Leserbrief/Entwicklung vom Kleinen zum Großen

02.08.1996

Hinterher hat man es zwar schon immer gewußt, aber die in Jahrzehnten entwickelten Online-Anwendungen mit Zehntausenden von Endgeräten sind nun mal nicht so schnell, wenn überhaupt, von den Mainframes wegzukriegen. Das Gegenteil können nur die Päpste von der COMPUTERWOCHE und die Frischlinge von der Hochschule annehmen, welchselbige geblendet sind von grafischen Oberflächen und den billigen Hauptspeichern der PCs.

Oder von falschen Beispielen. Da war im Software-Report 2-3/1991 der Software AG der Downsizing-Trend mit der Geschichte der Orgel verglichen und begründet worden: Die Entwicklung sei von großen Orgeln zu kleinen Portativen verlaufen. Dabei war's genau andersherum! Fachmann Hans Klotz: "Die großen Orgeln gingen aus den kleinen hervor."

Stellen wir also das Orgelbeispiel vom Kopf auf die Füße. Das Unternehmen sei die Gemeinde, die Hardware eine oder auch mehrere Orgeln, der Systemverwalter und Bediener sei der Organist und die Anwendung ein Werk aus der Orgelliteratur, zum Beispiel Bachs Fantasie G-dur, BWV 572. Das Eingangssolo können Sie downsizen, aber den fünfstimmigen Mittelteil? Dazu braucht es einen Mainframe mit Pedal, mindestens zwei Manualen und ein paar Pfeifen mehr als auf dem Portativ. Die fünf Stimmen könnte man zwar dislozieren, zum Beispiel im Passauer Dom, dann benötigt man aber auch fünf Systemverwalter, und wie die Anwendung angesichts der Schallaufzeiten zu synchronisieren ist und wie sie sich anhört, ist offen. Zugegeben: Die fünf Einzelanwendungen sind überschaubar. Man kann aber auch die fünf Orgelstimmen nacheinander auf nur einem Portativ spielen. Dann kommen Durchlaufzeiten zustande wie bei einer real existierenden Anwendung, die sozusagen eins zu eins vom Mainframe auf Unix downgesized wurde, mit dem die Reorganisation der Datenbank nunmehr Tage statt Stunden dauert. Aber wenn es Arbeitsplätze bringt, dann kann, dann muß man's auch so machen.

W. Luckner, 53119 Bonn