DTP loest den Bleisatz ab

"Leipziger Volkszeitung" setzt auf Client-Server-Computing

12.03.1993

Eindrucksvolles Beispiel dafuer, wie begehrt etablierte Printmedien nach wie vor sind, ist die "Leipziger Volkszeitung" (LVZ). Auch wenn das Blatt vor der Wende wie fast alle anderen Tageszeitungen als parteieigenes Organ gefuehrt wurde und deshalb umstritten war, wagte die Hannoversche Verlagsgesellschaft Madsack (VGM) Mitte 1990 den Schritt zu einem Kooperationsabkommen mit der "LVZ", das zum Ziel hatte, die Zeitung komplett zu uebernehmen, zu reorganisieren und sie, mit einem neuen Gesicht versehen, unter dem bekannten Namen auf dem Markt zu belassen.

Die Anforderungen an das neue System

Bei der Uebernahme wurde die "LVZ" unter nahezu antiquierten Bedingungen in einer Auflage von 460 000 Stück erstellt. Sowjetische Satzmaschinen des Typs Rossia N140/240 waren im Einsatz, die Texterfassung erfolgte auf S6001-Texterfassungs-Systemen auf einem Endloslochband, das von einem KRS-Kleinrechnersystem weiterverarbeitet wurde. Als Rotation diente eine 96seitige Rollenrotation in Etagenbauweise von Plamag. Auf ihr wurde die wochentags maximal 16 Seiten umfassende Zeitung (Beschraenkung aufgrund Papiermangels) gedruckt - in der entsprechenden Qualitaet und mit den fuer die Umwelt negativen Konsequenzen durch Bleischmelze, Saeure fuer Bildverarbeitung etc. Ein Redaktionssystem war nicht vorhanden.

Zwar hatte man bei der "LVZ" vollkommene Handlungsfreiheit bei der Selektion der neuen Systeme, da keine Altlasten integriert werden mussten, allerdings draengte die Zeit. "Es stand ausser Frage, dass wir schnell handeln mussten, um mit der Zeitung am Markt bestehen zu koennen", beschreibt Christian Graf von der Schulenburg die Ausgangssituation. Der DV-Leiter der Leipziger Verlags- und Druckereigesellschaft, der von Hannover nach Leipzig gekommen war, erkannte die Notwendigkeit zum schnellen Handeln. Die Auflage von rund 460 000 Stueck vor der Wende war schnell auf 340 000 Exemplare abgefallen.

Die Systemanforderungen liessen sich einfach definieren: Gesucht wurde ein computergestuetztes Redakionssystem, das einfach zu handhaben sein sollte und das darueber hinaus - angesichts der grossen Investitionen - ein "gesundes Preis-Leistungs-Verhaeltnis bieten" musste.

Die Entscheidung fiel auf ein dezentrales Client-Server-Modell unter Unix und auf das Redaktionssystem "Pink Press" des Anbieters Pink Software Engineering GmbH & Co. Das auf das weitverbreitete Programm Quark XPress aufbauende, integrierte Redaktions- und Anzeigensystem für die Zeitungs- und Magazinproduktion ist in seiner Struktur den Arbeitsablaeufen in einem Verlag angepasst. Es besitzt eine modulare Struktur, wobei jedes Modul mit einem Teilbereich korrespondiert (Redaktion, Layout, Text- und Bildverarbeitung, Sporttabellen, Anzeigenbearbeitung und -verwaltung, Produktion, Produktplanung und allgemeine Verwaltung). Alle Bereiche haben Zugriff auf eine zentrale SQL-Datenbank. Vier Sun Sparcserver 690MP bedienen rund 180 Apple-Macintosh-Arbeitsplatzsysteme, die über Ethernet und AFP (Apple Filing Protokoll) miteinander verbunden sind.

Die Vorteile der Client-Server-Technologie

Ueber das Kernelement der Pink-Press-Installation, die SQL-Datenbank, die den gesamten Datenbestand bereitstellt, kommunizieren Module untereinander. Dabei wird nach dem Client-Server-Prinzip gearbeitet: Alle Daten haelt der SQL-Server zentral bereit und verwaltet sie; die dezentralen Arbeitsplatzssysteme koennen als Clients auf die Dokumente und Applikationen des Servers zugreifen, als waeren sie lokal verfuegbar.

Der Einsatz der Client-Server-Technologie bietet mehrere Vorteile:

- Es werden nur die wirklich notwendigen Dinge ueber das Netz geschickt. Dadurch laesst sich die Netzwerkbelastung auf ein Minimum reduzieren und ein hoher Datendurchsatz gewaehrleisten - das Netz wird nicht durch unnoetigen Overhead verstopft.

- Die zentrale Datenhaltung im Server stellt sicher, dass alle Daten zum gleichen Zeitpunkt konsistent sind; so kann eine Vielzahl von Benutzern gleichzeitig mit der Datenbank arbeiten.

Erfasste Texte, Layouts etc. werden redundanzfrei in der Datenbank abgelegt, die Integritaet der Daten ist gewaehrleistet. Gleichzeitig sorgen unterschiedliche Zugriffsrechte fuer ein hohes Mass an Systemsicherheit.

"Was unsere Entscheidung zugunsten einer Unix-basierenden Client-Server-Loesung vorantrieb," so von der Schulenburg, "war nicht nur die Tatsache, dass es zu Beginn keinerlei Kommunikationsleitungen in den Westen gab, und uns ohnehin keine andere Wahl blieb, als eine dezentrale, unabhaengig operierende Loesung anzustreben. Wichtig war auch, dass viele Applikationen unter Unix verfuegbar sind. Ausserden ueberzeugte die unkomplizierte Administration der Systeme."

Die Hannoveraner uebernahmen den Mitarbeiterstab der "LVZ" und lernten die neuen Kollegen an - auch in der DV-Abteilung, die aus 13 Mitarbeitern besteht. "Unix-basierte Loesungen sind einfach zu bedienen. Auftretende Fehler lassen sich mit Dienstprogrammen in den Griff bekommen, falls es komplizierter wird, greift der SW-Hersteller ueber remote access auf das System direkt zu und hilft uns notfalls aus der Bredouille", erklaert der DV-Leiter.

Gerade das Zeitungsgeschaeft lebt von der Aktualitaet. Hohe Ausfallsicherheit - eine Forderung, die gewoehnlich mit hohen Systemkosten einhergeht - ist fuer ein computergestuetztes Publikationssystem erstes Gebot. Deshalb wurden bei der "LVZ" die ausfallkritischen Komponenten, also der Datenbank-Server mit seinen Massenspeichern, doppelt ausgelegt. Dem Sparcserver 690MP ist eine zweite, identische Maschine zur Seite gestellt, die Zugriff auf den Massenspeicher des Hauptrechners hat. Die Systemsicherheit wird dadurch erreicht, dass sich die mit Dual-Port ausgelegten IPI-Plattenspeicher wahlweise beiden Sparcservern zuordnen lassen. Um vor Ausfaellen bei den Datenbestaenden geschuetzt zu sein, wird mit Spiegeldateien auf getrennten Platten gearbeitet.

Mit dem Layoutmodul des Redaktionssystems werden alle einzelnen Komponenten der Zeitung problemlos zusammengefuehrt und die Zeitung endgueltig zusammengestellt.

Bei Beschluss des Kooperationsabkommens mit der "LVZ" hatte die Verlagsgesellschaft Madsack den zirka 1200 Mitarbeitern eine Beschaeftigungsgarantie gegeben - unter dem Vorbehalt, dass sie sich zu Computer- und anderen Schulungen bereiterklaeren. Waehrend der drei Monate dauernden Phase, in der die Grundvoraussetzungen fuer den Einsatz der computergestuetzten Zeitungsproduktion geschaffen wurde, erwarben die Layoutmitarbeiter und die Systemadministratoren das erforderliche Computer-Know-how. Nur 2 1/2 Stunden dauerte die Einfuehrung der Redakteure in das Pink-Redaktionsprogramm.

Keine Probleme bei der Umstellung

Am 16. Okotber 1990 wurde von einem Tag auf den anderen auf die computergestuetzte Produktion umgestellt. Entgegen uerspruenglicher Bedenken gab es keine Probleme - weder von redaktioneller noch von systemspezifischer Seite. Mittlerweile steht man bei der "LVZ" kurz vor der Realisierung eines weiteren Schrittes in Richtung Automatisierung der Zeitungsproduktion: Zwischen der Redaktion in Leipzig-Stadt und dem neuen Druckzentrum in Leipzig-Stahmeln wurde mit dem Aufbau einer 2-Mbit-Kommunikationsverbindung begonnen.

Ueber eine an diese Standleitung angeschlossene Sparcstation 2 sollen dann ueber ein Open Pre-Press Interface (OPI) die kompletten Zeitungsseiten und Bilder als elektronische Dokumente an das Druckzentrum transferiert werden. Die Empfaengermaschinen in Stahmeln, zwei Sparcserver 630MP, ermoeglichen dem Layoutmitarbeiter direkt vor Ort das Belichten der fertigen Zeitungsseiten.

Das Beispiel der "Leipziger Volkszeitung", die Mitte 1991 von der Treuhand Berlin an die VGM und die Axel-Springer-Verlagsgesellschaft veraeussert wurde, hat mittlerweile Schule gemacht. Inzwischen haben andere Zeitungsverlage, etwa die "Chemnitzer Freie Presse" und die "Dresdner Neueste Nachrichten", das Client-Server-Modell der "LVZ" adaptiert.

Zu den zahlreichen Anwendern von Pink Press zaehlen ausserdem das "Goettinger Tagblatt", "TV Movie" und der Heinrich-Bauer-Verlag sowie die "Weltwoche" in der Schweiz und das "Time Magazine" in Amerika.

Auch "Bild" vom Springer-Verlag Berlin wird inzwischen auf Pink Press und Sparcsystemen produziert.

*Dieter Sommer arbeitet als freier Journalist in Berlin. Aus edvASPEKTE, Januar 1993, siehe auch CW Nr. 40 vom 4. Oktober 1991, Seite 69.