Unternehmensspezifische Anwendungsprogrammierung für die Produktionsplanung und -steuerung

Lieber eine Eigenentwicklung als eine vergewaltigte Standardlösung

05.09.1980

Die seit wenigen Jahren zu beobachtende stürmische Entwicklung in Richtung Online-Mehrbenutzer-Bildschirmverarbeitung hat den Anwendern speziell auf dem Gebiet der Produktionsplanung und -steuerung vielfältige neue Möglichkeiten eröffnet. Erfahrungen aus der Praxis zeigen jedoch, daß die zielführende Nutzung dieses neuen Potentials eine Vielzahl von Anwendern vor erhebliche Probleme stellt. Zur Lösung dieser Probleme ist es zweckmäßig, sich die grundsätzlichen Probleme aus der Batch-Ära zu verdeutlichen.

Nach anfänglichen Ansätzen zu einer integrierten Datenverarbeitung (zum Beispiel IMS/IBM) ging die Entwicklung eindeutig in Richtung Insellösungen für jeweils isolierbare Problemstellungen. Diese Entwicklung erfolgte nicht zuletzt unter dem Aspekt einer vergleichsweise schnellen Realisierbarkeit derartiger Insellösungen.

Insellösungen machten das Gesamtsystem unübersichtlich

Die Erfahrung hat gezeigt, daß diese Vorgehensweise in den Unternehmen meist sehr schnell zu einer Ansammlung diverser Dateien verschiedenster Organisationsformen geführt hat, wobei die Homogenität einer intergrierten Gesamtlösung fehlte. Dies führt dann zwangsläufig dazu, daß Daten und sogar Dateien mehrfach gespeichert und vor allem mehrfach gepflegt werden müssen. Ist eine Integration zwischen den Inseln zwingend erforderlich, so kann sie nur durch aufwendige Übertragungsprogramme erreicht werden. Dadurch wiederum wird ein Gesamtsystem unübersichtlich, schwerfällig und im Rechenzentrum schwierig zu handhaben.

Weiterhin ist es bei Insellösungen sehr schwer, mehrfach gespeicherte Daten auf dem neuesten Stand zu halten. Ferner ist es nicht möglich, eingegebene Daten auf ihre logische Richtigkeit zu überprüfen, sofern sie im Zusammenhang mit Daten anderer Inseln geprüft werden müßten. Letzteres führt zu Fehlerprotokollen in den Verarbeitungsprogrammen der anderen Inseln, und somit zur Verzögerung der Verarbeitung.

Die Möglichkeiten der Realtime-Verarbeitung sind bei Insellösungen stark begrenzt, da das sofortige Aktualisieren der Daten (updating) immer dann nicht möglich ist, wenn die im vorigen erwähnten Plausibilitätsprüfungen erforderlich sind. In solchen Fällen erfolgt dann die Verarbeitung im Batch-Betrieb. Das ergibt selbst beim Einsatz von Bildschirmgeräten im günstigsten Falle eine Tagesaktualität (pool-Betrieb). Da jedoch meist nicht alle Verarbeitungsprogramme täglich laufen können, wird hierdurch die Aktualität und Transparenz der Daten weiter eingeschränkt.

Aktualität und Transparenz bedeuten für den Anwender, die jeweils er förderlichen neuesten Daten so schnell wie nötig erhalten zu können. Diese Transparenz ist insbesondere bei dispositiven Anwendungen nur mit Hilfe von im Echtzeit-Betrieb arbeitenden Bildschirmgeräten zu erzielen. Es hat sich gezeigt, daß dispositive Anwendungen ohne weitestgehende Dialogverarbeitung zu umständlich zu handhaben sind. Als Folge ist nicht selten zu beobachten, daß solche Systeme nicht richtig (falsche Daten), unvollständig (fehlende Daten) oder überhaupt nicht (manueller Weg) angewendet werden.

Determinierung des Produktionsablaufes

Mehr denn je sind Flexibilität und Improvisationsvermögen entscheidende Faktoren für den Markterfolg insbesondere mittlerer Unternehmen, welche durch die neueren EDV-Entwicklungen besonders angesprochen werden. Die Standard-Software der EDV-Hersteller wies nahezu einheitlich die Tendenz auf, den Produktionsablauf auf der Basis diverser Optimierungskriterien mehr oder weniger bis ins kleinste vorzuschreiben. Der Dispositionsspielraum der exekutiven Ebene (Disponenten, Meister) wurde im Vergleich zu manuellen Lösungen erheblich eingeschränkt. Diese Tendenz zur Determinierung der Produktionsabläufe hat bei der Vielzahl unvermeidbarer Störungen, Änderungen, Umdispositionen etc. infolge der schwierigen Bewältigung eines aktuellen Änderungsdienstes manche EDV-Anwendung zum Scheitern gebracht beziehungsweise zumindest in ihrer Effizienz stark eingeschränkt.

Welche Schlüsse lassen sich nun aus diesen Erfahrungen ziehen?

Formulierung der unternehmensspezifischen Anforderungen

Wesentliche Voraussetzung für einen erfolgversprechenden EDV-Einsatz in der Produktionsplanung und -steuerung ist, daß nicht etwa die betrieblichen Anforderungen in Richtung Erfüllbarkeit durch Standard-Software verändert werden, sondern daß sich die EDV-Lösung an den unternehmerischen Belangen orientiert. Der richtigen Formulierung dieser Belange kommt die größte Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang ist besonders darauf zu achten daß der richtige Mix zwischen Realtime Bildschirmverarbeitung und Batch-Verarbeitung gefunden wird. Auch in einem Online-System zur Produktionsplanung und -steuerung werden sich nicht alle Funktionen Realtime abwickeln lassen. Dazu sind zum Beispiel Stücklistenauflösungen komplexer Erzeugnisse, Bedarfsprognosen über das ganze Programm und größere Zeitperioden etc. zu zeitaufwendig. Diese Fragen sind jedoch von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich zu beantworten.

Ferner ist darauf zu achten, daß der exekutiven Ebene der erforderliche Bewegungs- und Dispositionsspielraum zugestanden wird. Die Erfüllung dieser Forderungen hat meist zur Folge, daß eine völlige Neukonzeption und Entwicklung der EDV-Lösung erforderlich wird. Die vielfach zu beobachtende Installation von Bildschirmgeräten zur aktuelleren Datenerfassung und -ausgabe unter Beibehaltung der Verarbeitung der Daten im Batch-Betrieb bringt meist nur dort Erfolge, wo die reine Batch-Anwendung bereits zufriedenstellend lief (siehe Insellösung). In diesem Zusammenhang muß festgestellt werden, daß eine aufwendige Eigenentwicklung häufig effizienter und wirtschaftlicher ist, als eine mehr oder weniger vergewaltigte Standardlösung.

Integrierte Datenverarbeitung auf Datenbankbasis

Die Entwicklung herstellerseitiger Datenbanksoftware hat entscheidend dazu beigetragen, daß unternehmensspezifische Datenstrukturen abbildbar und verarbeitbar geworden sind. Eine integrierte Datenverarbeitung ist dabei zwingende Voraussetzung für jeden Online-Betrieb, da nur so die Auswirkungen von Änderungen allen betroffenen Problemkreisen und Anwendern aktuell zur Verfügung gestellt werden können. Die Akzeptanz eines EDV-Systems wird sich dann erfahrungsgemäß zwangsläufig einstellen und zur angestrebten Transparenz des betrieblichen Geschehens führen.

Rechnerkonfiguration, Betriebssystem, DC-Komponenten und Datenbanksoftware müssen bei der Rechnerauswahl immer im Zusammenhang gesehen werden. Das schwächste Glied dieser Kette ist ausschlaggebend für den Erfolg der Anwendung. Hier muß sehr sorgfältig geprüft werden, wenn unliebsame Überraschungen vermieden werden sollen. Unvertretbare Kompromisse sind keinesfalls akzeptabel. Besonders ist auf die Funktionsfähigkeit von

- Datensicherungsverfahen

- Datenbanksynchronisationsverfahren (Roll-back)

- Wiederanlaufverfahren (Logging - Restart)

- Entlade-/Ladeverfahren bei Schemaänderungen

- Behandlung von Kollisionsproblemen (Dead-lock)

zu achten. Desweiteren ist bei der Dimensionierung der Anlage der Peripheriespeicherbedarf für ein praktisches Handling der oben genannten Utilities zu beachten.

Es empfiehlt sich auf der Basis der unternehmensspezifischen Anforderungen (Datenbankdiagramm, Mengengerüst, Programmanzahl und Programmgrobstruktur, Bildschirmanzahl) eine Ausschreibung vorzunehmen, um von den infrage kommenden Herstellern eine ausreichend dimensionierte Anlage nebst der erforderlichen flankierenden Software angeboten zu bekommen.

Eigene Erfahrungen mit der aufgezeigten Vorgehensweise haben ergeben, daß so das Risiko einer Fehlentwicklung weitestgehend vermieden und die angestrebten Ziele erreicht werden konnten.

*Dr.-ing. Wolfgang Michels ist geschäftsführender Gesellschafter der Dr.-Ing. Michels Ingenieurgesellschaft mbH, Gesellschaft für Unternehmensberatung und unternehmensspezifische Anwendungsprogrammierung, in Kempen.