Linux: Der Beratungsbedarf steigt

18.04.2005
Der noch junge Markt für Open-Source-Services wächst. Vor allem Linux-Consulting erbringt steigende Umsätze.

Dienstleister, die Open-Source-Projekte implementieren oder entsprechende Schulung und Beratung anbieten, fanden bislang wenig Zuspruch. Die Unternehmen, die überhaupt Linux einsetzten, haben im Laufe der Jahre viel eigenes Know-how aufgebaut. Windows-Anwender beschränken sich dabei meist auf Internet-bezogene Bereiche. Umstiegswilligere Unix-Anwender können aufgrund der Ähnlichkeit zwischen Unix und Linux häufig auch bei komplexeren Aufgaben auf eigene Ressourcen zurückgreifen.

"Die IT-Leiter, die Linux einsetzen, haben sich das entsprechende Know-how Schritt für Schritt selbst angeeignet, kleine Projekte aufgesetzt und ausprobiert", hat Carlo Velten, Analyst beim Beratungsunternehmen Techconsult, beobachtet. "Oft werden Lösungen im Trial-and-Error-Verfahren aufgebaut und - wenn sie laufen - in Betrieb genommen." Auf diese Weise versuchen nach wie vor viele Linux-Anwender, die Inanspruchnahme kostenpflichtiger Services zu vermeiden. Bis vor kurzem blieb ihnen gar nichts anderes übrig, da solche Dienstleistungen ohnehin nicht angeboten wurden.

"Bislang waren die Linux-Anwender darauf angewiesen, ihre Probleme selbst zu lösen", so Velten. "Viele Firmen sehen daher nicht ein, hohe Tagessätze für Projekte zu zahlen, an denen sich noch vor zwei Jahren niemand die Finger verbrennen wollte." Zudem entspreche es dem Prinzip der Linux-Community, Erfahrungen auszutauschen. Umfragen von Techconsult zufolge sind Newsgroups sowie Freunde und Bekannte nach wie vor die erste Anlaufstelle, wenn Anwender Probleme mit dem Linux-Betrieb haben.

Aus diesen Gründen verzeichnen die Anbieter von Lowend-Services wie der Installation und Wartung von Web-Servern, Intranets und Firewalls unter Linux nur leichte Zuwächse: "Die Zahl der kleineren Firmen, die auf Linux umsteigen wollen und nicht über das entsprechende interne Know-how verfügen, nimmt nicht mehr so stark zu wie in den letzten Jahren", hat Velten beobachtet. Zudem verschärfe sich der Wettbewerb, weil auch die IT-Systemhäuser verstärkt in das Geschäft mit einfachen Linux-Services einsteigen. Dadurch seien in diesem Segment keine sehr hohen Margen mehr zu erzielen.

Beratungsintensive Services gefragt

Insgesamt wächst der noch junge Markt für Linux-Dienstleistungen derzeit jedoch stärker als das Geschäft mit entsprechender Hard- und Software. Den Analysten von Techconsult zufolge lagen die Umsätze aus Services im Open-Source-Umfeld in Deutschland 2003 bei 42 Millionen Euro. 2007 sollen es 107 Millionen Euro sein. Für steigende Einnahmen sorgt vor allem die zunehmende Nachfrage nach beratungsintensiven Dienstleistungen. Dadurch, dass sich Linux immer stärker in Richtung Enterprise-Computing bewegt, kommt es zu umfangreicheren und komplexeren Projekten, die viele Anwender nicht mehr mit eigenen Mitarbeitern bewältigen können.

Bislang werden solche Vorhaben zwar in erster Linie von großen Anwenderunternehmen und einigen ausgewählten Mittelständlern in Angriff genommen. Da die Anforderungen mit der Größe der Projekte steigen und es gerade hier hohe Dienstleistungs- und Beratungsstandards zur wahren gilt - etwa durch Technologie-Assessments oder Machbarkeitsanalysen - wird der Bedarf an professionellen Services nach Einschätzung von Velten weiter zunehmen.

Speziell die beginnende Server-Migration kurbelt den Markt für Linux-Beratung an: "Angesichts der hohen Betriebs- und Supportkosten für heterogene Landschaften aus Unix-Servern ist die Möglichkeit, auf preiswertere Intel- oder Mainframe-Infrastrukturen umzusteigen, sehr attraktiv", so Velten. Das eigene Know-how reicht für derart anspruchsvolle Tätigkeiten meist nicht aus, und es rechnet sich nicht, interne Ressourcen für ein einmaliges Großprojekt extra aufzubauen. "Ein Unternehmen, das vier unterschiedliche Unix-Infrastrukturen mit 40 bis 50 unterschiedlichen Anwendungen im Einsatz hat, ist auf professionelle Hilfe angewiesen, um diese Landschaft auf einer geclusterte Intel-Infrastruktur umzusetzen und kostengünstig zu betreiben", ist Velten überzeugt. Gleiches gelte für die Integration von Anwendungen, die vorher auf anderen Plattformen liefen: "Unternehmenskritische Applikationen wie größere SAP-Anwendungen oder geclusterte Oracle-Datenbanken auf Linux installieren und integrieren - das können nur die Profis", so der Experte.

Linux-Dienstleister spezialisieren sich

Die Profis - das sind einerseits Anbieter, die sich auf dedizierte Services wie die Entwicklung und Implementierung eines Open-Source-basierenden Application-Servers oder eines Content-Management-Systems unter Linux spezialisiert haben. Auch Linux-Distributoren wie Red Hat verzeichnen steigende Umsätze mit spezialisierten Dienstleistungen - etwa in den Bereiche Directory- und Identity-Management.

Längerfristig erfolgreich werden nach Einschätzung von Experten vor allem Dienstleister sein, die neben Betriebssystem-Know-how auch strategische und anwendungsbezogene Kompetenzen vorweisen können. Beispiel Novell/Suse: Neben einer Abteilung, die Beratung für die eigenen Produkte anbietet, verfügt der Linux-Distributor seit geraumer Zeit über eine eigene Consulting-Division, die sich um Geschäftsanalysen, IT-Strategien und Architekturen kümmert.

Auch die großen, plattformunabhängigen IT-Dienstleister haben das Potenzial des Geschäfts mit Linux-Beratung erkannt. Siemens Business Services (SBS) hat bereits einige Projekte im öffentlichen Bereich erfolgreich realisiert. Nach Einschätzung von Techconsult-Analyst Velten verfolgen die Münchner dabei einen stark beratungsgetriebenen Ansatz, während die Technikkompetenz mehr bei der Schwesterfirma Fujitsu-Siemens liegt.

Vor allem aber IBM Global Services und Hewlett-Packard (HP) weisen mittlerweile ein umfassendes Serviceportfolio von der Entwicklung, Integration und Verwaltung Linux-basierender IT-Infrastrukturen über Migratons- und Portierungsservices bis hin zur Ausführung kompletter Linux-Migrationen auf. Ihr Vorteil: Dank der Historie als Hardwarehersteller konnten sie sich schon frühzeitig ein Standbein im Linux-Markt aufbauen.

Da Linux zunächst vor allem auf der Server-Seite eingesetzt wurde, ging es lange Zeit hauptsächlich um hardwarenahe Serviceaufgaben wie die Installation und den Betrieb von Web-Servern, Firewalls und einfachen Datenbanken auf alten Intel-Servern. Mit diesen Erfahrungen haben die Hersteller nach Ansicht von Velten gute Voraussetzungen, um fundierte Strategie- und Prozessberatung im Linux-Umfeld anzubieten.

Auch die großen Beratungshäuser haben das Thema Open Source auf dem Schirm. Neben taktischen Fragestellungen (Linux ja oder nein? Wo lohnt der Einsatz ?) bieten sie systemnahe Consulting-Leistungen im Rahmen von umfangreichen IT-Strategie- und Integrationsprojekten an. So setzt Bearingpoint in der Softwareentwicklung zunehmend Open-Source-Produkte ein und betreibt Implementierungen und Reviews von Softwarearchitekturen auf Linux-Basis.

Potenzial für Beratungshäuser

Laut Jörg Wegner, Managing Director bei Bearingpoint, soll dieses Geschäftsfeld weiter ausgebaut werden, da der Bedarf zunehme: "Vor allem Projekte, in denen die Standardisierung eine wichtige Rolle spielt - etwa die Integration von Applikationen in den Bereichen Business-Process-Management und Service-oriented Architecture - lassen sich durch die Einbettung in das Open-Source-Umfeld leicht und schnell umsetzen." Bearingpoint sei hier dank dem fundierten Branchen-Know-how seiner Mitarbeiter, speziell im öffentlichen Sektor, gut aufgestellt. Bei Accenture gilt Open Source ebenfalls als Option, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. "Linux wird weiter wachsen und Unix in immer mehr Bereichen verdrängen", prognostiziert Harald Lieder, Partner bei Accenture. "Dadurch werden Anbieter von systemnahen Consulting-Leistungen verstärkt Zulauf bekommen."

Vorsprung durch HP und IBM

Ob die Beratungshäuser den Vorsprung der großen IT-Dienstleister im Linux-Consulting-Markt aufholen können, muss sich noch zeigen. "Angesichts des langjährigen Linux-Engagements von IBM waren die entsprechenden Serviceleistungen - erst der Support, dann das Migrationsthema, dann die Beratung - eine logische Konsequenz", so Oliver Mark, Technical Leader Linux Services bei IBM. Diesen Sogeffekt hätten die klassischen Beratungsunternehmen nicht so stark erlebt.

"Da Linux lange Zeit nicht als strategische Plattform anerkannt war, hat es sich für die Consultants bislang nicht gelohnt, hier große Kapazitäten aufzubauen", bestätigt Velten. "IBM und HP genießen dadurch einen klaren Vertrauensvorschuss." Auch in Sachen Kompetenz herrsche noch Nachholbedarf - etwa bei größeren Desktop-Migrationen: "Die Zahl der Anwender, die mehrere hundert PCs auf Linux umgestellt haben, ist nach wie vor klein. Dementsprechend gering ist die Erfahrung der Dienstleister mit solchen Projekten."

Für die Beratungshäuser sei es daher wichtig, sich auf größere IT-Strategie-Projekte mit Open-Source-Bestandteilen zu konzentrieren. Entscheidend ist auch, Linux selbst zu betreiben und dadurch entsprechende Erfahrungen aufzubauen, meint Peter Flath, Senior Manager und Partner bei Mummert Consulting: "Beratungsunternehmen, die das Thema nicht so konsequent verfolgen, tun sich schwerer, entsprechende Leistungen anzubieten."

Angesichts der immer umfangreicheren Projekte ist das Potenzial, das im Geschäft mit Open-Source-Beratung steckt, unumstritten. Doch der Kuchen ist schon weitgehend verteilt. "Wer jetzt den Markteintritt plant, ohne bereits erste Projekte realisiert zu haben, wird es schwer haben", so Velten. "Denn es haben sich bereits klare Anbieterprofile herauskristallisiert." Die CIOs seien gut über Linux informiert und damit in der Lage, kompetente Partner auszuwählen. "Anbieter, die sich erst vor einem halben Jahr für die Linux-Beratung entschieden haben, kommen vermutlich zu spät."