Leserbrief/Bis 1984 ist es nicht mehr weit

14.06.1996

Der Artikel offenbart einige erschreckende Einblicke in die fachliche Kompetenz der Entscheider: Sie ist schlicht und einfach nicht vorhanden.

Wenn ein Herr Rauch, seines Zeichens Vorstandsmitglied der Bayerischen Vereinsbank, den Wechsel von OS/2 auf NT unter anderem damit begründet, daß NT eine "zertifizierte Security- Funktionalität" besitzt, so scheint er es auf ein Konglomerat von Stand-alone-Maschinen in seinem Hause abgesehen zu haben, denn auf einem solchen Gerät (von Compaq, wenn ich mich recht erinnere) wurde die Zertifizierung erzielt. Neben dem Aspekt, daß sein Konglomerat von Einzel-PCs nicht mehr dem Stand der Technik entspricht, ist auch sein Argument nicht stichhaltig, läßt sich doch auf Seite 17 ("Sicherheitsloch in Windows NT erlaubt das Lesen fremder Daten") nachlesen, wie man die C2-zertifizierten Stand-alone-Rechner mit einem Shareware-Programm knacken kann.

Dennoch muß man sich die Frage stellen, was die externen Auslöser für solche Entscheidungen sind. Zum einen ist da das exzellente, zielgruppenorientierte Microsoft-Marketing zu nennen, das seine Wirkung nicht verfehlt hat. Zum anderen sind auch die Presse und diverse Institute nicht ganz unschuldig mit einer sehr vorteilhaften Darstellung von MS-Produkten. War da in der CW Nr. 16 vom 21. April 1995 auf Seite 1 ("Dataquest: Windows 95 macht OS/2 den Garaus") nicht eine von mir bereits damals angezweifelte Dataquest-Prognose, daß Windows 95 bis Ende 1995 schon 34 Millionen User haben würde? Daß es nur ein Bruchteil davon geworden ist, stört anscheinend keinen. Anderes Beispiel: Jeder regt sich darüber auf, daß es für OS/2 so wenig Treiber gibt. Daß es für NT noch wesentlich weniger sind, ficht wiederum niemanden an. Daß Microsoft mit "Vaporware" einen ganzen Markt in Schach hält und viele Versprechungen nicht erfüllt (letztes Beispiel: der Abschied vom "Object File System" würde mich nicht wundern, wenn Cairos angekündigte Objektorientierung auch bald zu Grabe getragen wird), bekümmert anscheinend ebenfalls niemanden.

Doch zurück zur BV: Wenn diese sich Microsoft ins Haus holt, wird kaum etwas anderes als NT dabei herauskommen. Zum einen weiß Microsoft auch, welches seiner Systeme halbwegs etwas taugt, zum anderen: Wer zu Mercedes geht, wird auch kaum mit einem BMW nach Hause fahren.

Daß mir diese Marktentwicklung Sorge bereitet, kann ich nicht verhehlen. Bis 1984 scheint es nicht mehr weit zu sein.

Dr.-Ing. Axel Braun Lüneberger Weg 11c, 40468 Düsseldorf