Arbeitswelt

Leistung und Leidenschaft haben ihren Preis

19.12.2007
Gute Nachrichten vom Arbeitsmarkt, gute Nachrichten von der Gehaltsfront: IT-Profis geht es wieder gut. Richtig ist aber auch: Mitarbeiter müssen viel können und viel aushalten. In der Arbeitswelt von morgen geht die Arbeit nicht aus, aber ob es gemütlich wird?

Am Schluss einer dieser in den letzten Wochen häufigen Diskussionen über den Fachkräftemangel in der IT-Industrie wurde Oliver Tuszik doch sehr leidenschaftlich. Der Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Computacenter und Vater dreier Kinder appellierte an die Zuhörer - alles Vertreter der IT-Industrie -, die Schuldigen für Probleme nicht bei den Politikern, den Lehrern oder gar Schülern zu suchen. "Jeder in der IT-Branche muss für die Attraktivität dieser Industrie und die vielfältigen und abwechslungsreichen Jobmöglichkeiten werben."

Die Fakten ? zumindest eine Menge Zahlen ? die im Augenblick herumgereicht werden, sprechen für die Bewerber und gegen die Arbeitgeber, von denen doch eine ganze Menge "händeringend", wie sie immer betonen, Mitarbeiter suchen. Tuszik zum Beispiel sagt, dass er so ziemlich jede Woche einen Auftrag absagen muss, weil ihm das Personal fehlt ? 200 IT-Experten könnte er vom Fleck weg einstellen.

Am lautesten weint natürlich der Verband der IT-Industrie ? der Bitkom. Er spricht von 40 000 unbesetzen Stellen in der IT-Branche. In einer Umfrage des Verbandes gaben drei Viertel der Mitglieder an, dass sie mit einem Umsatzplus rechnen, und 57 Prozent wollen zusätzliche Mitarbeiter einstellen. Immerhin 62 Prozent der Befragten klagten, dass der Mangel an Fachkräften ihre Geschäftstätigkeit behindere. "Der Bedarf konzentriert sich auf Softwarefirmen und IT-Dienstleister, die vor allem nach Programmierern und IT-Beratern suchen", erläutert Bitkom-Präsident August Wilhelm Scheer.

Arbeitgeber Numer eins: SW-Häuser

Diese Einschätzung kann von der Adecco-Stellenmarktanalyse im Auftrag der COMPUTERWOCHE nur bestätigt werden. So wurden in den ersten zehn Monaten etwa 20 Prozent mehr IT-Stellen ausgeschrieben als im Vorjahr. Von 21 047 auf 42 384 kletterte im Vorjahresvergleich die Zahl der IT-Stellenangebote, die von Januar bis Oktober in 40 Tageszeitungen und der COMPUTERWOCHE ausgeschrieben wurden.

Die meisten freien Positionen für IT-Experten entfallen mit 6311 Angeboten (Vorjahr 5754) nach wie vor auf Beratungs- und Softwarehäuser. Am stärksten gestiegen ist der Bedarf im Maschinen- und Fahrzeugbau. Dort wuchs die Zahl der Jobangebote von 2647 auf 3880. Mehr IT-Positionen wurden außerdem im öffentlichen Dienst (2280, Vorjahr 2030), in der Elektronik/Elektrotechnik (2900, Vorjahr 1705) und bei den Finanzdienstleistern (475, Vorjahr 423) ausgeschrieben. Weniger Jobs offerieren dagegen die Telekommunikations-, die Pharma- sowie die Komsumgüterindustrie. Auf recht hohem Niveau stagniert die Zeitarbeitsbranche, die in den letzten Monaten mit hohen Zuwachsraten verwöhnt wurde.

Wenig gesuchte Häuptlinge

Die Frage, welche IT-Qualifikation besonders gesucht war, lässt sich eindeutig beantworten und passt zur Aussage des Bitkom-Chefs: Allein 4403 Offerten gab es für Anwendungsentwickler, rund 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Prozentual stärker stieg das Interesse an Internet-Spezialisten, wenn auch auf geringerer Basis - und zwar von 740 auf 1054. Größer als im Vorjahr ist auch die Nachfrage nach Datenbank- sowie System- und Netzspezialisten, aber auch nach Vertriebsmitarbeitern.

Die meisten Jobs entfallen auf hochqualifizierte Mitarbeiter. 88 Prozent der Annoncen sind den Mitarbeitern ohne Personalverantwortung gewidmet ? Tendenz steigend. Im Top- und im mittleren Management stagnieren die Offerten, im unteren Management nehmen sie im einstelligen Prozentbereich zu. Die jüngste Analyse zeigt auch, dass die Unternehmen das Thema Recruiting seltener auslagern und verstärkt selbst in die Hand nehmen. Die Zahl der Firmen, die selbst suchen, ist um vier auf 90 Prozent gestiegen. Halbiert haben sich die Anzeigen, in denen Berater und Arbeitgeber gemeinsam auf die Pirsch gehen, und auch die Offerten, in denen Headhunter allein suchen, sind um fast zehn Prozent gesunken.

Web-Entwickler und Support-Mitarbeiter bilden wie im Vorjahr das Schlusslicht. Quelle: www.personalmarkt.de
Web-Entwickler und Support-Mitarbeiter bilden wie im Vorjahr das Schlusslicht. Quelle: www.personalmarkt.de

Bayern bleibt für IT-Profis attraktivste Region der Republik. Der Freistaat hat seine Position als Spitzenreiter in den vergangenen Monaten sogar ausgebaut. Mittlerweile entfallen ein Fünftel der Angebote (4843 Offerten) auf das südlichste Bundesland. Es folgen Baden-Württemberg mit 15 Prozent und Nordrhein-Westfalen mit zwölf Prozent.

Für gute Stimmung unter den IT-Profis dürfte eine weitere Zahl sorgen. Die Marktforscher von IDC gehen davon aus, dass bis 2011 in Deutschland 193 000 Arbeitsplätze im Softwareumfeld entstehen ? weltweit sollen es gar 4,6 Millionen werden, so die optimistische Prognose. Microsoft-Geschäftsführer Achim Berg ist überzeugt, dass diese Zahlen zu erreichen sind: "Als Querschnittstechnologie ist Software ein echter Jobmotor." Und IDC-Analyst Frank Naujoks ergänzt: "Auch wenn Softwareinvestitionen nur ein Viertel der IT-Investitionen ausmachen, zeigt die Studie den enormen Beschäftigungseffekt ? nicht nur bei den Softwareherstellern selbst, sondern auch bei Hardwareproduzenten, IT-Dienstleistern und Anwendern."

Zu all diesen guten Nachrichten passen die Zahlen der aktuellen COMPUTERWOCHE-Vergütungsstudie. Zwar sind die Gehälter der IT-Spezialisten nur im einstelligen unteren Bereich gestiegen. Aber es fällt auf, dass sich die Schere zwischen den Spezialisten, deren Know-how am Markt stark nachgefragt ist und den Tätigkeiten etwa in der Netzadministration und im Support weiter öffnet. Während Berater ohne Personalverantwortung, erst recht mit SAP-Know-how, locker über 60 000 Euro im Jahr verdienen, liegen die Gehälter der Anwender-Support-Mitarbeiter bei 37 000 Euro im Jahr.

Anwenderbranchen zahlen ? auch wegen ihrer Größe ? verhältnismäßig gut.
Anwenderbranchen zahlen ? auch wegen ihrer Größe ? verhältnismäßig gut.

Mit Personalverantwortung erreichen die Berater gleich 30 000 Euro und mehr im Jahr. Überdurchschnittlich zugelegt haben vor allem die Gehälter im Mittelstand. So dürfen sich Entwicklungschefs über ein Plus von zehn bis 15 Prozent freuen. Sie liegen aber dennoch stark unter den Verdienstmöglichkeiten in großen Unternehmen. Beispiel: Verdient ein Programmierer in einem mittelständischen Unternehmen 45 000 Euro, so hat sein Pendant im Konzern 20 000 bis 25 000 Euro mehr im Jahr in der Tasche. Was die Chefs allerdings immer wieder frustriert, ist die Abhängigkeit von Topspezialisten und guten Projektleitern. So berichtete unlängst eben einer dieser verärgerten Chefs, dass er einen Einsteiger ziehen lassen musste, weil die Konkurrenz ihm 90 000 Euro Jahresgehalt geboten hatte. Er war allerdings im Besitz einer Cisco-Zertifizierung, die im Gehaltspoker viele Pluspunkte bringt. "Für gute Spezialisten sind sogar 200 000 Euro im Jahr drin", sagt Tim Böger, Geschäftsführer von Personalmarkt, einer Vergütungsberatung in Hamburg, mit der die COMPUTERWOCHE gemeinsam die jährliche Vergütungsstudie organisiert.

Allrounder mit Tiefgang

Richtig ist aber auch, dass die Anforderungen der Unternehmen an Bewerber und Mitarbeiter gewaltig sind. Es wird der Allrounder mit Tiefgang erwartet, der einerseits genug von IT versteht und andererseits, wenn er mal beim Kunden gearbeitet hat, gleich den Nachfolgeauftrag mitbringt. Wie in den besten New-Economy-Zeiten finden Recruiting-Veranstaltungen mit Erlebnischarakter statt - sei es auf dem Meer, sei es auf einer schönen Hütte in Tirol. Und diejenigen, die als Leistungsträger identifiziert werden, dürfen sich über hohe Prämien und sonstige Bonbons freuen. Trainee-Programme sprießen wie Pilze aus dem Boden, Führungsnachwuchsseminare stehen wieder auf der Tagesordnung, Firmenveranstaltungen sind wieder in ? das alles, um die Mitarbeiter zu binden. Auch wenn die Unternehmen um ihre Guten sehr bemüht sind, so wollen die Chefs Leistung und Leidenschaft sehen. Wer nicht in so eine Leistungskultur passt, wird aussortiert ? Fachkräftemangel hin oder her.

Nicht umsonst versuchen Analysten und Zukunftsforscher die Beschäftigten auf die Arbeitswelt von morgen vorzubereiten - wie Anfang November Gartner-Analyst Tom Austin auf der ITxo in Cannes. "Unternehmen werden anders funktionieren als heute, ihre Mitarbeiter werden anders arbeiten, an anderen Orten und zu anderen Zeiten."

Es lohnt sich Chef zu werden ? zumindest finanziell.
Es lohnt sich Chef zu werden ? zumindest finanziell.
Foto: Personalmarkt

Gerade der IT-Nachwuchs, die Digital Natives, würden die Veränderungen in den Unternehmen und ihrer IT vorantreiben. Die IT muss sich deshalb davon verabschieden, "sämtliche Mitarbeiter während ihrer gesamten Arbeitszeit unter Kontrolle zu haben", mahnte Austin. Nur dann ließen sich Chancen wie Innovationen durch Endanwender, die Nutzung von Social Networks in und für Unternehmen sowie die Idee, dass Kunden Innovatoren sein können, nutzen.

Routineaufgaben verschwinden

In einer post-digitalen Welt post, weil Digitalisierung buchstäblich alles durchdrungen haben werde sei Karriere ein Pluralwort. "Von einer Welt, in der jeder seinen Platz kannte, bewegen wir uns in eine Welt, in der alles geht", sagte Austin. Aus "Arbeit" wird "Lebensstil", aus organisierten Mitarbeitern freie Agenten, aus Bürokratie werde eine "Ad-hoc-kratie", aus einem Neun-bis-fünf-Job werde eine Vierundzwanzig-Stunden-Beschäftigung, und schließlich werden aus einem hierarchisch organisierten und kontrollierten System selbstorganisierende und -regulierende Systeme. Dafür sei die IT zwar nicht ursächlich, aber all diese Veränderungen seien ohne Informationstechnik nur schwer denkbar.

Außerdem habe die IT mit ihren Automatisierungserfolgen der vergangenen Jahrzehnte dafür gesorgt, dass Menschen immer weniger Zeit mit Routineaufgaben verbringen. "Zwischen 34 und 57 Prozent aller US-Arbeitskräfte arbeiten schon heute in signifikantem Maße oder sogar hauptsächlich an Nicht-Routine-Aufgaben", unterstreicht der Gartner-Mann die bereits vollzogenen Veränderungen. Die neueste Fabrik des Automobilherstellers Volvo in Göteborg produziere pro Tag 6000 Fahrzeuge mit weniger als 50 Mitarbeitern pro Schicht in den Fertigungshallen. "Durch Automatisierung sind in Westeuropa 80 Prozent der Fertigungsjobs verloren gegangen." Dank IT ergebe sich in anderen Berufen, in denen zwar Fachkönnen, aber wenig Kreativität gefragt sei, ein ähnliches Bild. Die einfachen Aufgaben sind weitgehend automatisiert."

Trotz technischen Fortschritts, Automatisierung und Auslagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer ist Hilmar Schneider, Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit in Bonn überzeugt, dass "uns die Arbeit nicht ausgehen wird". Eine moderne Volkswirtschaft könne ohne Fachkräfte nicht funktionieren. "Wir würden sehr viel Wachstumspotenzial vergeuden", so sein Credo.