Lässt Microsoft den Terminal Server sterben?

Linux bringt Thin-Client-Modell keine Vorteile

26.01.2001

"Die Vorteile von Linux liegen auf der Hand", gibt sich Heiko Gloge, General Manager des Thin-Client-Herstellers C. Melchers, überzeugt. Das Open-Source-System sei wesentlich flexibler, wenn es darum geht, zusätzliche Funktionen zu integrieren. Als Beispiel nennt er die Anbindung von Peripheriegeräten oder weiterer Netze wie beispielsweise Wireless LAN. Hier könne man im Linux-Umfeld auf eine weltweite Entwicklergemeinde zurückgreifen, die an entsprechenden Treibern arbeitet. "Man ist nicht von einer Company abhängig, die sagt: Das interessiert uns momentan nicht."

Windows-basierte Thin-Client-Umgebungen beherrschen momentan jedoch mit einem Anteil von etwa 70 Prozent den Markt. Hier laufen die Client-Rechner meist unter Windows CE und greifen entweder über das Microsoft-eigene Remote Desktop Protocol (RDP) oder das Independent-Computing-Architecture- (ICA-)Protokoll von Citrix auf die Server zu.

Während sich RDP auf reine Windows-Architekturen beschränkt, verfolgt Citrix mit seinem Protokoll eine plattformunabhängigere Strategie. So unterstützen ICA-Clients auch Terminalprotokolle wie IBM 3270 (Mainframe) und IBM 5250 (AS/400) sowie Protokolle aus der Unix-Welt wie die X.11-, Ascii-, Ansi- oder VT-Terminalemulationen.

Beim Linux-basierten Modell arbeitet eine spezielle Linux-Version im Flash-Speicher des Thin Client. Im Betriebssystem sind speziell an Linux angepasste Protokollmodule integriert, zum Beispiel ICA oder Terminalemulationen wie 3270, 5250 oder X.11. Der Zugriff auf die Server funktioniert über TCP/IP-Verbindungen. Mit ICA können Anwender außerdem von ihrem Linux-Thin-Client über Citrix? "Metaframe" und Microsofts "Terminal Server" auf Windows-Applikationen zugreifen. Andere Plattformen wie Mainframe- oder Unix-Rechner können direkt angesprochen werden. Dies sei ein Vorteil gegenüber den Windows-Geräten, die via RDP oder ICA den Umweg über den NT-Server nehmen müssen, erklärt Gloge. Bricht diese eine Verbindung im Windows-Umfeld zusammen, bleiben die Bildschirme schwarz.

Vom Kostenaspekt her sieht Gloge die Linux-Geräte im Vorteil. Während die Windows-basierten Clients für Preise zwischen 900 und 2300 Mark zu haben sind, kosteten die Linux-Geräte zwischen 900 und 1300 Mark. Damit sei die Schmerzgrenze für einen Thin Client erreicht, räumt der Manager ein. Bei teureren Geräten könne man es den Anwendern nicht verübeln, wenn sie lieber zu einem PC greifen.

Zu den Kosten auf der Client-Seite kommen allerdings noch die für die Konfiguration der Server. "Oftmals ist da Citrix der Projektkiller", schimpft Gloge. Bei kleineren Installationen zwischen zehn und 20 Arbeitsplätzen würden die Lizenzen für Metaframe auf dem Server noch einmal so viel kosten wie alle Clients.

Der Server-Aspekt scheint sich als die Achillesferse des Linux-basierten Thin-Client-Modells herauszukristallisieren. Denn eine vergleichbare Middleware wie Citrix? Metaframe, die den Datenverkehr zwischen Server und Client regelt, hat die Open-Source-Gemeinde bislang nicht zu bieten. Außerdem fehlen Linux-Anwendungen mit Standardstatus, wie ihn die Office-Applikationen von Microsoft genießen.

Wollen Anwender Microsoft-Anwendungen in einer Thin-Client-Architektur nutzen, führt kein Weg an Microsofts Terminal Server beziehungsweise Citrix? Metaframe vorbei. Dementsprechend werden Lizenzgebühren fällig. Mussten die Anwender mit Windows NT den Terminal Server separat kaufen und implementieren, integriert Microsoft die Thin-Client-Unterstützung in seinem jüngsten Betriebssystem Windows 2000 standardmäßig.

Damit hat die Gates-Company den Druck auf Citrix erhöht. Eileen O?Brien, Direktorin des Thin-Client-Programms bei der International Data Corp. (IDC), glaubt, dass der Thin-Client-Markt deutlich angekurbelt werden könnte, wenn Windows 2000 erst richtig in die Gänge kommt.

Die Verantwortlichen bei Citrix haben auf die Microsoft-Initiative reagiert und bemühen sich um neue Märkte. So bietet das Unternehmen seit kurzer Zeit Metaframe-Versionen für die Unix-Betriebssysteme Solaris von Sun, HP-UX von Hewlett-Packard und IBMs AIX an. Laut einer Sprecherin reagiert Citrix damit auf die Ansprüche großer Unternehmen mit heterogenen IT-Landschaften. Das Open-Source-System Linux spiele dagegen bislang in den Überlegungen der Citrix-Strategen noch keine Rolle. Linux habe noch nicht die geschäftskritische Masse erreicht, ab der es Sinn gebe, Geld in die Entwicklung zu investieren.

Insider bezweifeln jedoch, ob Citrix mit seiner Unix-Strategie Erfolg haben wird. So seien die Unix-Systeme von Haus aus Multiuser-fahig und verfügten mit X.11 bereits über ein integriertes Client-Protokoll. Außerdem gebe es in der Unix-Welt bereits seit längerem ausgefeilte System-Management-Tools, die Aufgaben wie Load Balancing oder Softwareverteilung regeln.

Die Citrix-Vertreter hoffen dagegen, mit den neuen Metaframe-Versionen eine Bresche in den Unix-Markt schlagen zu können. Vorteil von ICA gegenüber dem Unix-Protokoll X.11 sei vor allem der geringere Bandbreitenbedarf. So ließen sich Unix-Anwendungen auch über das Internet verteilen. Mit dieser Möglichkeit adressiert Citrix vor allem Application-Service-Provider (ASPs).

Die Anwender kümmern sich momentan recht wenig um die Marktprobleme der Anbieter. Sie kämpfen mit Problemen ihrer Thin-Client-Installationen sowohl im Windows- wie im Metaframe-Umfeld. So warnte Mitte letzten Jahres Frank Walther, Inhaber der Firma Synapse Networks, vor Stolpersteinen bei einer Thin-Client-Implementierung mit dem Terminal Server oder Metaframe (siehe CW 22/00, Seite 17). Nach seiner Einschätzung könnten falsch eingestellte TCP/IP-Treiber ganze Thin-Client-Netze unter riesigen Datenmengen zusammenbrechen lassen.

Ein weiteres altbekanntes Problem des Terminal Servers ist die Administration der Zugriffsrechte, klagt Dietmar Schröter, Systemadministrator bei den Dresdener Stadtwerken. So ließen sich nur ganze Clients sperren oder freischalten. Geht es um einzelne Anwendungen oder Verzeichnisse, müssten die Administratoren an den Feineinstellungen jedes einzelnen Geräts drehen. Eine zentrale Verwaltung auf dieser Ebene sei nicht möglich.

Von Linux für Thin Clints hält Schröter bislang wenig. Im Server-Umfeld setze man das Open-Source-System bereits an vielen Stellen ein, auf der Client-Seite stünden jedoch stabile X-Terminals, auf denen Unix-Applikationen und NT-Sessions visualiert werden. Die Konzeptlosigkeit der Windows-Welt greife allmählich auch auf die Linux-Gemeinde über, fürchtet der Administrator. Einzelne Modifikationen und schnelle Anpassungen verurteilt Schröter als "tödlich" für die kommerzielle Datenhaltung: "Das kann man zu Hause in seiner Bastelbude machen, aber nicht in einer unternehmenskritischen Umgebung."

Was Windows 2000 betrifft, gibt sich der Dresdner DV-Administrator zurückhaltend. Man habe das System zwar in Testumgebungen ausprobiert, die alten Probleme seien aber immer noch nicht behoben. Der Terminal-Server werde von Microsoft nach wie vor als Stiefkind behandelt. Diese Ansicht teilt Nikolay Taschkow, Begründer der Thin-Client-User-Group Icarus. So seien in den bislang verfügbaren Betaversionen des neuen Microsoft-Betriebssystems "Whistler" die Terminal Services nicht mehr auffindbar. Es habe den Anschein, Microsoft würde die Unterstützung von Thin-Client-Umgebungen ganz unter den Tisch fallen lassen. Microsoft Deutschland wollte diese Vermutung bislang nicht kommentieren.

Mit dem möglichen Rückzug Microsofts sieht Taschkow die Chancen von Linux wachsen. Die Anwender sehnten sich nach einem schlanken Betriebssystem für die Geräte. Oft seien alte Thin-Client-Systeme nicht in der Lage, mit den neuesten Produkten von Microsoft und Citrix umzugehen, weil diese nicht in den Arbeitsspeicher der Rechner passten. Platz für Hardware-Upgrades sei dagegen meist nicht vorgesehen. Damit steckten die Anwender in der klassischen PC-Falle: Neue Applikationen erfordern stärkere Rechenleistung. Folglich müssen Upgrades oder neue Systeme her.

Die meisten Hersteller stehen der Frage, ob Windows oder Linux auf den Clients laufen soll, emotionslos gegenüber. Herbert Wenk, Sprecher bei PC-Hersteller Compaq, der sowohl Windows- wie Linux-basierende Thin-Clients anbietet, sieht momentan Windows noch eindeutig in Führung. Allerdings sei man mit Linux-Systemen auf Anfragen aus dem Open-Source-Umfeld vorbereitet. Die Kostenunterschiede zwischen Thin-Client-Geräten beider Welten bezeichnet Wenk als nicht relevant.

Das Thin-Client-Geschäft beschreibt der Compaq-Sprecher als Nischenmarkt. Windows 2000, das viele Analysten als Chance für das Server-basierte Computing-Modell einschätzen, sieht Wenk eher als zweischneidiges Schwert für den Thin-Client-Markt. Zwar seien dort die Terminal Services integriert. Damit lasse sich jedoch genauso gut eine PC-Architektur verwalten. Die herkömmlichen Desktop-Rechner werden seiner Einschätzung nach das Standardinstrument für die Datenverarbeitung am Arbeitsplatz bleiben. Thin Clients machten dagegen nur in bestimmten Umgebungen mit dedizierten Spezialaufgaben Sinn.

Thomas Reuner, Analyst der European Personal Computer Group bei Gartner, teilt diese Sicht. Den größten Teil des Marktes bestimme das Projektgeschäft. Er glaubt nicht, dass Linux dem Thin-Client-Markt entscheidende Impulse geben kann. Hier komme es darauf an, ob der jeweils Verantwortliche für das Projekt offen für Linux ist. Das System an sich wird das Thin-Client-Computing nicht entscheidend voranbringen, prognostiziert Reuner.

Probleme bei der Akzeptanz des Thin-Client-Modells muss auch Melchers-Manager Gloge zugeben. Seiner Einschätzung nach argumentieren die Befürworter oft ungeschickt. Mit dem Schlagwort Total Cost of Ownership (TCO) um sich zu werfen, reiche nicht. Vielmehr müsse man die Verantwortlichen mit konkreten Rechenmodellen von den Vorteilen überzeugen. Die Installationen in der Praxis seien zu unterschiedlich, als dass sie sich mit theoretischen TCO-Begrifflichkeiten beschreiben ließen.

Allerdings reicht diese Argumentation offenbar nicht aus. Das Thin-Client-Modell kommt nach wie vor nicht in Schwung. Vor diesem Hintergrund müssen sich die Anbieter von Linux-basierten Thin Clients auch die Frage gefallen lassen, ob sie die Open-Source-Euphorie nicht überstrapazieren und den Linux-Hype nur für ihr eigenes Geschäft ausnützen wollen. Denn auf der Server-Seite kann das Open-Source-System das Thin-Client-Modell bislang nicht entscheidend stützen. Ein Linux-basierter Client allein kann die Probleme auf der Server-Seite nicht lösen.

PC als Thin Client

Laut Definition der Gartner Group bestimmt die Architektur und nicht der Gerätetyp das Thin-Client-Konzept. Zentraler Angelpunkt des Modells ist das Server-basierte Computing. Die Applikationen laufen zentral auf einem Server. Nur die grafischen Daten werden auf den Client übermittelt. Im Gegensatz zu den "dummen" NCs kann ein Teil der Logik auf dem Thin Client residieren. Dazu gehören spezielle Betriebssystem-Varianten, Browser oder eine Java Virtual Machine (JVM).

Thin-Client-Applikationen erfordern keinen Thin Client. Die Wahl des Endgeräts bleibt den Anwendern überlassen. Nach Einschätzung der Gartner-Analysten wird in Zukunft das typische Thin-Client-Gerät ein Fat Client, nämlich ein PC, sein, der auf Thin-Client-Applikationen zugreift. 2004 werden 85 Prozent aller Thin-Client-Desktops PCs sein, nur 15 Prozent dedizierte Thin-Client-Devices.

Thin-Client-Markt weltweit

Der Thin-Client-Markt wächst stetig. Auch bis 2005 sollen jedes Jahr durchschnittlich 66 Prozent mehr Geräte abgesetzt werden als im Vorjahr. Allerdings sind sich die Analysten, was die Zahlen betrifft, nicht einig. So verfehlte der Markt laut Zona Research im letzten Jahr mit 920000 verkauften Thin Clients deutlich die Millionengrenze. Die Analysten von IDC hatten bereits für 1999 vorausgesagt, dass der Absatz deutlich über eine Million Geräte wachsen werde. Im Vergleich zum PC-Markt spielt das Thin-Client-Geschäft nur eine winzige Nebenrolle. So wurden laut IDC 1999 weltweit 113 Millionen PCs und 20 Millionen Notebooks verkauft. Quelle: IDC