Zweite ostdeutsche IT-Company am Neuen Markt

Lintec Computer will feste Größe im PC-Markt werden

11.09.1998

Die Geschichte der Lintec Computer AG liest sich so, wie es viele Politiker, die im derzeitigen Wahlkampf der vermeintlich neuen Gründerwelle das Wort reden, gerne hätten. Aus dem ehemaligen "Garagenbetrieb" in Taucha bei Leipzig wurde ein - zumindest in den neuen Bundesländern - regional bedeutendes Unternehmen mit mehr als 300 Mitarbeitern und einem Umsatz von über 100 Millionen Mark (siehe Kasten "Als Ein-Mann-Betrieb gegründet ...", Seite 42). Doch Firmengründer und Vorstandschef Hans-Dieter Lindemeyer will längst mehr: Das Unternehmen soll sein bisheriges Hauptbetätigungsfeld in Ostdeutschland sowie Osteuropa auch auf die alten Bundesländer ausdehnen und mittelfristig eine schlagkräftige Softwaredivision aufbauen.

Um diese ehrgeizigen Wachstumsziele zu realisieren, wagte der Lintec-Chef am Montag dieser Woche das Going Public am Neuen Markt. 480000 nennwertlose Stückaktien, von denen 400000 aus einer Kapitalerhöhung von sechs auf acht Millionen Mark stammen, gingen in den Handel. Die restlichen Anteilsscheine steuern die Altaktionäre (Lindemeyer und zwei weitere Vorstandsmitglieder) bei, die nach dem Börsengang noch knapp 70 Prozent am Unternehmen halten. Deutlich mehr als 30 Millionen Mark frisches Kapital soll nach den Plänen des Lintec-Managements der Börsengang in die Kasse des Unternehmens bringen.

Primäres Ziel ist es, wie Vertriebsleiter Uwe Werner gegenüber der CW erläuterte, das primär in Ostdeutschland erfolgreiche Modell des sogenannten "Face-to-Face"-Geschäfts weitgehend auch auf die alten Bundesländer zu übertragen. Konkret bedeute dies, durch entsprechende lokale Präsenz den Fachhandel zu unterstützen. "Unser Motto war und ist es, die regionalen Vertriebspartner stark zu machen", beschreibt der Lintec-Manager die Geschäftsphilosophie des Unternehmens. Ähnlich wie PC-Direktvertreiber Dell arbeiten die Ostdeutschen dabei nach dem Build-to-Order-Prinzip, also Einkauf von PC-Standardkomponenten am freien Markt, schnelle und flexible Fertigung nach individuellen Kundenwünschen. Produziert wird in den jeweiligen Niederlassungen, was, so Werner, "eine entsprechende Marktnähe und geringe Lagerhaltung" ermöglicht.

Daß die Leipziger mit dieser Strategie bisher erfolgreich wachsen konnten, dokumentiert die Entwicklung des Unternehmens. Deutschlandweit vertreiben fast 5000 Fachhändler Rechner mit dem Label "Lintec"; das eigene Filialnetz besteht inzwischen aus sechs deutschen Niederlassungen (Cottbus, Dresden, Chemnitz, Halle, Arnstadt, Nürnberg) sowie sechs Dependancen in Osteuropa (Weißrußland, Rußland, Lettland, Tschechien). Entsprechend kletterten die Einnahmem der erst seit Ende Juni als Lintec Computer AG firmierenden früheren Soft- und Hardware Dieter Lindemeyer GmbH (SHL). Im Geschäftsjahr 1997 wiesen die Leipziger bereits einen Umsatz von knapp 120 Millionen Mark aus, dieses Jahr werden mindestens 150 Millionen Mark angepeilt.

Lintec-Modelle wie "Brilliance S-Class" oder "Brilliance-W-Class" galten und gelten bei ostdeutschen Anwendern zum Teil als Kult-PCs, was Vertriebschef Werner indes gar nicht gerne hört. Lintec adressiere vor allem "den professionellen Bereich", man habe allerdings nichts gegen eine "vergleichbare Akzeptanz" im Consumer-Markt. Allerdings wolle man bei der weiteren Auswahl von Vertriebspartnern schon dafür Sorge tragen, daß man nachher das eigene Equipment "nicht im Schaufenster neben HiFi-Anlagen" wiederfinde.

In jedem Fall wollen die Ostdeutschen nun aber auch in den alten Bundesländern ordentlich Gas geben. Der seit Anfang Juli existierenden Niederlassung in Nürnberg soll demnächst ein weiterer Lintec-Standort in Frankfurt am Main folgen. Daß mit dem früheren Vobis-Gründer und -Chef Theo Lieven sowie dem ehemaligen Gründer von Computer 2000, Jochen Tschunke, inzwischen zwei ausgewiesene Kenner der PC-Szene als Mitglieder des Aufsichtsrates an Bord sind, kann der Expansion nur zuträglich sein. Rund ein Prozent schätzt Vertriebsleiter Werner derzeit den Anteil seines Unternehmens am gesamtdeutschen PC-Markt; bis 2000 sollen es zwei bis drei Prozent sein. Überdies will Firmenchef Lindemeyer verstärkt in die Entwicklung von PC-Software einsteigen. Die dazu notwendigen Programmierer hat er dem Vernehmen nach bereits gefunden - in Weißrußland, wo die Leipziger nach eigener Einschätzung längst eine feste Größe sind.

Last, but not least, will man aber auch das zweite wichtige Standbein nicht aus den Augen verlieren. Derzeit generiert Lintec immerhin noch 60 Prozent seines Umsatzes durch den Handel mit Computerperipherie (CD-ROM-Laufwerke, Drucker, ISDN-Adapter, Modems etc.). Dieser Anteil soll, so hat es der Lintec-Chef im Zuge des Börsengangs angekündigt, schon im kommenden Geschäftsjahr auf 50 Prozent sinken. Das Unternehmen, hieß es zudem, sei erwachsen geworden und ziehe dieser Tage endlich an einen adequaten Ort um. Mit der Fertigstellung der neuen Europa-Zentrale am Hauptsitz Taucha verfüge man auch über entsprechende Produktionskapazitäten. 300 Mitarbeiter könnten dort täglich 600 PCs fertigen.

Als Ein-Mann-Betrieb gegründet ...

Es war zwar nicht die Garage, sondern die Hausbar, in der alles anfing - aber sonst hat die Geschichte von Lindemeyers Lintec Computer AG alle Attribute eines modernen Existenzgründermärchens. Im März 1990 startet der heute 44jährige Mathematiker zusammen mit zunächst drei Mitstreitern unter dem Firmennamen Soft- & Hardware Dieter Lindemeyer GmbH (SHL) mit dem Handel von Computern und Software. Bereits wenige Monate später sattelt das Quartett auf die Fertigung individuell konfigurierter PCs Marke Eigenbau um. Das Logo "SHL Lintec" hatte man sich schon vorab rechtlich schützen lassen; "montiert" wird in besagter Hausbar in Lindemeyers Zweifamilienhaus, später auch in den Schlafzimmern weiterer Mitarbeiter. Am Ende des ersten Rumpfgeschäftsjahres hatte Lindemeyer bereits 1,7 Millionen Mark umgesetzt. In den Jahren danach kletterten Umsätze und Mitarbeiterzahl kontinuierlich.