand gesetzt".