Leidensdruck muß nicht Status quo in der SW-Branche bleiben

28.04.1989

Mit Prof. Frank D. Peschanel, Berater für Innovation, Kreativität und Hochproduktivität in Unterwössen, sprach Wolf-Dietrich Lorenz.

Logisches Denken und intuitives Erfassen sind bei hochproduktiven Software-Designern gleichermaßen gut ausgeprägt: Die dafür verantwortliche linke und rechte Hirnhälfte harmonisieren. Fast immer - und zum Teil bewußt - ignorieren Unternehmen jedoch das emotionale Potential und setzen indes auf das rationalanalytische. Bei hohem Auftragsdruck geraten sie durch traditionelles Denken meist rasch in die Klemme.

- Welche Faktoren bestimmen die Qualität des Software-Engineerings?

Zum einen moderne technologische Werkzeuge, zum anderen Menschen, die einerseits das Fachwissen mitbringen, um mit diesen Werkzeugen umzugehen, die aber andererseits; von ihrer Denkweise her angelegt sind, überdurchschnittlich zu produzieren. Die technische Ausstattung eines Arbeitsplatzes allein schafft noch keine Produktivität - das ist absoluter Irrglaube.

- In der Software-Entwicklung wäre etwas mehr kreatives Gestaltungspotential sicher von Nöten, denken wir etwa an Anwendungsstaus.

Der Begriff des "Kreativen" steht seit der Zeit, als das Software-Engineering erfunden wurde, im Mittelpunkt der Diskussion. Damals ging der Ruf um: "Macht die Primadonnen nieder, wir brauchen keine Künstler, sondern Ingenieure im Softwareschaffen!" Dieser Kriegsschrei ist den Unternehmen schon teuer zu stehen gekommen.

- Wer kann Software besser entwickeln: der Ingenieur oder der Künstler?

Das ist die klassische Polarität. Auf "kreative" Weise Software zu schreiben, kann natürlich zu Problemen führen, wenn nämlich an Ingenieurtugenden nicht mehr festgehalten wird. Das Thema ist historisch auf eine unglückliche Weise gelöst worden. Technokratiegläubig stellte man sich den Software-Entwickler als einen deduktiv arbeitenden, konstruierenden Ingenieur vor. Dabei wurde völlig vergessen, daß ein Designer seine Qualitäten auch einzusetzen hat, um zu entwerfen und nicht allein, um zu konstruieren.

Ich erinnere daran, daß Professor Peter Molzberger von der Münchener Bundeswehrhochschule vor fünf Jahren einen Artikel mit dem Titel "Und Programmieren ist doch eine Kunst" geschrieben hat. Er stellte darin fest, daß hohe Produktivität mit "künstlerischen" Aspekten verbunden ist: Die Symbiose mit Ingenieurtugenden ist die wirkliche Lösung - nicht das eine oder das andere.

- Hoher Auftragsdruck bei zu wenigen qualifizierten Mitarbeitern ist Status quo in der Softwarebranche. Sie sollte sich also die Finger nach hochproduktiven Mitarbeitern lecken?

Hochproduktivität wäre ein Instrument, die Grenzen der Produktivität des bisherigen Software-Engineerings zu sprengen. Für Krisenprojekte, Typ Konventionalstrafe von einer halben Million oder mehr, sind ein oder zwei Spitzenleute wertvoll, wenn sie teamfähig mit Hochproduktivitätsfaktoren von 10 oder 20 schnell und ebenso zuverlässig Software produzieren können.

- Zuverlässig: Auch das Problem Wartung verschwindet?

Bei der Untersuchung von Hochproduktiven und deren Projekten war die Fehlerstatistik schon während der Produkterstellung, aber auch danach im Einsatz um Klassen besser als bei herkömmlich entwickelten Produkten. Ganzheitliches Denken erkennt Zusammenhänge rechtzeitig, nicht erst beim Produktlauf. Also nicht durch überdimensionale Testaufwände wird eine hohe Qualität erreicht, sondern durch eine sehr konsistente, ganzheitliche Konzeption in der Designphase. Für diese, wie jede der Projektphasen, kommt es eben darauf an, einen intelligenten Mix von Fähigkeiten zu haben, also die richtigen Leute in den Vordergrund zu stellen.

- Wie soll das geschehen?

Ein Projekt, in dem komplexere Software-Komponenten wie Datenbanken oder Sprachen der 4. Generation mit vielfältigen Benutzeranforderungen zusammenkommen, ohne einen ganzheitlich, visuell und imaginativ denkenden Designer im Team zu starten, ist ein Kunstfehler.

Und wenn man einen solchen Mann schon hat, ihn durch einen verwaltend-planerisch denkenden Projektleiter zu neutralisieren, was oft geschieht, ist ein weiterer Kunstfehler. Die Designphase einem Mann zu übertragen, der die Kommunikation mit dem Kunden als lästige Pflicht betrachtet und Kundenwünsche als Störung empfindet ist ein dritter Kunstfehler. Ein Mitarbeiter mit analytisch-technischem Denkstil dort, wo an erster Stelle kommunikative Neigung und Einfühlungsvermögen benötigt werden, ist eine Fehlbesetzung.

Unter dem Stichwort "Quality Team" gibt es heute ausgefeilte Regeln, um Teams zu besetzen.

Üblicherweise werden Teams nur nach - meistens oberflächlich beurteilten - Kompetenzen zusammengestellt, nicht nach Denkstilpräferenzen, die gerade mit den Projektphasen korrelieren.

- Hängt solchen Analysemethoden nicht der Ruf der Scharlatanerie an?

Das Hirndominanzinstrument, kurz HDI, von dem ich spreche, ist inzwischen zum Ende 1988 insgesamt über einemillionmal weltweit eingesetzt worden, davon über 90 Prozent in den USA. Die Fortune-500-Liste enthält eine ganze Reihe von "Anwender"-Firmen.

Auch hierzulande sollte das Management versuchen, hinter die Kulissen zu schauen und sich mit Hirndominanzen sowie Präferenzen menschlicher Denkstile zu befassen - als Hilfsmittel, nicht als Selbstzweck.

- Warum erkennen wir Präferenzen beispielsweise beim Thema Software-Entwicklung nur zögernd an?

Erstens stoßen Personen mit speziellen hochanalytisch ausgeprägten Profilen auf besondere Schwierigkeiten, die Einsichten zu akzeptieren die sich bei der Anwendung von HDI gewinnen lassen. Je konservativer ein Unternehmen ist, desto größer sind die Widerstände. Ein Beispiel: In Seminaren habe ich erlebt, daß Mitarbeiter zwar wissen, wie produktiv sie de facto im Unternehmen sein könnten, wenn sie wirklich "zulangen" würden. Dies hätte allerdings den Effekt, daß sie nicht mehr ruhig in den Feierabend oder in den Urlaub gehen könnten, ohne Gefahr zu laufen, zurückbeordert zu werden. Sie müßten immer die Kartoffeln aus dem Feuer holen. Wenn sie sich weiter profilierten, würde dies letztendlich kaum honoriert werden: "Deswegen ist es besser, ich falle nicht auf." Mitarbeiter tarnen sich aus Klugheit. Es gibt, gerade in konservativen Unternehmen, viele Manager, die diese "menschlichen Faktoren" nicht wahrhaben wollen. Die macht das HDI deutlich sichtbar.

- Ist solches Wegtauchen die Regel in deutschen Unternehmen?

Diese Haltung, nur weniger klar, ist mir recht oft begegnet.

- Die Unternehmen lassen sich also einiges an Qualität und an Potential entgehen?

Wenn eine Firma traditionell geprägt ist, wird jemand, der jede dritte Woche mit einem Verbesserungsvorschlag kommt, zur Laus im Pelz. Klar, daß dieser Mitarbeiter ein solches Wirtsunternehmen im Regelfall verläßt. Manche Unternehmen lassen es aber gar nicht erst soweit kommen. Sie haben sich auf den Durchschnitt eingepegelt und nicht auf Spitzenleistung. Sie stellen exzellente Kräfte erst gar nicht ein. Hier ist das Vorstellungsgespräch dann bereits das Ende.

- Wie kann sich denn ein Unternehmen aus dieser Misere befreien?

Der nächste Leidensdruck ist für viele Unternehmen bereits programmiert, denn die Personalsituation verschärft sich mit Beginn der 90er Jahre weiter. Unternehmen müssen dann zunehmend um Mitarbeiter werben.

Wer bereits heute verstanden hat, was Personalmarketing heißt, wird Marktvorteile verzeichnen können Geld allein motiviert nicht mehr. Fachkräfte müssen auch ihre Präferenzen, ihre Persönlichkeit entfalten können. Hochproduktive Mitarbeiter, mit denen wir gesprochen haben, waren sich darüber einig, daß ihnen Arbeit, selbst Überstundenarbeit, Freude machen muß.

Mehr Produktivität pro Mitarbeiter, also Hochproduktivität, zumindest in Teilbereichen, ist die einzig wirkungsvolle Lösung, wenn wir an den noch bevorstehenden, drückenden Personalengpaß denken.

- Ist die deutsche Unternehmenskultur reif für diese Sichtweise?

In der Unternehmenslandschaft wird sich wahrscheinlich zuerst ein kleiner Teil der Unternehmen auf die neue Situation der 90er Jahre einstellen, um strategische Vorteile zu erzielen. Allerdings führt philosophische Einsicht in der Industrie allein meist kaum zu wesentlichen Veränderungen, sondern Betrachtungen von Mark und Pfennig und der Leidensdruck durch unglücklich verlaufende Projekte.

Denkstile im Profil

Das von Ned Herrmann vor fast 15 Jahren in der Urform für die Personalarbeit bei General Electric entwickelte "Herrmann Brain Dominance Instrument" (HDI) zielte zunächst auf die systematische Unterstützung der Karriereplanung, Ausbildung und Personalentwicklung für das Gesamtunternehmen. Das HDI geht von dem neuen Wissen über unsere Hirnfunktionen aus (linke- sowie rechte Hirnhälfte, Großhirn- und Zwischenhirndenken). Es unterscheidet vier Hauptdenkstile (stark verkürzt: Fakten -, Form -, Fühlen - und visuell-konzeptbildend orientiertes Denken). Über einen in etwa 30 Minuten auszufüllenden Fragebogen wird das aus 4 Werten zwischen 10 und 150 bestehende "Denkstilprofil" für die vorgenannten vier Denkstile ermittelt. Das HDI-Profil sagt aus, welche Denkstile wie stark bervorzugt sowie vermieden werden. Weltweit wurde das HDI über eine Million mal eingesetzt, in Deutschland etwa 15000mal.