Agassi, Abenteuer, abgelegene Inseln

Lesetipps für die Weihnachtszeit

10.12.2009
Von Claudia Heinelt

Lieben Sie Fragezeichen?

Haben Sie auch ein Lieblingssatzzeichen? Meines ist seit einiger Zeit eindeutig das Fragezeichen. Schon die Optik erinnert mich (zumindest in meiner fürchterlichen Handschrift) gelegentlich an das Yin/Yang-Zeichen. Und dann mag ich es einfach, wie dieses Zeichen lieb gewordene Denkmuster aufbricht. Insofern war mir "Die 4-Stunden Woche" des 1977 geborenen Amerikaners Timothy Ferriss auf den ersten Blick sympathisch - es wimmelt nur so von Fragezeichen. Denn hinter dem wunderbar verlockenden Titel verbirgt sich ein Selbsterforschungsbuch, bei dem man, sofern man sich ernsthaft darauf einlässt, die 4-Stunden Woche erst einmal vergessen kann. Falls Sie das aber nicht schreckt und Sie sich wie Ferriss raus aus dem Hamsterrad Arbeitsalltag begeben wollen, empfiehlt der Autor folgende vier Schritte beziehungsweise Kapitel:

Schritt 1 - D wie Definition. Hier fordert Sie Ferriss unter anderem dazu auf: "Ändern Sie die Regeln: Alles Populäre ist falsch."

Schritt 2 - E wie Eliminieren. Mein Lieblingsabschnitt war die Informationsdiät: "Kultivieren Sie Ihre selektive Ignoranz."

Schritt 3 - A wie Automation. In drei Schritten zum Einkommens-Autopiloten.

Schritt 4 - L wie Liberation = Ihre Befreiung.

Timothy Ferriss: Die 4-Stunden Woche
Timothy Ferriss: Die 4-Stunden Woche
Foto: Econ Verlag

Ich möchte Ihnen nicht verschweigen, dass Timothy Ferriss an vielen Stellen dieses Ratgebers sehr amerikanisch-euphorisch und deshalb in Ihren Ohren möglicherweise etwas überzogen klingt. Aber schon, wenn Sie sich nur jedem dritten Fragezeichen in diesem Buch widmen, wissen Sie hinterher garantiert ein paar spannende Dinge mehr über sich. Und das wär' doch auch schon mal was, finden Sie nicht?

Abenteuer auf drei Kontinenten

Kennen Sie diese raren Bücher, die einem wirklich nur sehr gelegentlich begegnen? Die Sorte, die man zum Ende hin entweder rationiert ("Nur noch drei Seiten jeden Tag, dann langt es noch für eine Woche!" Zuletzt so erlebt bei Muriel Barbery: "Die Eleganz des Igels", hinreißend!) oder aber nach der Lektüre noch ein Weilchen unter dem Kopfkissen aufbewahrt, weil man ihnen schlichtweg nachlauschen muss. Zu dieser Sorte gehört für mich "Sechzig Lichter" von der Australierin Gail Jones.

Gail Jones: Sechzig Lichter
Gail Jones: Sechzig Lichter
Foto: dtv Verlag

Auf gut 220 Seiten entwirft die Sprachwissenschaftlerin das kurze, nur 22 Jahre währende Leben ihrer Heldin Lucy Strange über drei Kontinente hinweg. Nomen ist dabei eindeutig Omen: Das Gefühl des Andersseins begleitet sie und ihren Bruder Thomas, wohin sie auch gehen. 1852 in Australien geboren, muss die erst achtjährige Lucy erleben, wie kurz hintereinander beide Eltern sterben. Eine Odyssee beginnt, die beiden Geschwister schlagen sich halb verwildernd eine Weile selbst durchs Leben, bis sie durch einen skurrilen Onkel nach London geholt werden. Eine eigenwillige Ersatzfamilie entsteht, Lucy findet Arbeit in einer der ersten Fabriken, die lichtempfindliches Fotopapier herstellen, ihr Bruder arbeitet in einer Art Vorläufer des Kinos. Dennoch: Die Familie verarmt. Rettung scheint ein alter Freund des Onkels zu bieten, der Lucy die Heirat anbietet - in Indien. Ein Ortswechsel, der ihr Leben erneut maßgeblich verändert: Sie wird nach einer kurzen Liaison während der Schiffsüberfahrt schwanger, was die geplante Ehe unmöglich macht. Dennoch bleibt sie eine Weile in Indien, wird zu einer der ersten Fotografinnen ihrer Zeit, entdeckt das Land, bevor sie endgültig mit ihrem Kind nach London zurückkehrt.

All dies schildert Gail Jones mit einem feinen Blick für Situationen und Details, ihre Sprache spiegelt auf das Wunderbarste die Entwicklung ihrer Heldin, deren zunehmend fotografischen Blick auf ihre Umgebung. Lucy und Gail Jones lassen uns durch ihre Blicke teilhaben an einer Zeit, die nur ein kurzes Jahrhundert entfernt ist und doch so anders - Strange eben.